„Ich habe sogar mit dem Gedanken gespielt Nonne zu werden“

Interview

Giovanna, Tochter italienischer Einwander*innen, erzählt im Interview von ihren Erfahrungen als lesbische Katholikin aufzuwachsen und zwischen Glaube, Sexualität und konservativen Werten, die ihr bis heute wichtig sind, ihren Platz zu finden.

Wenn es um das Thema Homosexualität geht, haben es die Mitglieder der katholischen Kirche, die homosexuell sind, nicht einfach. Von der gänzlichen Tabuisierung, über die Deklaration als Sünde oder dem Implizieren einer Krankheit bis hin zum zurückrudernden Statement des Papstes im April 2019, dass er es nicht so gemeint habe, als er Eltern homosexueller Kinder den Ratschlag gab, bei den ersten Anzeichen homosexueller Neigungen des Kindes psychologische Hilfe für das Kind in Anspruch zu nehmen.

Die katholische Kirche hat sich im Laufe der letzten Jahre bemüht einen Weg zu finden, ihre überholte Haltung zu diesem Thema zu revidieren. Wir sprechen in diesem Zusammenhang mit Giovanna, Tochter italienischer Einwander*innen, Fachärztin in Berlin und bekennende lesbische Katholikin. Traditionelle und konservative Werte sind auch bei ihr fest verankert, obwohl sie eine sexuelle Orientierung hat, die dem, zumindest auf den ersten Blick, widerspricht. 

Tatjana Cuk: Wann hast du von Gott erfahren?

Giovanna: Da meine Mutter Religionslehrerin war, bin ich mit dem Glauben aufgewachsen. Seitdem ich denken kann, weiß ich von Gott und bin mit meinen Eltern regelmäßig in die Kirche gegangen. Also quasi von Kindheitsbeinen an. 

Würdest du sagen, dass du sehr gläubig bist?

Ich weiß nicht nach welchen Kriterien oder nach welchem Maßstab ich das beurteilen soll. Ich persönlich habe eine Verbundenheit mit Gott und dem katholischen Glauben. Ich gehe zwar jeden Sonntag in die Kirche, wenn nicht etwas dazwischenkommt, aber ich bete zum Beispiel nicht jeden Tag. Ich habe auch bereits mehrfach Pilgerstätten besucht und bin z.B. den Jakobsweg gegangen. Aus meinem Umfeld weiß ich, dass das nicht jeder macht und ich in den Augen von einigen Menschen sehr gläubig bin, für andere hingegen nicht. 

Wie manifestiert sich der Glaube im Alltag?

Wie bereits erwähnt, bete ich nicht jeden Tag und im stressigen Alltag in der Praxis bleibt auch kaum Zeit, um sich dem Glauben zuzuwenden. Wenn ich aber bei meinen Eltern zum Essen eingeladen bin, dann spricht jemand von uns das Tischgebet. Ich halte auch Fastenzeiten vor Weihnachten und Ostern ein. Ich würde das aber nicht als Alltag bezeichnen. 

Wann hast du gemerkt, dass du lesbisch bist?

Relativ früh, aber ich konnte das mit 12 oder 13 Jahren nicht wirklich einordnen. Ich habe mich damals in meine Mitschülerin verguckt, jedoch war an ein Nachgehen meiner Gefühle zur damaligen Zeit gar nicht zu denken. Letztendlich habe ich meine Sexualität erst mit meiner ersten Freundin kennengelernt und bin dementsprechend erst dann auch diesen Gefühlen nachgegangen. Damals war ich 16 Jahre alt.

Wurdest du von deinen Eltern aufgeklärt?

Meine Mutter führte gerade zu der Zeit, als ich meine erste Freundin kennenlernte, ein Aufklärungsgespräch mit mir, wobei das eher darauf abzielte, mich vor einer ungewollten Schwangerschaft zu warnen. Das war ihr selbstverständlich sehr wichtig. Zum einen vertritt sie die Meinung der katholischen Kirche zum Thema Abtreibung und zum anderen, was viel stärker im Vordergrund stand, war ihre Sorge, dass ich mir damit die Zukunft verbauen würde. 

Wie stehen deine Eltern zum Thema Homosexualität?

