Postfeminismus und post race sind Debatten der Vergangenheit und des sogenannten post-Internet age. Das Internet entpuppt sich als Kristallisationspunkt eines zunehmenden Rassismus. Mehr noch: Das Internet ist eine von kolonialistischen Kontinuitäten hervorgebrachte Medientechnologie.
Im Züricher Migros Museum für Gegenwartskunst wird derzeit die Gruppenausstellung Producing Futures - An Exhibition on Post-Cyber-Feminism gezeigt. Im Magazin für Kunst und Leben Monopol wird diese Ausstellung von Anika Meier, Kuratorin der jüngst in Leipzig zu sehenden Schau Virtual Normality. Netzkünstlerinnen 2.0, verrissen. Was ist da los, möchte frau* fragen, scheinen doch beide Schauen um Positionen der ((post-)cyber-)feministischen Netzkunst bemüht. Genau in diesen Einklammerungen von Feminismus bzw. Cyberfeminismus liegt der Hund begraben. Ihn auszubuddeln bedeutet, sich heute kritisch mit dem Verhältnis des Feminismus zum Internet damals auseinanderzusetzen. Schließlich war Cyberfeminismus Teil eines politischen Diskurses des Sprechens über Postfeminismus. Heute also über Post-Cyber-Feminismus zu diskutieren, bedeutet, sich kritisch ins Verhältnis zu einer Zeit zu setzen, die argumentierte, postfeministisch zu sein. Ähnlich verhält es sich mit Kolonialismus. Wer in den 1990ern (wie Bill Clinton) behauptete, die USA seien post-race, weiß heute (und wusste auch schon damals), dass dies nur ein schlechter Scherz sein konnte. Das Internet ist dabei einer der Kristallisationspunkte, an denen sich die Farce der Behauptung, Beschränkungen aufgrund von race seien überwunden worden, ablesen lässt. Im Folgenden geht es mir jedoch nicht nur um den Rassismus, der sich im Internet abspielt, sondern um den Rassismus des Internets als einer von kolonialistischen Kontinuitäten hervorgebrachten Medientechnologie.
Wired - koloniale Geografien des Internets
Insbesondere die Rhetoriken kabelloser Kommunikation und dezentralisierter Netzwerke haben dazu geführt, digitale Kommunikation als von materiellen Bedingungen und Auswirkungen entkoppelt zu betrachten. Tatsächlich sind es aber die Ressourcen, Körper und Geografien marginalisierter Menschen und Regionen, die ermöglichen, dass sich die Mehrheit – unterstützt durch visuelle Metaphern der Cloud – unbeschwert fühlen kann. Aber: „Internet is not in the Cloud“, wie Tabita Rezaire in ihrem Video-Essay Deep Down Tidal schreibt. Internet beruht auf einem sich auch im Materiellen vollziehenden Kolonialismus. Das betrifft geografische wie auch physische Aspekte.
DEEP DOWN TIDAL - TABITA REZAIRE
Direkt auf Vimeo ansehenIn Deep Down Tidal wird deutlich, dass die vermeintlich kabellose Kommunikation darauf beruht, dass die Meeresböden von einem Netz an Glasfaserkabeln durchzogen sind. Die Routen dieser Kabel folgen denen der Telegraphenkabel, die wiederum den Routen der Sklavenschiffe folgen. Die digitale Kommunikation der Gegenwart folgt den Kartierungen kolonialer Geografien. Obwohl das Internet als Raum der sozialen Mobilität vermarktet wird, verläuft es entlang historischer und politischer Linien, die Ungleichheiten in seine DNA einbringen. Nicole Starosielski nennt dies die geografische Stasis der digitalen Umgebung. Zu dieser Stasis rechnet sie auch die „konservative Natur der Kabelindustrie“. Weil die Kabeltechnologien dafür hergestellt werden, mindestens 25 Jahre zu halten, und immer wieder auf altbekannte Installationstechniken zurückgegriffen wird, dehnt sich die Zeit des territorialen Kolonialismus digitaler Kommunikation aus.
