Perfektes Timing: Wie Frauen am Theater sich gegen Benachteiligung organisieren

Hintergrund

Geschlechtergerechtigkeit am Theater? Lange eine Marginalie. In der Spielzeit 2017/18 war die Frauenfrage dann das Debattenthema Nummer Eins im Betrieb. 

Geschlechtergerechtigkeit am Theater: Zwei Frauen auf der Bühne

Parallel zur gesellschaftsweiten Diskussion um #MeToo ging es am Theater auch, aber nicht vorrangig um sexuelle Übergriffe – diskutiert wurde über Machtmissbrauch und strukturelle Defizite: ein noch immer allzu hierarchisch strukturiertes Arbeitsfeld; den geringen Anteil von Frauen in den leitenden Positionen der Stadt- und Staatstheater; die Ambivalenz, dass auf der Bühne politisches und sozialkritisches Handeln angemahnt, hinter der Bühne aber über Missstände geschwiegen wird – aus Angst, nicht mehr engagiert zu werden oder den üblicherweise befristeten Arbeitsvertrag nicht verlängert zu bekommen.

Faktisch bestanden die Missstände bereits seit vielen Jahren, wurden aber kaum benannt oder als Nischenthema abgetan: «Es gab und gibt viel weniger Regisseur*innen und Autor*innen auf den Spielplänen – die Quote wird noch schlechter, wenn man auf die großen Bühnen fokussiert», beschreibt es Maria Nübling, die Mitgründerin des Ende 2014 via Facebook in Erscheinung getretenen Netzwerks «Theater.Frauen»: «Frauenrollen sind und waren in vielen Fällen immer noch primär in Abhängigkeit zu männlichen (Haupt-)Rollen definiert und und und […] Auf der anderen Seite gibt und gab es in vielen theaterrelevanten Studiengängen einen großen Anteil weiblicher Studierender.» Je höher also ein Posten auf der Karriereleiter, je besser bezahlt, desto geringer der Anteil der Frauen – diese in manch anderen akademischen Berufen anwendbare Regel gilt auch im öffentlich geförderten Theater. Schon 2011 war in der Fachzeitschrift Theater heute zu lesen, dass von den damals 124 Intendanzen in Deutschland nur 19 von Frauen besetzt waren. Warum also wurde so spät erst breit über Gleichstellungsfragen am Theater berichtet?

Verstärkend für die Wucht der Debatte wirkten, neben dem bereits erwähnten #MeToo-Effekt, auch die Vernetzungsmöglichkeiten der Sozialen Medien, die Gleichgesinnte und Interessengruppen wesentlich schneller zusammenschließen. Aber die wohl wichtigste Vorbedingung für die Formierung schlagkräftiger Lobby-Gruppen und deren breite Rezeption war die 2016 veröffentlichte Studie «Frauen in Kultur und Medien» des Deutschen Kulturrats.

Kulturstaatsministerin Monika Grütters hatte diese in Auftrag gegeben. Auf Grundlage der Studie könne nun jede/r «Defizite klar benennen und durch harte Fakten untermauern», wie Grütters zum Abschluss ihres Runden Tisches «Frauen in Kultur und Medien» 2017 mitteilte. Theater-Frau Maria Nübling bestätigt diese Aussage: Vor Veröffentlichung der Kulturrats-Studie sei die Debatte – in Ermangelung belastbarer Zahlen zur Beschäftigungs- und Einkommenssituation von Frauen im Kunst- und Kultursektor – im Privaten verhaftet geblieben und die Argumentation in eigener Sache schwergefallen. «Man war auf subjektive Erfahrungen, einzelne Beobachtungen, den privaten Austausch mit Kolleg*innen angewiesen. Was nicht wirklich nachzuweisen ist, ist auch nicht da – oder nur als diffuses Gefühl, aber das bietet nur bedingt eine wirkliche Protestgrundlage.»

