Die Leipziger Autoritarismus-Studie setzt in ihrer zwölften Erhebung einen Schwerpunkt auf das Thema Antifeminismus.
“Feministinnen sind hässlich und grässlich”, polemisierte Maximilian Krah in Reden und Internetauftritten vor der Europawahl im Juni 2024. Der Spitzenkandidat der “Alternative für Deutschland” (AfD) benannte damit ein klares Feindbild. Noch unverblümter richtete sich die rechtspopulistische Agitation der Partei im Wahlkampf gegen trans Personen. Sie protestierte zum Beispiel gegen eine Veranstaltung in München, auf der Mitglieder der queeren Community aus Kinderbüchern vorlesen sollten. Unter dem Slogan “Hände weg von unseren Kindern” war eine Dragqueen abgebildet, deren Darstellung zudem deutlich antisemitische Stereotype aufwies. “Drag und vermeintlich jüdisch verschränkte sich unwillkürlich”, kommentieren die Wissenschaftler*innen Fiona Kalkstein, Gert Pickel und Johanna Niendorf.
Das Trio ist Teil einer vielköpfigen Forschungsgruppe, die sich empirisch mit “autoritären Dynamiken” und Rechtsextremismus beschäftigt. Schon seit 2002 untersucht diese am Else-Frenkel-Brunswik-Institut der Universität Leipzig den Grad der Unterstützung für die Demokratie sowie das Ausmaß der Verbreitung von Ressentiments. Die Langzeitbeobachtung gilt inzwischen als wissenschaftliche Institution und dient als wichtiger Refererenzpunkt in gesellschaftlichen Debatten. Gefördert wird sie von der Heinrich-Böll-Stiftung in Kooperation mit der IG Metall-nahen Otto-Brenner-Stiftung. Ein wichtiges Thema der jüngsten Erhebung von 2024 sind geschlechterpolitische Fragen. Mit diesen hat sich die Autoritarismus-Forscherin Else Frenkel-Brunswik, Vertreterin der sogenannten “Kritischen Theorie” und heutige Namensgeberin des Leipziger Instituts, schon in den 1940er und 1950er Jahren beschäftigt.
Rund ein Viertel der Deutschen unterstützt nach der aktuellen Befragung antifeministische Einstellungen, genauso viele vertreten ein geschlossen sexistisches Weltbild: So lautet eine der Kernaussagen der neuen Leipziger Autoritarismus-Studie. Bei der Transfeindlichkeit liegen die Werte mit 37 Prozent Zustimmung sogar noch erheblich höher. Die Autor*innen konstatieren bei Gender-Themen eine auffällige Polarisierung in Form einer “Ganz-oder-gar-nicht-Tendenz mit einer übersichtlichen Zahl an Personen mit ambivalenten Einstellungen”. Vor diesem Hintergrund verwundere es nicht, dass “Parteien und Bewegungen im äußeren rechten Spektrum das antifeministische Ideologiefragment mehr in den Mittelpunkt rücken”.
Zentrales Feindbild
Die Phänomene Antifeminismus und Transfeindlichkeit, so das Forschungsteam, seien gegenüber dem Thema Sexismus “stärker politisch aufgeladen”. Die dagegen gerichteten Abwehrhaltungen haben der Studie zufolge eine große Bedeutung für die extreme Rechte und ihre Wahlkampagnen. Feministinnen und trans Personen würden als “zentrales Feindbild” aufgebaut, weil sich damit Wähler*innen mobilisieren lassen. Drei Viertel der AfD-Anhänger zeigen nach den Leipziger Erhebungen eine “geschlossen transfeindliche Einstellung”. Die enge Verwandtschaft von Antifeminismus zu Gruppenbezogener Menschenfeindlichkeit, rechtsextremer Ideologie, Verschwörungsmentalität und Autoritarismus sei offensichtlich.
Verbindungen zum Antisemitismus ergeben sich aus den geteilten Vorstellungen von Natur und Eindeutigkeit. Gesellschaftliche Unterschiede werden in natürliche uminterpretiert. Studienleiter Oliver Decker spricht in diesem Kontext von einem “autoritären Syndrom”. Jüdische Personen wie Feministinnen, analysieren Kalkstein, Pickel und Niendorf, fungierten als “Sinnbilder für die Moderne, wodurch sie vor allem auf der rechten Seite des politischen Spektrums auf vehemente Ablehnung stoßen”. Ihnen wird vorgehalten, die “natürliche Ordnung in Frage zu stellen, Grenzen zu überschreiten und niederzureißen”. Antifeministische und antisemitische Deutungen verhandelten eine “Uneindeutigkeit in Bezug auf Geschlecht, die zugleich gewünscht und gefürchtet wird - und an sich selbst abgewehrt werden muss”.
