Die Ärztinnen und Verteidigerinnen des Informationsrechts von Frauen erhalten den Anne-Klein-Frauenpreis 2019.
Die Jury des Anne-Klein-Frauenpreises 2019 würdigt mit Kristina Hänel, Natascha Nicklaus und Nora Szász drei deutsche Ärztinnen für ihre beharrliche Verteidigung des Informationsrechts von Frauen. Die zwei Gynäkologinnen und die Allgemeinmedizinerin wurden wegen vermeintlicher Werbung für Schwangerschaftsabbrüche angezeigt. Das wird als Verstoß gegen §219a Strafgesetzbuch beurteilt. Alle drei weigern sich, die Information über ihre ärztliche Leistung von ihren Webseiten zu nehmen. Die drei Ärztinnen führen einen gerichtlichen und öffentlichen Streit um das freie Informationsrecht von Frauen und für die Abschaffung von §219a STGB, der bis vor das Bundesverfassungsgericht gebracht werden könnte.
Begründung der Jury
Kristina Hänel, Allgemeinmedizinerin mit eigener Praxis im hessischen Gießen, ist im Dezember 2017 zu einer Geldstrafe in Höhe von 6000 Euro verurteilt worden, weil sie auf ihrer Website über die Möglichkeiten des Schwangerschaftsabbruchs informierte. Hintergrund ist der umstrittene Paragraf 219a ("Werbung für den Abbruch der Schwangerschaft"). Das Gesetz verbietet das öffentliche Anbieten, Ankündigen oder Anpreisen von Schwangerschaftsabbrüchen. Mittlerweile ist Kristina Hänel auch in der Berufungsverhandlung und damit rechtskräftig verurteilt worden; das Landgericht Gießen äußerte aber Zweifel an der Verfassungsmäßigkeit des Werbeverbots. Indirekt forderte es eine politische Entscheidung in der Sache. Die Gerichte seien "in solchen Dingen überfordert". An die Adresse Hänels hieß es: "Sie müssen das Urteil tragen wie einen Ehrentitel in einem Kampf für ein besseres Gesetz."
Natascha Nicklaus und Nora Szász sind Frauenärztinnen und haben in Kassel eine gynäkologische Gemeinschaftspraxis. Auch sie führen Schwangerschaftsabbrüche durch und listen diese ärztliche Leistung neben vielen weiteren auf ihrer Webseite auf. Auch sie wurden 2017 wegen Verstoßes gegen §219a angezeigt. Ihr Prozess Ende August 2018 wurde nach einer ersten Verhandlung zunächst unterbrochen und mittlerweile ausgesetzt; es wird ein neuer Prozess angestrebt, bei dem die Hauptverhandlung wieder bei null beginnen wird.
Allen dreien gemeinsam geht es mit ihrer Weigerung, die von ihnen angebotene ärztliche Leistung von den Webseiten zu entfernen, um Grundsätzliches: Sie wenden sich gegen die zunehmende Einschränkung ihrer ärztlichen Kompetenzen, die eine direkte Konsequenz der Kriminalisierung des Informationsrechts für Frauen zum Schwangerschaftsabbruch ist. Ärztinnen und Ärzte haben die Pflicht, über notwendige medizinische Leistungen umfangreich aufzuklären und damit auch über den von ihnen angebotenen medizinischen Leistungskatalog. Die drei mutigen Ärztinnen treten aber auch dafür ein, dass ihre Patientinnen die Möglichkeit haben, angemessen informiert und von der Ärztin ihres Vertrauens beraten zu werden. Sie streiten damit für nichts weniger als für die Selbstbestimmung von Frauen und für die ärztliche Souveränität bei Entscheidungen zu einem Schwangerschaftsabbruch.
Mediziner/innen werden heute von selbsternannten Lebensschützer/innen angezeigt, diffamiert und bedroht. Ein Schwangerschaftsabbruch soll heute wieder im Verborgenen stattfinden. Mit dem Anne-Klein-Frauenpreis ehrt die Jury stellvertretend drei Ärztinnen, die dieser Entwicklung Einhalt gebieten und mutig für neue gesetzliche Grundlagen kämpfen.
Anne Klein, die Stifterin des Anne-Klein-Frauenpreises, hat sich als Juristin und Feministin immer für die Entkriminalisierung des Schwangerschaftsabbruchs in Deutschland und für das Selbstbestimmungsrecht von Frauen eingesetzt. Sie wäre heute eine Mitstreiterin der drei Ärztinnen Hänel, Nicklaus und Szász.
Der Paragraf 219a verletzt die Grundrechte auf Berufs- und Informationsfreiheit, das Patientinnenselbstbestimmungsrecht und das Gebot der Gleichberechtigung. Mit den Medizinerinnen Kristina Hänel, Natascha Nicklaus und Nora Szász würdigt die Jury ihren Mut, nicht wie viele andere kleinbeizugeben, sondern eine alle Frauen betreffende Grundsatzfrage auszufechten, ungeachtet dessen, ob Frauen dieses Recht in Anspruch nehmen wollen oder nicht.
Kristina Hänel, Natascha Nicklaus und Nora Szász zeigen beispielhaft, wie durch Zivilcourage den systematischen Zermürbungstaktiken von rechts begegnet werden kann. Sie sind damit ein Vorbild für alle, besonders für junge Frauen.
Der Jury des Anne-Klein-Frauenpreises gehören an:
- Barbara Unmüßig, Vorstand Heinrich-Böll-Stiftung, Juryvorsitzende
- Renate Künast, MdB, Bündnis90/Die Grünen
- Prof. Dr. Michaele Schreyer, Vize-Präsidentin des Netzwerks Europäische Bewegung Deutschland
- Jutta Wagner, Rechtsanwältin, ehemalige Präsidentin des Deutschen Juristinnenbundes
- Thomas Herrendorf, Inneneinrichter
Berlin, den 26. November 2018
Kontakt: Ulrike Cichon, E-Mail: cichon@boell.de T (030) 285 34-112