Welche Protestgrundlage lieferte die 2016 veröffentliche Studie? Nun, das Zahlenbild war eindeutig: 78 Prozent der Stadt- und Staatstheater werden von Intendanten geleitet. 78 Prozent aller Inszenierungen auf den großen Bühnen stammen von Regisseuren. 76 Prozent der aufgeführten Autor/innen sind Männer. Im Umkehrschluss bedeutet das: Der Frauenanteil in den mit Macht bzw. künstlerischer Freiheit ausgestatteten Theaterberufen liegt bei weniger als einem Viertel.

Höher ist der Anteil an Frauen bei den zuarbeitenden Tätigkeiten – wer hätte es gedacht? 48 Prozent der Dramaturg/innen und 51 Prozent der Regieassistent/innen sind weiblich. Gar 80 Prozent Frauen sind es bei den Souffleur/innen oder vielmehr: Souffleusen. Auch bei den Gagen klafft eine Gerechtigkeits-Lücke, welche deutlich den gesellschaftsweiten Gender Pay Gap von 21 Prozent übersteigt: 36 Prozent weniger als ihre männlichen Kollegen bekommen freie Theaterregisseurinnen, Filmemacherinnen und Choreographinnen; nicht fest engagierte Schauspielerinnen sogar 46 Prozent weniger.

Diese Zahlen haben sich in den 20 Jahren, die von der Kulturrats-Studie abgedeckt werden, kaum verbessert: 19 Prozent Intendantinnen gab es 1994; im Jahr 2014 waren es 22 Prozent. Folgerichtig schreiben die Studien-Autor/innen Gabriele Schulz, Carolin Ries und Olaf Zimmermann: «Die Leitung von Theatern ist eine Männerdomäne».

Spätestens nach dieser Veröffentlichung war klar: Es besteht Handlungsbedarf, um die strukturelle Diskriminierung von Frauen in Kulturinstitutionen zu überwinden (und, das sei betont, gleichermaßen die Teilhabe-Möglichkeiten für andere bislang weitgehend marginalisierte Gruppen wie People of Color oder Theaterschaffende mit Behinderung zu erhöhen). Die Gleichstellung von Männern und Frauen ist ein im Grundgesetz verbrieftes Recht, so wie der staatliche Auftrag, sie tatsächlich durchzusetzen beziehungsweise auf die Beseitigung bestehender Nachteile hinzuwirken. Politische Maßnahmen einzufordern bedeutet mithin lediglich, geltende Grundrechte anzumahnen.

Nach Veröffentlichung der Kulturrats-Studie rumorte es in der Theaterwelt. Im Oktober 2017 ging eine Gruppe um die Regisseurinnen Angelika Zacek und France-Elena Damian mit ihrem nach Vorbild von Pro Quote Medien und Pro Quote Film gegründeten Verein «Pro Quote Bühne» an die Öffentlichkeit: Auf dem Höhepunkt der Berichterstattung über den Fall Harvey Weinstein forderten sie in einer Pressekonferenz die 50-Prozent-Quote in allen künstlerischen Ressorts und Führungspositionen am Theater. Dieser Vorstoß wurde medial breit wahrgenommen. «Das Timing war perfekt, und die lange professionelle Vorbereitungszeit hat sich gelohnt», erinnert sich die Vorstandsvorsitzende Angelika Zacek.

Konkret will Pro Quote Bühne in fünf Jahren die Parität erreicht sehen. Ihre utopisch klingende Forderung hat in der Wirtschaft längst ein reales Vorbild: In börsennotierten deutschen Unternehmen gilt, nach langer Lobbyarbeit von Frauenverbänden und -initiativen, seit 2016 eine gesetzliche Frauenquote von 30 Prozent für neu zu besetzende Aufsichtsratsposten. Heute, nach nur zwei Jahren, ist diese Quote erreicht – während der lediglich auf einer Selbstverpflichtung beruhende Frauenanteil in den Vorständen derselben 160 Unternehmen laut Allbright-Stiftung nach wie vor bei nur 8 Prozent liegt. Braucht es weitere Belege dafür, dass eine verbindliche Quote oder ein Paritätsgrundsatz einen nötigen strukturellen Wandel beschleunigt?

