Die Urteil des Bundesverfassungsgerichts für eine dritte Geschlechtsoption im deutschen Recht ist ein großer Erfolg. Doch nur kurze Zeit später hat das Gericht eine skandalöse Entscheidung gefällt. Und fast niemand hat es bemerkt.
Das deutsche Personenstandsrecht verletzt Grundrechte – das hat das Bundesverfassungsgericht im November 2017 festgestellt. Es sei diskriminierend, wenn Menschen gezwungen werden, ihr Geschlecht staatlich zu registrieren, dabei aber nur zwischen männlich und weiblich wählen können. Dieser Missstand lässt sich auf zwei Weisen aufheben. Entweder, indem mindestens eine dritte Option hinzukommt. Oder, indem der Zwang zur geschlechtlichen Registrierung für alle entfällt.
Das Urteil ist ein wichtiger Schritt. In einer identitätspolitischen Lesart ist es Ausdruck eines Kampfes, den Intersex-Menschen für Intersex-Menschen gekämpft haben. Doch den Erfolg haben die Aktivist*innen für alle Menschen erstritten, die mit irgendeinem Geschlecht leben müssen. Sie haben der höchsten juridischen Institution des Staates das Eingeständnis abgetrotzt, dass die herrschende Einteilung der geschlechtlichen Welt eine ideologische Fiktion ist. Der anmaßende Versuch, alle Menschen in das Ordnungssystem der Zweigeschlechtlichkeit zu pressen, ist damit strukturell und offiziell gescheitert – trotz all der aufgewendeten Gewalt an hormonellen, chirurgischen und psychiatrischen Maßnahmen.
Umso skandalöser ist es, dass das Bundesverfassungsgericht nur kurze Zeit später eine Verfassungsbeschwerde zum sogenannten «Transsexuellengesetz» (TSG) nicht zur Entscheidung angenommen hat. Dabei war der Gegenstand dieser Klage denkbar einfach. Die Klägerin wollte ihren tatsächlichen Namen und ihr gelebtes Geschlecht in die staatlichen Dokumente aufnehmen lassen. Ein simpler Verwaltungsakt.
Doch das deutsche Gesetz verlangt hierfür ein Gerichtsverfahren, in dessen Zentrum zwei langwierige psychiatrische Untersuchungen stehen, beschönigend «Gutachten» genannt. Am Ende soll ein Richter über das Geschlecht der Antragstellenden entscheiden. In den psychiatrischen oder psychologischen Zwangsuntersuchungen werden diese dann genötigt, ihr Leben gemäß den geschlechtlichen Kriterien der beurteilenden Ärztinnen nachzuerzählen. Die Gesprächsfetzen, die aus den geschlossenen Zimmern an die Öffentlichkeit dringen, klingen immer wieder, als entstammten sie einem Gruselkabinett aus der Mitte des 20. Jahrhunderts: «Machen Sie mal Ihren Oberkörper frei!», «Hatten Sie Geschlechtsverkehr mit Männern oder mit Frauen?», «Wo haben Sie Ihre Partnerin beim Sex berührt?», «Lagen Sie oben oder unten?».
Im günstigsten Fall wird den Verhörten eine Krankheit diagnostiziert, im Fachjargon «Transsexualismus» genannt. Diese Krankheit, das ist die klare Anforderung des Gesetzgebers, muss unheilbar sein. Bestünde Aussicht darauf, dass sich das Geschlecht der zwangsuntersuchten Person noch einmal ändert, darf ihrem Antrag auf Änderung des staatlichen Geschlechtseintrags nicht stattgegeben werden. Hier wird nicht nur, wie beim Paragrafen 218, eine «Beratung» erzwungen, sondern auch die Entscheidung. Wohlgemerkt im Jahr 2018, nicht 1948! Müsste dann nicht auch vor einer Homo-Ehe überprüft werden, ob die Ehewilligen dauerhaft homosexuell sind oder nicht die Gefahr eines Rückfalls besteht? Oder vor einer Hetero-Ehe, ob es noch Hoffnung auf Heilung gibt?
Bereits der Name des infrage stehenden Gesetzes ist in seiner pathologisierenden Terminologie nicht mehr zeitgemäß. Es verfolgt den Zweck, geschlechtliche Bewegungen staatlich zu kontrollieren, indem es sie an repressive Auflagen, Überwachungs- und Zwangsmaßnahmen knüpft. Das ist auch dem Bundesverfassungsgericht nicht gänzlich entgangen. In den vergangenen Jahren riss es mehrere Löcher in das TSG. Ursprünglich verlangte das Gesetz von Menschen, die ihren staatlichen Geschlechtseintrag ändern lassen wollen, sich mithilfe einer Operation sterilisieren zu lassen. Diese Teile des Gesetzes dürfen laut Bundesverfassungsgericht nicht mehr angewendet werden. Ebenso wenig wie jener Gesetzesabschnitt, der von verheirateten Menschen, deren Geschlecht sich ändert, verlangt, sich scheiden zu lassen. Faktisch führte das Gericht damit bereits 2008 die Homo-Ehe ein.
Anders jedoch bei der gerichtlichen und psychiatrischen Psychopathologisierung von Menschen, die sich nicht der engen cisgeschlechtlichen*1 Norm fügen. Laut oberstem Gericht verletzt sie nicht die Würde der zwangsbeurteilten Menschen. Dabei wäre es ja nicht zu beanstanden, wenn Psychiaterinnen und Psychologen, Medizinerinnen und Richter über einen Geschlechtseintrag entscheiden – solange es ihr eigener ist.
Es ist lange überfällig: Das TSG muss ersatzlos gestrichen werden. Wer seinen Namen in offiziellen Dokumenten ändern will, geht, wie in Malta, Argentinien, Dänemark oder Irland, zum Bürgerinnenamt und lässt ihn dort ändern. Einen staatlichen Geschlechtseintrag jedoch braucht es ebenso wenig wie einen Sexualitätseintrag. Eine dritte Option würde das Elend staatlich zugewiesener Geschlechtlichkeiten lediglich abschwächen, es aber nicht beenden. Praktischer und bekömmlicher ist es, geschlechtliche Einträge in Geburtsurkunden wie Reisepässen ganz zu streichen. Es lebt sich besser ohne sie.
1 *«Cis» ist das lateinische Präfix für «auf dieser Seite, diesseits, binnen, innerhalb». Cis bezeichnet jene, die sich mit dem Geschlecht, das ihnen bei der Geburt zugewiesen wurde, identifizieren und sich entsprechend der Geschlechternormen verhalten.