Maskulinistischer Strom

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Junge Männer orientieren sich wieder mehr an traditionellen Geschlechterrollen, teils verwenden sie autoritäre Deutungsmuster und wählen häufiger als früher rechtsextreme Parteien. Was kann man dagegen tun? Eine neue Studie analysiert das Phänomen und gibt Handlungsempfehlungen für eine “professionelle junge Männerarbeit” 

Kalte Farben, Dämmerstimmung. Dünne Äste sind unscharf im Fordergrund erkennbar. Eine männlich gelesene Hand drückt diese runter. Eine schmale Gestalt mit breiten Schultern in gelber Sportjacke.

Über die Lebenslagen von Männern zwischen 18 und 29 Jahren ist bislang relativ wenig bekannt. Wissenschaftliche Untersuchungen konzentrierten sich in der Vergangenheit vorwiegend auf die biografischen Phasen von Kindheit und Jugend - oder sie nahmen männliche Erwachsene unabhängig von ihrem Alter in den Blick. Carsten Wippermann vom DELTA-Institut für Sozial- und Ökologieforschung im bayerischen Penzberg versucht diese empirische Lücke zu schließen. Auftraggeber seiner gerade veröffentlichten Studie ist das Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend. Die Behörde führt die Zielgruppe “Männer” zwar nicht dezidiert in ihrem Titel auf, mit einem eigenen Referat für männliche Anliegen in der Abteilung Gleichstellung bemüht sie sich aber um eine Einbeziehung dieser Perspektive. Zudem fördert das BMFSFJ seit nunmehr fast 15 Jahren das Bundesforum Männer als geschlechterdialogisch orientierten Dachverband der männerpolitischen Initiativen und Organisationen.

Diese resignative Stimmung, die gerade unter jungen Männern ins Autoritär-Aggressive umzuschlagen droht, drückt sich auch in den Ergebnissen politischer Wahlen aus. 

Es gibt gute Gründe dafür, sich stärker mit der sogenannten Generation Z, also mit den zwischen 1995 und 2010 Geborenen, zu beschäftigen. Denn diese Alterskohorte leidet mehr als ihre Vorgängerinnen unter gesellschaftlichen Polarisierungen, multiple Krisen sind für sie zum Normalzustand geworden. Angesichts von Klimawandel, Migration, Corona-Schließungen und den Kriegen in der Ukraine oder Gaza wachsen die Gefühle der Verunsicherung, die Hoffnung auf eine positive Zukunftsperspektive schwindet. Diese resignative Stimmung, die gerade unter jungen Männern ins Autoritär-Aggressive umzuschlagen droht, drückt sich auch in den Ergebnissen politischer Wahlen aus. Detailanalysen der jüngsten Urnengänge in Deutschland ermittelten übereinstimmend eine auffällige Gender-Differenz im Abstimmungsverhalten. Junge Männer geben ihre Stimme erheblich häufiger rechtspopulistischen oder gar rechtsextremen Kandidat*innen als junge Frauen - und die Tendenz weist weiter nach oben. Zumindest in einigen männlichen Teilmilieus ist die AfD zur stärksten Kraft in der nachwachsenden Generation avanciert. 

Carsten Wippermann versucht in seiner qualitativen Untersuchung, die befragten jungen Erwachsenen mit Hilfe von fünf “Sozialcharakteren” zu beschreiben. Diese ausführliche Typologie, die das Kernstück der 120-seitigen Forschungsarbeit bildet, ist als Methode nichts Neues. Schon die beiden großen Männerstudien der christlichen Kirchen, publiziert 1998 und 2009, stellten so die Vielfalt männlicher Lebens- und Gefühlsorientierungen anschaulich dar. In der aktuellen DELTA-Studie reicht das Spektrum der jungen Männer von postmodernen Identitäten bis zu faschistoiden Haltungen. Von “einer Generation im engeren sozialwissenschaftlichen Sinn” könne nicht die Rede sein, betont Forscher Wippermann, die 18- bis 29-Jährigen seien eine “äußerst heterogene Gruppe”. Unterschiede hinsichtlich Bildung und sozialer Lage lassen “nur vage und höchst unscharf Schlüsse auf die Einstellungen zu”. Autoritäre Deutungsmuster zum Beispiel finden sich sowohl im wohlhabenden wie im bedürftigen Umfeld. 

Die Typologie im Detail

Den ersten Typus charakterisiert die Untersuchung mit den Begriffen “Empathie, Engagement, Entfaltung”. Diese Männer betonen, dass Einfühlungsvermögen für sie sehr wichtig sei, sie als Mensch ausmache und eine wertvolle Eigenschaft sei. Das unterscheidet sie von anderen Sozialcharakteren, die Empathie als “unmännlich” stigmatisieren. Die Männer machen sich wenig Sorgen, keinen Job zu bekommen oder ihren Arbeitsplatz zu verlieren, “Arbeiten meint neben Geldverdienen jede Art von Leistung, Herstellung und Kreation”. Priorität noch vor dem Job haben die Partnerin, die Herkunftsfamilie und (männliche) Freunde. Die Arbeitsteilung im Haushalt ist egalitär orientiert, aktive Vaterschaft wird positiv bewertet.   

Den zweiten Männertyp, in den Gruppeninterviews auffällig oft vertreten, beschreibt Wippermann mit der Formel “Leiden an Ambivalenzen”. Bei diesem Sozialcharakter dominieren Unsicherheiten und Verlustängste, das gilt für die berufliche Orientierung, aber auch für private Beziehungen. Das Lebensgefühl schwankt zwischen “Zielorientierung und Ausweglosigkeit, