Die Legende von der westlichen Überlegenheit

Begrüßungsrede

Alle anderen Kulturen sind 'uns' in Sachen Sexualität hoffnungslos unterlegen?

Die Kultur- und Medienwissenschaftlerin Gabriele Dietze analysiert in ihrem neuesten Essay “Sexueller Exzeptionalismus” wie rechtsextreme aber auch liberale Stimmen Rassismus mit Sexismus verbinden.

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Begrüßung von Ines Kappert (Leitung GWI)

Guten Abend und herzlich willkommen!

Ich freue mich sehr, dass Sie so zahlreich zur Lesung und Gespräch mit Gabriele Dietze und Urmila Goel gekommen sind. Das Buch, um das sich heute Abend alles drehen wird, trägt den Titel: “Sexueller Exzeptionalismus. Überlegenheitsnarrative in Migrationsabwehr und Rechtspopulismus”.

Das GWI beschäftigt sich seit Jahren intensiv mit Rechtspopulismus und wir beschäftigen uns damit, wie rechtspopulistische Ideen auch in weiße, feministische Milieus einwandern. In anderen Worten: Was sind die Voraussetzungen dafür, dass sich die Verknüpfung von Sexismus und Rassismus auch in Debatten hinein verlängert, die sich gesellschaftliche Emanzipation zum Ziel gesetzt haben? 

2020 müssen wir feststellen, dass Rechtsdruck und auch Rechtsterror immer weiter voranschreiten. Die anhaltende Diskussion über die AfD im Mainstream scheint dem nicht viel und auf jeden Fall nicht genug entgegensetzen zu können. Umso wichtiger ist daher, bislang weniger diskutierte Aspekte in den Blick zu rücken. Das jüngste Buch von Gabriele Dietze leistet hier einen wichtigen Beitrag. Die Kernfrage lautet: Wie können “Westler*innen” sich so selbstverständlich sexuell überlegen fühlen, obwohl sie offenbar dem Raumgreifen von Rechtspopulist*innen und Rechtsterrorist*innen mit ihrem dumpfen Patriarchalismus so wenig entgegenzusetzen zu haben? Zudem: Wie passen die Idee der Überlegenheit und die der Bedrohung, also der westlichen Verletzlichkeit, zusammen? Dietze verknüpft in ihrer Analyse eine sozialwissenschaftliche mit einer intersektional-feministischen Perspektive. In der Einleitung schreibt sie:

“Sexismus-Analysen basieren auf einer Hierarchie der Geschlechter. Ethnosexismus-Analysen basieren auf einer sexualisierten Hierarchie von “Rassen/Kulturen”. Ethnosexismus verfugt Rassismus und Sexismus an zwei Gelenkstellen. Die eine Gelenkstelle ist die Behauptung, die 'eigenen' Frauen seien durch 'fremde' Männer gefährdet. Die andere Gelenkstelle ist die Sorge, als hegemoniale 'Rasse' und Geschlecht auszusterben.” (9)

Hinzukommen zwei weitere Elemente, welche die Behauptung der sexuellen Überlegenheit abstützen: Erstens die vermeintliche Angst, die “weiße Dominanz” in der Gesellschaft zu verlieren. Und zweitens die “Geschlechtsangst”, die sich um das dreht, was als “'Krise der weißen Maskulinität' oder salopper das Problem von 'alten weißen Männern'” (9) bezeichnet wird. Sie fließen jeweils in die “Legende vom 'Großen Austausch'” ein. Diese wiederum rechtfertigt, Migration abzulehnen und Minderheiten sowie Mehrfachzugehörigkeiten als wahlweise primitiv oder gefährlich zu herabzuwürdigen.

Auch Gefühle spielen bei der sexuellen Überlegenheitsphantasie eine große Rolle. Dietze spricht hier von “Affektbrücken, die zu gefühlten Gewissheiten führt. Es ist kein Zufall, dass diese Gewissheiten auf dem Feld der Sexualität vibrieren. Hier treffen Begehren, Spiele von Dominanz und Unterwerfung, Geschlechterimaginationen und Reproduktion aufeinander (160). Kurzum: das Überlegenheitsphantasma erlaubt weiße Macht zu erotisieren.

Last but not least, kann das Narrativ auch für Feminist*innen attraktiv sein. Denn es ist als Trostpflaster ganz brauchbar. Im Sinne von: Bei uns ist längst nicht alles so wie es sein sollte, aber doch noch viel besser als etwa bei den Muslimen. Auf dieses Weise stellt das Überlegenheitsnarrativ auch eine tiefergehende feministische Kritik an nach wie vor bestehenden sexualisierten Gewalt- und Ungleichverhältnissen still. „Sexueller Exzeptionalismus kann damit als ein deep defense verstanden werden, der ermöglicht, unangenehme Emanzipations-Defizite und Ambivalenzen durch ein Überlegenheitsbewusstsein aus der Wahrnehmung des 'Eigenen' auf die 'Defizite' der muslimischen 'Anderen' zu verschieben. (39) Dietze weist ausdrücklich darauf hin, dass ihr Essay sich ausschließlich um den dominanten, westlichen Diskurs kümmert. Der Frage, inwiefern Unterdrückung in verschiedenen Religionsgemeinschaften stattfindet, geht sie nicht nach.

Interessanterweise nimmt Dietze in ihrem Essay rechtsextreme Galionsfiguren wie Donald Trump oder Alice Weidel in den Blick, aber auch liberale Meinungsmacher*innen wie Claudius Seidel, Schriftsteller wie Michel Houellebecq und Feminist*innen wie Alice Schwarzer. Dieser Bogen erlaubt, dass wir mehr darüber erfahren können, wie die abendländische Erzählung von der großen Überlegenheit bei gleichzeitig behaupteter massiver Bedrohung von außen gebaut ist, wie sie transportiert wird und warum sie sich so hartnäckig hält. 

Vor zwei Tagen wurden in Hanau elf Menschen in einer Shisha-Bar von einem Rechtsterroristen ermordet. Was das für die Angehörigen bedeutet, ist nicht zu ermessen. Dass so viele Menschen, die als fremd stigmatisiert werden, nun in noch größerer Angst leben müssen, ist grauenhaft und nicht hinzunehmen. Den Familien der Getöteten und all den vom rechten Terror an vorderster Front bedrohten und drangsalierten Personen, widmen wir diese Lesung.