Homosexualität ist in den Augen meiner Eltern eine Krankheit, die man therapieren kann. Mittlerweile hat sich ihre Haltung ein wenig geändert. Sie akzeptieren mich mit meinen homosexuellen Neigungen, aber wünschen sich, dass ich das nicht auslebe. Es wurde eine lange Zeit totgeschwiegen. Selbst als ich mit meiner Freundin zusammenzog, wurden wir als beste Freundinnen betrachtet. Es war damals eine Art bewusstes Ignorieren meiner Eltern in Kombination mit meiner Angst vor dem Coming-Out.

Nach einigen Beziehungen und als ich älter wurde, so Ende zwanzig und immer noch keinen Freund hatte, wurden meine Eltern skeptisch. Ich habe es bis ich selbst den Druck nicht mehr aushalten konnte und die Fragen, wann ich denn endlich heiraten und Kinder bekommen möchte, hinausgezögert. Es war ein Schock für meine Eltern und keine einfache Zeit. Sie machten sich selbst zunächst Vorwürfe und dann wurde daraus eine Mischung aus Schuldgefühlen und Vorwürfen mir gegenüber.

Mittlerweile haben sie sich damit abgefunden. Sie sind nicht froh darüber und ich merke, dass bei meiner Mutter die Hoffnung nicht gänzlich schwindet, dass ich eines Tages einen Mann finden werde, in den ich mich verliebe. Sie kommen so gut sie können damit klar. Bei meiner Mutter kommt von Zeit zu Zeit noch die Hoffnung hoch, aber legt sich dann auch schnell wieder. Ich nehme ihr das nicht übel. Das Coming-Out ist schließlich ein Prozess, für jeden aus der LGBTQI-Community, aber auch für die Eltern oder engen Vertrauten der Person, die sich outet.

Hast du jemals die Beichte diesbezüglich abgelegt? 

Nein. Ich sehe darin auch nicht wirklich einen Sinn. Es ist ja allgemein bekannt, wie die katholische Kirche dazu steht. Ich glaube man würde sich und den Priester nur in eine unangenehme Situation bringen, die kein sinnvolles Ergebnis zur Folge hätte. Also für mich kommt das nicht in Frage.

Welche Rolle spielte der Glaube in Bezug auf deine sexuelle Orientierung? 

Mittlerweile kann ich das trennen. Der Prozess dieser Trennung hat allerdings eine lange Zeit in Anspruch genommen und war mit viel Leid und Schuldgefühlen verbunden. Ich glaube, dass gerade meine Verwurzelung mit dem katholischen Glauben meine Angst vor dem Coming-Out verstärkt hat. Es ist wahrscheinlich ein stärkerer Leidensdruck für Katholiken, als beispielsweise für Protestanten, die demgegenüber doch liberaler und aufgeschlossener auftreten.

Ich weiß, dass meine Mutter beispielsweise, da sie an einer katholischen Schule unterrichtet, ihren Job verlieren würde, wenn sie homosexuell wäre. Das ist vertraglich geregelt. Durch diesen Druck und das Gefühl meine Sexualität unterdrücken zu müssen, habe ich anfangs und für lange Zeit meine Homosexualität verbunden mit starken Schuldgefühlen ausgelebt.

Das heißt, ich hatte eine Freundin, aber zunächst küssten wir uns nur hier und da mal und dann im Laufe der Zeit war ich für andere sexuelle Handlungen bereit. Ich habe sogar mit dem Gedanken gespielt Nonne zu werden, um meine Sexualität gänzlich aufzugeben und so keine Schuldgefühle mehr haben zu müssen. Der Glaube spielt natürlich eine sehr fundamentale Rolle, wenn man, so wie ich, religiös bzw. katholisch erzogen wurde.

Besonders stark ausgeprägt ist im katholischen Glauben das Dogma „kein Sex vor der Ehe“. Wie stehst du dazu?

Ob man es glaubt oder nicht, aber ich finde dieses Dogma schön und halte es auch ein. Die Unschuld einer Frau ist schließlich etwas Heiliges und sollte erst aufgeopfert werden, wenn man verheiratet ist. Ich denke, dass Sex ein Ausdruck der Verbundenheit darstellt, die man nicht mit irgendeiner Person teilen, sondern für einen ganz besonderen Menschen aufbewahren sollte, für den die seelische Verbundenheit wichtiger ist als die körperliche. Wenn man sich schließlich sicher ist und vor Gott das Jawort gibt, zumindest im geistigen Sinne, dann ist das die richtige Person, mit der man die vollkommene Verbundenheit seelischer und körperlicher Art erleben sollte.  

