Volha Harbunowa ist im November in Minsk verhaftet worden. Ihr wird vorgeworfen, Frauenmärsche organisiert zu haben. Der Menschenrechtsaktivistin und Expertin zum Thema häusliche Gewalt drohen mehrere Jahre Haft.
Volha Harbunowa, die langjährige Leiterin des belarusischen Frauenschutzprojekts „Radislava“ wurde am 9. November 2021 in Minsk verhaftet und befindet sich seitdem im Minsker Untersuchungsgefängnis Nr. 1 (Okrestina) in Haft. Die belarusische Redaktion von „Radio Swaboda“ stellte am Tag nach der Verhaftung „Sieben Fakten“ über die bekannte Feministin und LGBT Aktivistin zusammen. Heute ist Volha eine von 926 politischen Gefangenen in Belarus.
Die Heinrich-Böll-Stiftung und die Initiative „Stimmen aus Belarus“ dokumentieren den Fall an dieser Stelle in deutscher Sprache, aus dem belarusischen Original übertragen von Wanja Müller.
Volha Harbunowa, der inhaftierten ehemaligen Leiterin von „Radislava“, wird vorgeworfen, Frauenmärsche organisiert zu haben - ihr droht eine Haftstrafe von 3 Jahren. Das belarusische Innenministerium bezeichnete die Frauenmärsche des vergangenen Jahres als „Massenunruhen“ und erklärte, dass es weiterhin dabei ist, die Teilnehmer:innen zu identifizieren.
Das Innenministerium kommentierte die Festnahme von Volha Harbunowa einen Tag nach ihrer Verhaftung: „Die Frau arbeitet als Managerin in einer öffentlichen Vereinigung für Opfer häuslicher Gewalt. Im August und September vergangenen Jahres führte sie die sogenannten Frauenmärsche in der Hauptstadt an. Dabei ging sie auf die Fahrbahn und blockierte den Verkehr.“
Volha Harbunowa wird verdächtigt, „Handlungen organisiert und vorbereitet zu haben, die die öffentliche Ordnung grob verletzen, oder sich aktiv daran beteiligt zu haben“ (Art. 342 StGB RB). Gegen die Beschuldigte wird wegen anderer „Protestdelikte“ ermittelt, unter anderem wegen Missbrauchs ihrer dienstlichen Position. Die erhobenen strafrechtlichen Vorwürfe sehen eine Freiheitsstrafe von bis zu 3 Jahren vor.
Sieben Fakten über Volha Harbunowa, verhaftet in Minsk
18 Jahre Arbeit mit Frauen, die Opfer von häuslicher Gewalt wurden
Volha studierte Psychologie an der Pädagogischen Universität in Minsk. Wie sie Radio Swaboda erzählte, ist sie auf der Welle der Begeisterung für Feminismus, den sie für sich an der Universität entdeckte, zu „Radislava“ gekommen. "Ich suchte nach einem sozialen Frauenprojekt, um meine ersten beruflichen Ambitionen zu verwirklichen, und fand ein Krisenzentrum, das in Minsk bereits entstanden ist. Im Jahr 2003 schrieb ich eine Diplomarbeit zum Thema häusliche Gewalt und begriff dabei, dass sehr vieles von dem, was darüber geschrieben wurde, auch in meiner eigenen Familie tatsächlich passiert ist. Und jetzt sage ich offen, dass ich ein Mensch bin, der Gewalt erlebt hat. Und zwar nicht nur in meinem Elternhaus, mit einem Alkoholiker-Vater, wo es die Skandale gab, über die auch Klientinnen erzählen. Es war eine harte alltägliche Realität meines Lebens. Genauso gab es Gewalt auch in anderer Hinsicht.“
Workshops zum Thema häusliche Gewalt für Abschnittsbevollmächtigte der Polizei
„Radislava“ und seine Leiterin standen viele Jahre in regelmäßigem Kontakt mit der Polizei in Fragen der häuslichen Gewalt. Volha erzählte, dass sie oft nachts von der Polizei angerufen wurde, damit sie eine Frau vom Revier abholt, die von ihrem Mann verprügelt worden war. Horbunowa führte Workshops für Abschnittsbevollmächtigte der Polizei zum Thema häusliche Gewalt durch und wurde dann selbst verhaftet, nachdem sie am Frauenmarsch im Herbst 2020 teilgenommen hatte. „Sehr viele Jahre haben wir bei „Radislava“ mit der Polizei zusammengearbeitet. Vertreter des Innenministeriums traten als Gleichgesinnte auf, versuchten Lobbyarbeit für ein Gesetz zur Vorbeugung häuslicher Gewalt zu machen. Doch leider zeigen uns die Ereignisse der letzten Monate, dass dies vermutlich dieselben Menschen sind, die Gewalt auf der Straße ausüben. Ich habe niemand durch die Schlitze der Sturmhauben wiedererkannt. Ich kann denen nicht sagen: „Ich erinnere mich an euch, wir haben bei den Workshops und Vorträgen zum Thema häusliche Gewalt zusammengearbeitet“, erzählte sie in einem Interview bei Radio Svaboda.
