Gesichter des Feminismus

Portrait

Sie haben sich entschieden, nicht zu schweigen, haben an „die Würde der Frau“ appelliert und die Regierung zu einem neuen Gesetzentwurf des Paragrafen 219a bewegt: Die Ärztinnen Kristina Hänel, Natascha Nicklaus und Nora Szász erhalten den Anne-Klein-Frauenpreis 2019.

Anne-Klein-Frauenpreis: Portraits von Celebi Linden / Skripietz Fotografie

Dieser Satz, der nicht erst im Nachhinein wie eine Selbstverständlichkeit klingt, war ihnen ein Kampf – zu ihrem Kampf geworden: eine Ärztin darf auf ihrer Homepage schreiben, dass sie Schwangerschaftsabbrüche durchführt und Informationen dazu geben.

Drei Ärztinnen haben sich in den vergangenen anderthalb Jahren für diesen Satz eingesetzt. Dafür, dass er gesetzlich gedeckt wird und eine Gesellschaft durchdringt, in der die Frauenbewegung zuletzt für ihr fünfzigjähriges Bestehen gefeiert wurde. Dafür, dass dieser Satz in Köpfe sickert, in denen man sich wieder häufiger zu fragen scheint: Schwangerschaftsabbrüche, sollte man wirklich offen über die reden? Offen über sie informieren? Sind die überhaupt in Ordnung?

Die Frauen haben Anfeindungen und Anzeigen erhalten. Sie haben sich Gerichtsverfahren gestellt und Parteien gespalten, sie haben den Anstoß zu einem neuen Gesetzentwurf gegeben und wieder und wieder erklärt, Paragraf 219a im Strafgesetzbuch verletze „die Würde der Frau“: Kristina Hänel, Natascha Nicklaus und Nora Szász haben das Bild eines Feminismus geprägt, der an einem Tag 5.000 Menschen in dreißig Städten protestieren ließ. Sie sind die Gesichter eines Feminismus, der Zeitungs- und Bundestagsdebatten bestimmt hat und Femen-Aktivistinnen während des „Hänel-Prozesses“ das Gerichtsgebäude stürmen ließ – auf ihre nackten Oberkörper „Stop War On Women“ geschrieben. Und: „Mein Bauch gehört mir“.

Kristina Hänel, Gießener Allgemeinmedizinerin, eine Marathonläuferin, 62 Jahre alt. Zwei Kinder, fünf Enkel. Sie legt ihr Staatsexamen ab, als sie selbst schwanger ist, und wird von einer Frauenbewegung geprägt, in der Medizinstudentinnen nach Holland fahren, um dort Schwangerschaftsabbrüche zu lernen – und dann zurück nach Deutschland fahren, um sie selbst durchzuführen und zu lehren.

Kristina Hänel wird Mitglied im Arbeitskreis Frauengesundheit, Notärztin im Rettungsdienst, Mitgründerin eines Vereins gegen sexuellen Missbrauch von Mädchen. Mehr als 30 Jahre versorgt sie Patientinnen und Patienten, als sie im April 2015, zum wiederholten Mal, von Abtreibungsgegnern wegen „Werbung für den Abbruch der Schwangerschaft“ angezeigt wird – weil sie auf ihrer Website darüber informiert, in ihrer Praxis Schwangerschaftsabbrüche vorzunehmen. Damals noch: ein Verstoß gegen Paragraf 219a. Im November 2017 wird sie zu einer Geldstrafe von 6.000 Euro verurteilt. Hänel legt Revision ein und verliert auch in der nächsten Instanz. Der Richter verkündet, sie müsse das Urteil tragen wie einen Ehrentitel im Kampf für ein besseres Gesetz.

Nora Szász: Mutter eines zwanzigjährigen Sohnes und „ein glücklicher Mensch“, wie sie sagt. „Aktiv, seit ich aktiv sein kann.“ In der dritten Klasse als Klassensprecherin aktiv, später in der Demokratischen Fraueninitiative aktiv. Nora Szász wird Hebamme – und hört sich, noch später, am Anfang ihres Medizinstudiums um: „Gib es hier eigentlich eine Frauengruppe?“ Weil es keine gibt, gründet sie selbst eine. 1987 wird sie wegen Verleumdung angeklagt, weil sie sich als Studentensprecherin wehrt – gegen die sexuellen Übergriffe eines Gynäkologieprofessors gegen Studentinnen. Sie wird freigesprochen.

Natascha Nicklaus: 1970 geboren, in Marburg studiert und ihr Coming-Out gehabt. Feministische Themen sind seit jeher ihre: Natascha Nicklaus leitet Selbstverteidigungskurse, sie arbeitet beim Notruf für vergewaltigte FrauenLesbenMädchen. Sie gründet die Gruppe „Lesben im Gesundheitswesen“ mit und engagiert sich für die adäquate Versorgung von Frauen nach Vergewaltigungen oder Gewalterfahrungen.

Auf einer Tagung des Arbeitskreis Frauengesundheit, in dem sie seit vielen Jahren aktiv sind, lernen sich die beiden kennen. Mittlerweile führen Nora Szász und Natascha Nicklaus seit sieben Jahren eine gynäkologische Gemeinschaftspraxis in Kassel. Auch sie werden dafür angezeigt, dass sie auf ihrer Website angeben, Schwangerschaftsabbrüche vorzunehmen – und öffentlich zu „Tötungsspezialisten“ erklärt. Die zwei Ärztinnen wählen denselben Weg wie Kristina Hänel: Sie entscheiden sich für die Öffentlichkeit und dafür, nicht zu schweigen. Diesen Spiegelstrich von ihrer Homepage streichen – „Schwangerschaftsabbruch“ – weil sogenannte „Lebensschützer“ sie einschüchtern wollen? Auf gar keinen Fall. „Wir haben keine Angst“, sagt Szász. „Unserer Berufsgruppe fällt die Aufgabe zu, ungewollt schwangeren Frauen zu helfen.“

Im Sommer 2018 stehen auch sie und Natascha Nicklaus vor Gericht. Wegen eines Befangenheitsantrags gegen den Richter wird die Verhandlung abgebrochen. Der geplante Prozesstermin im Januar dieses Jahres wird jedoch verschoben: Man will den Regierungsentwurf abwarten. Sehen, ob sich CDU und CSU von der Forderung überzeugen lassen, die SPD, FDP, Grüne und Linke längst stellen: Abschaffung des Paragrafen! Weg mit 219a.

Und dann?

Klappt es nicht. 219a soll bleiben. Aber, so sieht es der Gesetzentwurf im Januar vor, mit einer Ergänzung: Ärztinnen und Ärzte dürfen auf ihren Webseiten schreiben, dass sie Schwangerschaftsabbrüche durchführen. Sie dürfen bloß weiterhin nicht sagen, wie. Keine Angaben zu Methoden, keine Details. Stattdessen soll es online Listen geben, die aufführen, was welcher Arzt, welche Ärztin, anbietet. Diese Ergänzung ist auch ihr Erfolg – Kristina Hänels, Nora Szász' und Natascha Nicklaus'.

Oder?

Nein, viel zu wenig, finden die drei Frauen. Gerade aus feministischer Perspektive. „Zufrieden bin ich erst, wenn Frauen keine Schwierigkeiten mehr haben, an die für sie relevanten Informationen zu kommen“, sagte Nora Szász gegenüber der taz, als der Gesetzentwurf vorgelegt wurde. Und Kristina Hänel erklärte gegenüber der dpa: „Das ist eine staatliche Zensur.“

Sie werden wohl weitermachen.