Im Moment wird viel über die Systemrelevanz der Sorgeberufe und ihre finanzielle Aufwertung gesprochen. Damit dies in der Zeit nach Covid-19 nicht vergessen wird, braucht es Einmischung.
Es sieht im Angesicht der Corona-Pandemie gerade so aus, als würde sich zumindest die Systemrelevanz der Sorgeberufe nun endlich ins öffentliche Bewusstsein brennen und auch zu ihrer raschen und längst überfälligen Aufwertung (höhere Löhne, bessere Betreuungsschlüssel usw.) führen.
Meine These: Das wird keineswegs ein „automatisches“ Resultat dieser beispiellosen Corona-Krise sein! Die Meinungsäußerungen von relevanten Entscheidungsträgern aus der Wirtschaft, Politik oder den Medien lassen jedenfalls begründete Zweifel aufkommen.
Soziale Dienstleistungen werden nicht als produktiv angesehen
Friedrich Merz, Rechtsanwalt und Finanzberater, der gerade als Vorsitzender für die CDU kandidiert, zieht ganz andere Schlüsse und gibt in einem ZEIT-Artikel vom 2.04.2020 die Losung aus, dass die Stabilisierung des produzierenden Gewerbes nach der Pandemie „absoluten Vorrang“ haben muss.
Hier schwingt einmal mehr das neoliberale Mantra aus dem vergangen geglaubten Industriezeitalter mit, wonach erst Industrie und Handwerk richtig brummen müssen, bevor wir uns soziale Dienste und bezahlte Care-Arbeit wieder leisten können.
Soziale Dienstleistungsberufe werden von Experten wie Merz nicht als produktiv und wertschöpfend angesehen, sondern gelten nach wie vor als ärgerliche Kostenfaktoren, die möglichst minimiert werden sollen.
Die Folgen der Privatisierung von Kliniken trägt das Personal
Dabei hatte Deutschland im Unterschied zu Italien, Spanien oder Großbritannien ohnehin mehr Glück als volkswirtschaftlichen und gesundheitspolitischen Verstand: Noch war die Empfehlung der Bertelsmann-Stiftung, Deutschland habe mit knapp 1.400 Krankenhäusern zu viele Einrichtungen, die man auf unter 600 Häuser runterfahren müsse, glücklicherweise nicht umgesetzt worden.
Allen Ernstes wurde behauptet, so ließe sich die Qualität der Versorgung für Patient*innen verbessern und bestehende Engpässe bei Ärzt*innen und Pflegepersonal mildern. Wieso wird dieser Tage eigentlich nie darauf verwiesen, dass das reiche Deutschland im internationalen Vergleich seit Jahren eine extrem schlechte Personalbemessung bei den Pflegefachkräften und Hebammen von 1 zu 13 aufweist und damit beispielsweise weit hinter Japan, Norwegen oder Belgien liegt?
Das hat ursächlich mit der gnadenlosen Privatisierung von Kliniken und Pflegeeinrichtungen zu tun, deren Aktionär*innen hohe Renditeerwartungen hegen. Die Folge: Versorgungsmängel für Patient*innen, Stress und Erschöpfung auf Seiten der Gesundheits- und Pflegekräfte.
Dies war bereits vor der Corona-Pandemie der „Normalfall“. Hinzu kommt die mentale Last vieler berufstätiger Frauen, obendrein für die Organisation des Familienalltags meist allein zuständig zu sein. Obwohl Frauen täglich eine Stunde länger (unbezahlt und bezahlt) arbeiten als Männer, gibt es einen erheblichen Gender Pay Gap von 21 Prozent.
Fach- und Pflegekräfte brauchen mehr finanzielle Wertschätzung
Der Journalist Nikolaus Blome, langjährig für das Politik- und Wirtschaftsressort bei BILD und SPIEGEL tätig, versteifte sich im Deutschlandfunk Kultur noch am 17.03. 2020, dem Equal Pay Day, als Corona schon längst auch in Deutschland angekommen war, zu der Aussage, dass es keinen Gender Pay Gap gäbe, wenn Frauen eben die richtigen Berufe wählen würden, z.B. Maschinenbauer(in). Nichts kapiert, oder?
Und Gesundheitsminister Jens Spahn? Viel Eigenlob und immer wieder Meldungen über die Erhöhung der Anzahl von Intensivbetten und Beatmungsgeräten. Doch was ist mit den ganz überwiegend weiblichen Fach- und Betreuungskräften, die sie bedienen und unter Gefahr für ihr eigenes Leben schwerkranke Patient*innen täglich versorgen?
Hier reichen weder rhetorische Gesten wie das Klatschen vom Balkon noch eine kostenlose Kantinenversorgung in der Krise. Im Juli endlich werden sie immerhin eine einmalige Gefahrenzulage von 1.500 Euro erhalten.
Auch für privat Sorgende wäre eine Entschädigung angebracht
Für Zahnärzt*innen plant der Gesundheitsminister dagegen einen Rettungsschirm, der dieser Berufsgruppe 90 Prozent ihrer Vergütung aus dem Jahr 2019 sichern soll. Das Kurzarbeitergeld liegt mit 60 bzw. 67 Prozent deutlich darunter. Der Matthäus-Effekt „Wer hat, dem wird gegeben“ feiert wieder einmal fröhliche Urständ.
Doch damit nicht genug. Die Soziologin Sonja Bastin von der Universität Bremen fragt zu Recht, wo eigentlich staatliche Kompensationsangebote für die privat Sorgenden bleiben, nachdem im Zuge der Corona-Pandemie die aufwendig geknüpften und austarierten Betreuungs- und Versorgungsnetze aus Kita, Schule, Hort, Tagesmüttern, Großeltern oder haushaltsnahen Dienstleistungen gekappt worden sind.
Ein weiterer Beleg für die fehlende gesellschaftliche Wertschätzung von Care-Arbeit und für die Alltagsvergessenheit politischer Entscheidungsträger*innen.
Einmischung ist im Verteilungskamp um Ressourcen notwendig
Und: Den Plan für ein Ende des Lockdown hat gerade eine Arbeitsgruppe der Leopoldina in Halle erarbeitet. Der Frauenanteil unter den 26 Expert*innen liegt bei sage und schreibe 7,69 Prozent (!).
Es zeigt sich also einmal mehr, dass sich Sorgearbeiter*innen unter Einschluss von transnationalen Haushaltsarbeiter*innen laut und vernehmlich in den bevorstehenden Verteilungskampf um Ressourcen einmischen müssen. Das führt auch zu der sehr grundsätzlichen Frage, wie wir künftig weltweit (zusammen) leben und wirtschaften wollen.
Wir brauchen endlich eine faire Verteilung von unbezahlter und bezahlter Sorgearbeit zwischen den Geschlechtern! Diese muss auf einer Care-zentrierten und am Gemeinwohl orientierten Ökonomie beruhen – nicht mehr, aber auch nicht weniger.