Als Kimberlé Crenshaw nach Paris kam…

Intersektionalität im akademischen Raum - "Dank Intersektionalität wurde mir klar, wie sehr ich mich selbst beschränkt hatte, um mich dort einzufügen, wo ich weder erwartet wurde noch erwünscht war."

…war das, als erblühe eine Oase in der Wüste. So lang hatten mir die Worte gefehlt, um die Ketten des französischen Universalismus zu sprengen, der mein Selbstgefühl als Schwarze Frau* gefangen gehalten hatte. Ich war begeistert, nicht nur, weil ich zum ersten Mal dem Vortrag einer Schwarzen Frau* beiwohnte, sondern auch, von Intersektionalität zu hören, inmitten der akademischen Welt Frankreichs, wo das Wort „Rasse“ immer noch mit Anführungszeichen in der Luft ausgesprochen wird. Die Unterdrückung des R-Worts wird energisch betrieben, als eine Art moralischer Imperativ. Kimberlés Vorträge waren regelmäßig voll neuer Ideen, die mir die Schwarze radikale Tradition eröffneten, von deren Existenz ich bisher nichts gewusst hatte, und mich mit Schwarzen Feminist*innen auf der ganzen Welt in Verbindung setzten. Ich hörte von meinen „Vor-Müttern“ und begegnete vielen anderen Schwestern. Die Theorie der Intersektionalität gab mir Zugang zu umwälzenden Bildungserfahrungen, wie sie an französischen Universitäten selten möglich sind. Dank dieser gemeinschaftlichen Weltsicht fühlte ich mich in meiner intellektuellen Ausrichtung anerkannt wie nie zuvor.

Professor Crenshaw verankerte die Intersektionalität ganz unumwunden in ihren persönlichen Erfahrungen. Sie verwebte ihre persönlichen Geschichten zu kritischen Erklärungsansätzen über das Fortbestehen von Ungerechtigkeit in einer Gesellschaft lange nach Einführung der Bürgerrechte und betonte, wie heutige Ungleichheiten an 86 historische Praktiken von Ausgrenzung anknüpfen. Als sie diese Art des Wissens legitim machte, entdeckte ich, dass meine eigene Stimme im Zentrum der Analyse zum machtvollen Werkzeug werden konnte, um Widersprüche zwischen meiner Realität und meiner Hoffnung auf liberale positivistische Narrative aufzulösen. Damals erschien mir der soziale Fortschritt unaufhaltsam. Aber jeder Tag brachte neue Geschichten und Erzählungen, die diesen Glauben widerlegten und es langfristig schwermachten, ihn beizubehalten. Indem ich mich auf marginalisierte Narrative einließ, einschließlich meines eigenen, wurde mir klar, wie Handeln nach dem herrschenden Diskurs den Status Quo hochhält und so zur systematischen Entmachtung großer Bevölkerungsgruppen beiträgt. Die Theorie der Intersektionalität half mir, zu erkennen und zu benennen, was ich bis dato nur als Vorurteil wahrgenommen hatte. Ich bewegte mich weg von liberalen Erzählungen und durchschaute endlich die strukturelle Komponente von Diskriminierung. Es ging darum, das enge Paradigma über Bord zu werfen, das Diskriminierung im besten Fall als isoliertes, durch schlecht handelnde Personen verursachtes Ereignis sieht und im schlimmsten als Überempfindlichkeit. Es war nicht länger nötig, nach rassistischen Absichten zu forschen. Sobald ich begriff, dass Unterdrückung nichts Besonderes, sondern allgegenwärtig war, änderte sich unwiderruflich der Spielraum meiner Handlungen.