Sie entwickelte das Projekt „Norm“, ein Club-Café, in dem Frauen beschäftigt werden sollten, die Opfer geschlechtsspezifischer Gewalt geworden sind
Im Mai-Juni 2020 hätte in Minsk das Club-Café „Norm“ eröffnet werden sollen - ein soziokultureller Raum mit veganer Küche und einer Bar, in dem Mädchen und Frauen beschäftigt werden sollten, die Opfer von geschlechtsspezifischer (einschließlich häuslicher) Gewalt geworden sind. Es war geplant, dass 50 Prozent der Gewinne des Cafés in den Bau oder Kauf eines Wohnhauses mit Platz für 50 Frauen und Kinder fließen sollten. Aufgrund der Pandemie wurde beschlossen, das Projekt zu schließen.
Nach ihrer Festnahme und Schließung von „Norm“ arbeitete sie als Taxifahrerin
Wie Volha Harbunowa im Oktober 2020 gegenüber Radio Svaboda erklärte, zog sie nach Shodsina und begann als Taxifahrerin zu arbeiten, um ihren Lebensunterhalt zu verdienen. „Leider mussten wir das Café schließen, die Räumlichkeiten aufgeben und die Auflösung unser GmbH anmelden. Ich bin absolut überzeugt, dass es nicht für immer ist. Die Reaktionen auf unsere Idee haben uns überzeugt, dass wir weiter machen müssen. Nach Gesprächen mit unseren Mentor:innen, Expert:innen, die bereits etwas ähnliches in Minsk betrieben, beschlossen wir, es auf Eis zu legen. Damals wussten wir noch nicht, was im August im Land passieren wird. Wir werden unser Café sogleich eröffnen, sobald das neue freie Belarus da ist“, sagte Harbunowa.
Hielt ihre LGBT-Identität nicht geheim
Zum ersten Mal sprach Volha Harbunowa 2019 im Rahmen der Sendung „Tolki shantschyny“ (Deutsch: „Nur Frauen“, eine Sendung von Radio Swaboda - Anm.d.Ü) öffentlich über ihre Homosexualität: „Ich habe eine wunderbare Beziehung mit meiner Freundin und ein tolles Verhältnis zu meiner Tochter. Ich bin sehr froh, dass sich alle darauf eingelassen haben und sich gegenseitig akzeptieren können. Das Neujahrsfest feiern wir in einem recht engen Kreis - ich, meine Freundin, meine Tochter und mein Ex-Mann. Sie sind wahrscheinlich die einzigen Menschen, die unsere Beziehung akzeptiert haben und ganz normal damit umgehen.“
Protagonistin des internationalen Dokumentarfilms „Woman"
Volha Harbunowa war eine der Protagonistinnen des internationalen Dokumentarfilms „Woman“, in dem die Geschichten von 2000 Frauen aus 50 Ländern versammelt sind. In diesem Film spricht sie über die Probleme der häuslichen Gewalt.
Vegetarismus als bewusste Entscheidung
Volha Harbunowa ist seit mehr als 20 Jahren Vegetarierin und hat mehrere Phasen des Veganismus hinter sich. Das Café „Norm“ hätte eine vegane Küche haben sollen. "Wir haben bestimmte Werte, und die vegane Küche passt zu ihnen. Wir sehen die Inklusion unter anderem auch im Veganismus“, erklärte Volha.