Jeden Montag, Donnerstag und Sonntag bringt in Deutschland ein Mann seine Frau um. Die größte Gefahr geht dabei von deutschen Ex-Männern aus. Kann #metoo helfen, diese Todesspirale zu beenden?
Jeden Montag, Donnerstag und Sonntag bringt in Deutschland ein Mann seine Frau um. Der Satz, mit dem Frauenministerin Franziska Giffey soeben die neuesten Zahlen des BKA zu häuslicher Gewalt zusammengefasst hat, hat viele alarmiert. Umgekehrt vergehen zwischen den Morden von Frauen an ihren Männern im Schnitt 11 Tage. Die Kommentator*innen sind entsetzt, zur Primetime werden Ministerinnen befragt, der "Spiegel" macht Sonderberichterstattung und die "Zeit" findet, die Feministinnen mit ihrem #Metoo hätten das Thema aus der Wahrnehmung verdrängt. Das Gegenteil ist der Fall, liebe "Zeit". Dank #Metoo wird überhaupt erst so ausführlich berichtet.
Die Zahlen sind nämlich gar nicht neu. Voriges Jahr waren sie ähnlich, und im Jahr davor ebenfalls. Einen Trend kann man nicht ablesen, denn erhoben wird häusliche Gewalt erst seit 2015. Und dies dank der Beharrlichkeit der Feministinnen, die seit 40 Jahren Anti-Gewalt-Arbeit machen. Arbeit, von der die Journalist*innen, die heute so entsetzt nachfragen, Jahrzehnte lang nichts wissen wollten.
Was sie auch nicht hören wollten: der größte Teil der Täter ist deutscher Herkunft. Und nicht nur Frauen mit geringer formaler Bildung, sondern auch die mit sehr hohen Bildungsabschlüssen haben ein hohes Risiko, zusammengeschlagen oder ermordet zu werden. All das passt nicht in das Weltbild des deutschen Normaljournalismus. In diesem Weltbild haben die vereinzelten Opfer der Gewalt schlicht Pech gehabt. Die "Familientragödie" landet bei den vermischten Meldungen - es sei denn, ein Mensch mit Migrationshintergrund ist beteiligt. Dann gibt`s Schlagzeilen, und dann marschiert der Mob.
Gefahr Nr. 1: Ex-Männer deutscher Herkunft
Die meiste Gewalt geht von Ex-Männern aus. Die Trennung ist also die gefährlichste Situation für eine Frau in einer Beziehung, und zwar für jede Frau: Die Situation, in der sich nicht mehr macht, was der Mann will. Es gibt offenbar noch genügend Männer, die meinen, dass sie ihre Frau bestrafen, verprügeln, umbringen können, wenn diese nicht spurt.
Die Tatsache, dass unsere Gesellschaft an diesem Thema so gar kein Interesse hatte, zeigt, wie patriarchal sie noch ist. Jetzt sind alle entsetzt, dass es viel zu wenig Plätze in Frauenhäusern gibt, die Finanzierung jedes Mal ein Balanceakt ist und oft gar nicht funktioniert. Und dass die Täter und ihr toxisches Männlichkeitsbild vollständig im Dunkeln bleiben. Dass es da ein strukturelles Problem gibt. Erst nachdem die ersten prominenten Frauen, die Mittelschicht, das veröffentlichte "wir" von weiblicher Verletzbarkeit und männlicher Täterschaft redeten, erst mit #Metoo wird Solidarität mit den bisher kaum sichtbaren Opfern möglich.
Eigentlich sind Männer und Frauen ja beide gleich weich und verletzlich. Ein Ritz, und es fließt Blut. Aber die Schwelle, zur Gewalt zu greifen, ist bei Frauen erheblich höher als bei Männern. Und das hat etwas mit der Machtverteilung in der Gesellschaft zu tun. Männer werden bei uns traditionell zur Gewalt ermächtigt. Frauen nicht. Im Gegenteil. Ihnen wird erklärt, wie schutzbedürftig sie sind. Wie gefährlich die Welt für sie ist. Dass sie mit dem richtigen Training oder einer Waffe in der Hand jedem Mann ebenbürtig sein könnten, das sehen wir uns höchstens neuerdings im Kino an.
Männer üben Gewalt aus, weil sie es dürfen
Der Mann hat das Sagen, weil er Gewalt ausüben kann. Die Frau aber muss von ihm (und vor ihm) geschützt werden. Das ist der Kern des Patriarchats. Eine Fiktion. Von dieser Fiktion lebte etwa die Debatte um das Frauenwahlrecht, das gerade mal hundert Jahre alt ist. Eines der Hauptargumente damals, das umso populärer wurde, je näher der erste Weltkrieg rückte: Die Frau kann das Land nicht verteidigen, deshalb darf sie auch nicht mitbestimmen. (Man amüsierte sich jahrelang über Witz-Zeichnungen, die Frauen in Unterwäsche bei der Musterung zeigten.)
Man hatte aber auch Angst, dass die Frau, die sich politisch äußert, ihre "Weiblichkeit" verliere. Die bestand darin, dass sie ohne sich unnötige Gedanken zu machen das behagliche Heim und die Kleinen hütet und höchstens vom Gatten belehrt wird, heute sagt man mansplainen. Eine gebildete, politisch interessierte Frau, die könnte ja Widerworte geben, einen eigenen Kopf entwickeln, dem Mann die Gefolgschaft entziehen. Unabhängig werden. Da liegt die Verbindung zur häuslichen Gewalt: Die Frau, die nicht mehr macht, was der Mann will.
Dass Frauen so lange über dieses Machtgefälle schweigen, ist Kollaboration mit dem Patriarchat. Sie tun damit genau das, was Männer wollen. Eine déformation professionelle: Teilhabe an der Macht durch Anpassung. Ist ja so viel einfacher als Kampf. Und weniger gefährlich, siehe die Zahlen des BKA.
Wir leugnen die Machtfrage
Heute diskutieren wir im Nachgang zu hundert Jahren Frauenwahlrecht darüber, ob man das Parlament quotieren sollte. Ob das vereinbar mit der Demokratie sei. "Total ungerecht, totalitär, Nordkorea", tönt es. Eines wird dabei großzügig unter den Tisch fallen gelassen: Die Machtfrage. Die Quote versucht, den historischen Machtmangel der Frauen auszugleichen. Was sie noch nicht mal schafft. Denn ein quotiertes Parlament voller Frauen kann immer noch männerdominiert sein.
Sei es, weil Frauen auch heute noch kaum lernen, wie man Macht eigentlich nutzt und ausübt. Immer wieder kommen sie als historische Anfängerinnen in die Arena. Sei es, weil die Platzhirsche sie schon daran zu hindern wissen werden. Oder sei es, weil unser Diskurs so ist, wie er ist. Er leugnet die Machtfrage. Er tut so, als seien wir alle gleich. Die Tatsache, dass montags, donnerstags und sonntags eine Frau von der Hand ihres Mannes stirbt, nimmt er deshalb nur staunend zur Kenntnis. Die Frage, ob das Patriarchat nach #Metoo in Frage gestellt wird, können wir beantworten: Wenn dieses Staunen über männliche Gewalt diesmal Folgen hat, dann haben wir uns endlich mal wieder auf den Weg gemacht.