Dank Intersektionalität wurde mir klar, wie sehr ich mich selbst beschränkt hatte, um mich dort einzufügen, wo ich weder erwartet wurde noch erwünscht war. Die liberale Sichtweise definiert Ungleichheiten als Fehler der Unterdrückten und sieht diese in der Pflicht, sich zu ändern. Wenn mir in einem Raum Ungerechtigkeit auffiel, konnte ich beobachten, wie das unterdrückende Bild von der zornigen Schwarzen Frau* sich einsetzen ließ, um meinen Ton, meine Ansichten überall, jederzeit und durch fast jede 87 Person zu kontrollieren. Meine Meinung sagen, schweigen, lächeln, bis der Kiefer schmerzt – ich versuchte, so gut wie möglich klarzukommen. Aber ich grübelte immer wieder über verpasste Gelegenheiten nach, aufzuklären, darüber, was ich hätte sagen sollen oder nicht. Meistens musste ich mit der instinktiven Ablehnung meiner Worte fertig werden, ich war „un-erhört“, wurde verschmäht. Ich verstand besser, weshalb meine Analysen als essenzialistisch, zu leidenschaftlich und in theoretischer Hinsicht unausgegoren bezeichnet wurden. Die Intersektionalität bewahrte mich davor, meine angebliche Inkompetenz weiter zu verinnerlichen, und schirmte mich ab von dem geistigen, gefühlsmäßigen, spirituellen und körperlichen Leiden, wie es die allgegenwärtige Diskriminierung verursacht.

Kimberlé Crenshaws mutige Stellungnahmen haben mich ermutigt, „anerkannte“ positivistische Ansätze in Frage zu stellen, die Unterdrückte objektivieren, ihnen die Stimme nehmen und so den liberalen Status Quo sichern. Die historischen Bedingungen von Emergenz sind verknüpft mit dem Kolonialismus, der oft als Phänomen der Vergangenheit dargestellt und nicht als fortgesetzter Prozess begriffen wird. Intersektionalität schärfte meinen Blick, um die sich ständig wandelnden Koordinaten der Macht zu verfolgen und diese Ausgrenzungen sichtbar zu machen. Positivistische Ansätze sind kaum in der Lage, das intersektionale Wesen von Unterdrückung zu erklären. Als ich mich noch komplett auf erstere verließ, handelte ich Rassismus und Sexismus getrennt ab. Nach der Lektüre von „Demarginalizing the Intersection of Race and Sex“ begann ich zu verstehen, wie Gender und Rasse im tiefsten Innern miteinander und mit Klasse, Sexualität, Behinderung verknüpft sind. Von da an konnte ich diese Achsen der Unterdrückung nie mehr getrennt betrachten, weder in der Theorie noch in meiner gelebten Realität. Sie bilden gemeinsam und gleichzeitig die Struktur der Ungleichheit. 88 Intersektionalität führte mich auf den Weg, die Stereotypisierung Schwarzer Menschen im öffentlichen Raum in Frankreich auch historisch scharf zu stellen. Sie ermöglichte mir, die Verflechtung von Gender, Kapital, weißer Vorherrschaft und Imperialismus freizulegen. Irgendwann stellte ich gängige Auffassungen von Farbenblindheit oder Migration neu in Frage. Mir wurde klar, dass das universalistische Ideal Frankreichs im Kolonialismus wurzelte und immer noch die Leitlinie einer Politik darstellt, die regelmäßig Menschen afrikanischer Abstammung außerhalb der imaginären Gemeinschaft Frankreichs verortet.

Die Arbeit zur Intersektionalität wurde ein kostbarer Weg in die zeitgenössische Schwarze Diaspora. Wenn sie in Europa ist, bekennt sich Professor Crenshaw zur Notwendigkeit von Bündnissen zwischen Schwarzen Frauen* weltweit. Ich erinnere mich an ihre Frage ans Publikum: „Wann ist euch klargeworden, dass ihr Schwarz seid?“ Oder wie sie uns Raum gab, unsere verschiedenen Stimmen aus der ganzen Diaspora zu gemeinsamen Problemen wie institutioneller Rassismus, strukturelle Ungleichheit und Gewalt zu hören. Intersektionalität hat uns geholfen, die Geschichten unseres Zorns und unseres Schmerzes zu finden. Obwohl wir uns irgendwie verwandt und miteinander solidarisch fühlten, wahrscheinlich vermittelt durch den transnationalen Einfluss Nordamerikas, wurde uns bewusst, dass „Schwarz-Sein“ von Ort zu Ort variert. Die vom Kolonialismus beförderte intersektionale Unterdrückung hat verschiedene Arten von Organisation und Widerstand hervorgebracht, die manchmal widersprüchlich erscheinen. Lokale Besonderheiten verschleiern immer wieder das Gemeinsame, und für langfristige Bündnisse müssen auch Divergenzen herausgearbeitet werden. Bündnisse sind niemals selbstverständlich; sie müssen Tag für Tag aufgebaut werden. Doch Intersektionalität macht Mut, für eine gerechte Zukunft zu kämpfen.