Pro Quote Bühne hat das Anliegen mittlerweile unter anderem allen politischen Parteien im Bundestag, dem Berliner Abgeordnetenhaus und dem Arbeitgeberverband «Deutscher Bühnenverein» vorgestellt. Auch an Theatern oder Universitäten wirbt der Verein für Bewusstseinsschärfung. «Der Zeitpunkt für eine solche Lobbyarbeit ist gut», schrieb denn auch die Journalistin Petra Kohse in der Frankfurter Rundschau: «Es gibt ein Momentum für Emanzipation in vielen Bereichen.» Auch Maria Nübling benennt ein Zusammenwirken vieler Faktoren, welche den Theaterfrauen 2017 einen Schub verliehen: «Die relativ zeitgleiche Popularität von #MeToo, der Studie des Deutschen Kulturrats, der Gründung des Projektbüros für Frauen in Kultur und Medien und Bewegungen und Initiativen wie ensemble-netzwerk, Pro Quote Bühne, Initiative für Solidarität am Theater und vieler mehr hat das Thema Gleichstellung am Theater dann im öffentlichen Diskurs verankert und endlich für den nötigen Aufschrei gesorgt.»

Diverse Initiativen – teils seit Jahren rege tätig, auf zumeist ehrenamtlicher Basis – wurden erkennbar als Teil einer Frauenbewegung oder: einer Reformbewegung an den Stadt- und Staatstheatern. In einem Offenen Brief der Burgtheater-Belegschaft ging es, durchaus selbstkritisch, um die Machtverhältnisse zwischen Regisseur/innen und Theatermitarbeiter/innen, aber auch um die Verantwortung aller Beteiligten, zu einem auskömmlichen Arbeitsklima beizutragen. Im schon zwei Jahre zuvor gegründeten «ensemble-netzwerk» setzen sich insbesondere Schauspieler/innen für bessere Arbeitsbedingungen ein: Mitgründerin Lisa Jopt benannte im Zuge von #MeToo Versäumnisse bei Gewerkschaften und dem Deutschen Bühnenverein, forderte Transparenz und ermunterte dazu, die eigenen Anliegen selbstbewusst zu formulieren. Pro Quote Bühne wiederum setzt sich auch ein für familienfreundliche Arbeitsbedingungen, Gagentransparenz und Männergagen für alle sowie die paritätische Besetzung von Fördergremien und Findungskommissionen.

Neben konkreten (kultur-)politischen Forderungen und langfristiger Lobbyarbeit standen in der Spielzeit 2017/18 auch Vernetzung und Solidarität im Fokus. Zentral hierfür war im März 2018 die Konferenz «Burning Issues» am Bonner Theater, wo die ensemble-netzwerk-Mitgründerin Nicola Bramkamp als Schauspieldirektorin arbeitete. Im November 2018 trafen sich die Aktivist/innen bei dem vom Frauenkulturbüro NRW organisierten Symposium «Wonderlands – Führungspositionen in den Performing Arts» am Schauspiel Düsseldorf. Neben diesen Leuchtturm-Ereignissen organisierte sich die Bewegung aber auch auf lokaler Ebene: Stammtische wurden ins Leben gerufen, in München, Berlin oder Hamburg.