Welchen Einfluss hatte das Dogma auf deine Sexualität im praktischen Sinne?

Das ist eine sehr persönliche Frage. Ich glaube es reicht, wenn ich sage, dass ich noch Jungfrau bin und es bis zur Hochzeit auch bleiben möchte. Es ist für mich nicht einfach eine Partnerin zu finden, die meine Ansichten teilt. Viele Frauen sind überrascht, weil ich eben lesbisch bin, aber dennoch konservative Werte und Normen befürworte. 

Wie vereinbarst du für dich persönlich den Glauben mit deiner sexuellen Orientierung? 

Als Katholikin ist es im Wesentlichen sehr ambivalent. Auf der einen Seite bin ich dem katholischen Glauben zugewandt, auf der anderen Seite kann ich selbstverständlich meine sexuelle Orientierung nicht ändern. Ich hatte anfangs, als ich meine ersten sexuellen Erfahrungen gemacht habe, enorme Schuldgefühle. Man kann das im Endeffekt nicht vereinbaren. Das Eine ist der Glaube und das Andere die sexuelle Orientierung. Meiner Ansicht nach muss man das auch nicht vereinbaren. 

Findest du, dass die katholische Kirche reformbedürftig ist? Wenn ja, wie sollte die Reform aussehen?

Ja, klar. Die katholische Kirche sollte im Hinblick auf die vielen homosexuellen Priester und Anhänger ihren Standpunkt ändern und den heutigen gesellschaftlichen Verhältnissen anpassen. Auch das Zölibat stellt meiner Meinung nach eine Einschränkung dar, die der menschlichen Natur widerspricht.

Letztendlich geht es um Liebe und das ist das höchste Gut auch im katholischen Glauben. Es sollte niemandem verwehrt sein zu heiraten und Kinder zu bekommen, unabhängig von der sexuellen Orientierung. Die Vorstellung von der einzigen möglichen Verbundenheit zwischen Mann und Frau ist längst überholt. Ich hoffe, dass Papst Franziskus weiterhin in die richtige Richtung lenken wird. 

Die Aussagen des Papstes zum Thema Homosexualität sind kontrovers. Im April 2019 wurde er für seine liberale Aussage, dass Homosexualität keine Sünde ist, gefeiert. Glaubst du, dass es eine Öffnung der katholischen Kirche geben wird in Bezug auf dieses Thema? 

Das ist ein riesiger Schritt den Papst Franziskus gemacht hat und ich finde, dass damit schon eine Art Öffnung erfolgt ist. Schließlich ist die katholische Kirche auf ihre Anhänger angewiesen und muss sich früher oder später eingestehen, dass sich die gesellschaftlichen Moralvorstellungen geändert haben, auch innerhalb der katholischen Kirche; sei es seitens der Anhänger, als auch seitens der Leiter- bzw. Amtsträger.

Vor kurzem wurde in der jüdischen Gemeinde eine Organisation gegründet, namens Keshet, die z.B. freitags einen queeren Shabbat organisiert, um zu zeigen, dass Homosexuelle Teil der jüdischen Glaubensgemeinschaft sind. Könntest du dir vorstellen oder würdest du dir wünschen, dass es so etwas auch in der katholischen Kirche gibt? 

Ich finde das irgendwie am Ziel vorbeigeschossen. Für mich persönlich würde das zu weit gehen. Ich denke nicht, dass die katholische Kirche, nachdem sie so sehr mit dem Thema hadert, in naher Zukunft beispielsweise einen queeren Karfreitag zulassen würde. Ich finde das muss sie auch nicht, denn schließlich geht es um das Miteinander, also die Integration der LGBTQI-Community in die bestehende Gemeinschaft und nicht um eine Exklusion oder Separation aufgrund der sexuellen Orientierung. Ich stehe dem immer kritisch gegenüber, wenn die LGBTQI-Community sich selbst von der Gesellschaft ausschließt oder abgrenzt. Vielleicht sehe ich das etwas kritischer als andere.