Kolonialismus durch Geografie, wie ihn schon Edward Said beschrieben hat, findet auch an den Enden der Glasfaserkabel statt. Aufgrund der Verlegung von Glasfaserkabeln entlang der Schiffsrouten des frühen Kolonialismus stellen die Orte, an denen die Kabel ans Licht der Öffentlichkeit treten, Regionen der kolonialen Beraubung dar, die nachwirkt. „The same beach that makes possible the landing of communication cables (...) is also a temporary dwelling for some of the least mobile Hawaiians“[i], schreibt Starosielsi bezogen auf das Beispiel der Insel O´ahu, die eine von vielen Kabelstationen ist. Die Grenzenlosigkeit im Internet wird durch die neuerliche Immobilisierung der bereits historisch von Kolonialismus betroffenen Menschen erreicht. Ähnlich verhält es sich mit Datenzentren, die von den großen Kommunikationsunternehmen gezielt dort errichtet werden, wo sich entweder ein ökonomischer Nutzen herausziehen lässt oder wo von einer politisch unklaren Situation profitiert werden kann, die auf Kolonialismus zurückzuführen ist.[ii]
Mining – Stoffe des digitalen Kolonialismus
Dem Mythos der Dematerialisierung des Internets bzw. der Dekonstruktion von zum Beispiel Identität durch das Internet, wie es der Diskurs um post-race zu suggerieren versucht, steht nicht nur gegenüber, dass digitale Erfahrungen immer im Zusammenhang mit Umgebungen erfolgen, deren Teil Hardware ist, also das Tablet, das ich berühre, der Stuhl, auf dem ich sitze, das Foto meiner Freundin neben dem Bildschirm. Ihm widersetzt sich auch, dass jede Datenübertragung im Kabel nicht nur auf den Stoffen beruht, die zu ihm verarbeitet wurden, sondern auf der Arbeitskraft, die es brauchte, diese Stoffe abzubauen, und auf der Energie, die aufgewendet werden muss, um die Stoffe zu fördern. Alle drei – Stoffe, Arbeitsaufwand, Energie – lassen sich nicht ohne die kolonialen Bedingungen der globalen Kommunikationsindustrie verstehen. Denn wenn James Bridle schreibt, dass die Cloud mit Kohle beginnt[iii], dann darf er nicht verschweigen, dass deren Abbau in Regionen ausgelagert wird, die unter vermeintlich dekolonialen Bedingungen versuchen, ökonomisch funktionierende Staaten aufzubauen. Auch der Umstand selten vorkommender Elemente in den Technologien unserer digitalen Welt führt dazu, dass sich Ausbeutungsverhältnisse verstärken werden. In Glasfaserkabeln steckt zum Beispiel Germanium, ein chemisches Element, das nur in geringen Konzentrationen in sehr seltenen Sulfid-Mineralien, wie Argyrodit, vorkommt. Aufgrund kaum nennenswerter reiner Germaniumlagerstätten, erfolgt die Gewinnung des Elements als Nebenprodukt der Zinkerz-Verarbeitung. Wenngleich die von der Deutschen Forschungsgemeinschaft prämierte, neue Schätzmethode des Helmholtz-Institut Freiberg für Ressourcentechnologie (HIF) besagt, der Bedarf an Germanium sei für die wirtschaftliche Ausbeute gut gedeckt und „im geologischen Sinne [nicht] kritisch“[iv], ist die Intensivierung des Abbaus unvermeidlich. Die kolonialen Geschichten der Erz-Minen werden daher zunehmend die technologische Gegenwart heimsuchen. Mehr noch: Bisher von der Extraktion verschonte und oftmals indigene Regionen rücken ins Zentrum der Aktivitäten. Marisol de la Cadena nennt diese Regionen das anthropo-not-seen, also vom Anthropozän noch übersehene Gebiete. Indem sie gegen den Willen der Indigenen und gegen die deren Rechte sichernden Konventionen für Erz- und auch Ölgewinnung angeeignet werden, geraten sie ins Sichtfeld des Anthropozäns. Damit hat die Cloud nicht nur einen ökologischen Fußabdruck, sondern einen kolonialen – und das nicht zu knapp.
[i] Nicole Starosielski: The Undersea Network, Durham: Duke University Press, 2015: x.
[ii] James Bridle: New Dark Age. Technology and the End of the Future, London: Verso, 2018: 23.
[iii] Bridle: Age, 124, „Digital Power Group, ‘The Cloud Begins With Coal – Big Data, Big Networks, Big Infrastructure, and Big Power’, 2013, tech-pundit.com.
[iv] Jahresproduktion von Gallium und Germanium könnte viel höher sein, in: https://www.hzdr.de/db/Cms?pOid=47950&pLang=de&pNid=99, letzter Zugriff: 11. Februar 2019.