Dezidiert politisch sieht man dort die eigene Arbeit – als Selbstermächtigung. Diese Treffen dienen nicht nur dem Austausch eigener Erfahrungen, sondern durch Einladung von Referent/innen zu bestimmten Themen auch konkret der Weiterbildung. Nach einem Jahr: Wie weiter? Erreicht ist, nach etwas mehr als einem Jahr breitenwirksamer Debatte und konzentrierter Lobbyarbeit, ein Bewusstseinswandel. Von einer Umkehr der Beweislast sprach Janina Benduski, die Vorsitzende des Bundesverbandes Freier Darstellender Künste, bei einem Branchentreff in Berlin: In tendenziell noch stark männlich geprägten Theatergremien und -verbänden müssten nun eher die Intendanten erklären, warum sie sich nicht für Gleichstellung einsetzten. Die Frauen-Forderungen scheinen Konsens. Und häufen sich nicht auch die Meldungen über Berufungen von Frauen oder Kollektiven in die Leitungsebenen von Theatern und Festivals?

Inwiefern das stimmt, müssen Zahlen des Deutschen Bühnenvereins belegen oder die unter dem Titel «ABC der (Un)Gleichheit» veröffentlichte Statistik der Theater. Frauen auf Facebook. Übersichtlich sind bislang noch die konkreten Ergebnisse: Im Juni 2018 verabschiedete der Bühnenverein einen «wertebasierten Verhaltenskodex» zur Prävention von Machtmissbrauch an Theatern und stellte die paritätische Besetzung seiner Gruppenvorstände und Gremienpositionen in Aussicht – «in absehbarer Zeit». Ein häufig genanntes Positivbeispiel ist der Spielplan am Badischen Staatstheater Karlsruhe, den die neue Schauspieldirektorin Anna Bergmann in der Spielzeit 2018/19 zu 100 Prozent mit Regisseurinnen bestreitet (siehe Interview auf Seite 24f.). In Frankfurt am Main erwirkte Pro Quote Bühne eine Anfrage der Linken-Fraktion in der Stadtverordnetenversammlung; sie ergab ein besonders deutliches Geschlechter-Ungleichgewicht am Schauspiel Frankfurt. Auf der großen Bühne inszenierte dort in der Spielzeit 2017/18 keine einzige Frau. Das fürs gesamte Theater ausgewiesene Viertel Regisseurinnen arbeitete also – wie in der Tendenz an vielen Häusern – ausschließlich an den kleinen Spielstätten.

Um jetzt langfristig politische Ergebnisse zu erreichen, müssen die Initiativen den öffentlichen Druck aufrechterhalten und, so Pro Quote Bühne, «medial im Gespräch bleiben». Erforderlich für diese Lobbyarbeit sind Ressourcen: Zeit, Geld, Muße, wie es die «Initiative für Solidarität am Theater» formuliert. Das sind knappe Güter im Theaterbetrieb mit seiner hohen Produktionsdichte, den langen Arbeitszeiten, dem unsicheren Beschäftigungsstatus und der vergleichsweise geringen Bezahlung. Insbesondere Kulturstaatsministerin Monika Grütters, die sich die Gleichstellung auf die Fahnen geschrieben hat, muss verstärkt auf verpflichtende Regelungen hinwirken; das beim Runden Tisch «Frauen in Kultur und Medien» erarbeitete Papier mit Verbesserungsvorschlägen ist wohl weitgehend in der Schublade verschwunden. Damit Geschlechtergerechtigkeit nicht wieder zur Marginalie wird, ist die Politik zum Handeln aufgefordert – und der Frauenbewegung am Theater Beharrlichkeit und Ausdauer zu wünschen.

 

Weiterlesen: Auf nachtkritik.de

Interview mit der Regisseurin und Karlsruher Schauspieldirektorin Anna Bergmann über Geschlechtergerechtigkeit und die Frauenquote im Theater "Von allein ändert sich nichts", Anna Bergmann im Interview mit Anne Peter.

Theater und politische Bildung – geht das überhaupt zusammen?
Ein Text des Theaterkritikers Christian Rakow, der das gemeinsame Spielfeld von Theater und politischer Bildung genauer ausleuchtet.

 

Dieser Artikel erschien ursprünglich auf boell.de.