Beim Sexismus finden sich zwischen Ost- und Westdeutschland nur geringe Differenzen. Anders sieht es laut den Befragungen bei den Themen Transfeindlichkeit und Antifeminismus aus. Hier liegen die ermittelten Werte im Osten signifikant höher als im Westen: Toleranz gegenüber sexueller und geschlechtlicher Vielfalt wird dort viel häufiger abgelehnt. Die “Kampagnensteuerung” der extremen Rechten treffe im Gebiet der früheren DDR auf “verstärktes Interesse”, konstatieren die Forscher*innen. Angesichts ihrer letzten Erfolge bei den Landtagswahlen in Thüringen, Sachsen und Brandenburg sei “davon auszugehen, dass die AfD dort zumindest teilweise aufgrund antifeministischer und transfeindlicher Positionen” gewählt werde - und diese Wünsche versuche die Partei auch “zu bedienen”.
Polykrisen in nervösen Zeiten
Zwar habe die Verbreitung rechtsextremer Einstellungen nicht in dem Maße zugenommen, wie die Wahlerfolge der AfD vermuten lassen, schreiben die Herausgeber*innen der Autoritarismus-Studie in ihrer Einleitung. Dennoch habe sich nunmehr eine Partei etabliert, die den “in der Gesellschaft vorhandenen destruktiv-aggressiven Wünschen ein Politikangebot macht”. Die Bindungskraft der AfD habe zugenommen und sie könne sich vor allem im Osten Deutschlands auf diejenigen stützen, die “seit Jahren Ressentiments teilen und nur auf die Legitimation warten, die Wut gegen Migranten, Jungen, Homosexuelle oder ‘Schwache’ und ‘Abweichende’ zu richten”.
Für autoritär motivierte Ideologien und Ressentiments sind Menschen in Krisenzeiten offenbar besonders anfällig. Zu den massiven Veränderungen angesichts von Krieg und Klimawandel kommen eine marode Infrastruktur in Bildungssystem und öffentlichem Nahverkehr sowie eine bröckelnde soziale Sicherung. Die Antwort der extremen Rechten darauf liege in der “autoritären Restitution”, die ‘Andere’ als Sündenböcke nutzt, analysieren die Forscher*innen. Sie kritisieren den Versuch der etablierten Parteien, das “Thema der Rechten zu einem Thema der Mitte zu machen” oder gleich die “autoritäre Flucht selbst anzutreten”. Die “Bereitschaft, auf Reizthemen ständig mit hoher Erregung zu reagieren, gewissermaßen wie der Pawlowsche Hund auf den dargebotenen Klingelton”, sei ein Kennzeichen der ersten zwei Dekaden des 21. Jahrhunderts. “Triggerpunkte” nannte das treffsicher die Forschungsgruppe an der Berliner Humboldt-Universität um Steffen Mau, Thomas Lux und Linus Westheuser.
Es dürfe “nicht aus dem Blick geraten, dass Ostdeutschland als nach wie vor überwiegend strukturschwache Region weniger krisensicher ist”, warnen die Leipziger Wissenschaftler*innen. Die jüngsten Ergebnisse der Autoritarismus-Studie lassen nach ihrer Ansicht befürchten, dass sich die “ablehnende Haltung eines Teils der Bevölkerung gegenüber der Demokratie vertieft”. Diese drohe, ihr “stützendes Fundament” zu verlieren. Zukunftsängste steigern den Veränderungsdruck vor dem Hintergrund der “wahrgenommenen Polykrisen aus Klimakatastrophe, dem Krieg in der Ukraine, der daraus resultierenden Inflation, der schwächelnden deutschen Wirtschaft, den Fluchtbewegungen und den Folgen der Covid-10-Pandemie”. Das alles zusammen führe dazu, dass sich viele Menschen überfordert fühlen. Gesucht werden stattdessen “einfache, überschaubare Lösungen, die beherrschbar erscheinen”.
Der Wunsch, dass sich in der Gesellschaft “in Bezug auf die sozialen Positionen, die bestimmte Gruppen einnehmen, nichts ändern darf”, erweist sich in der Studie als wichtige Ursache antidemokratischer Einstellungen. Das Fazit des Leipziger Forschungsteams wirkt daher eher düster: In “nervösen Zeiten” sei die Demokratie in Deutschland leider “nicht mehr unumstritten”.
Dieser Artikel erschien zuerst hier: antifeminismus-begegnen.de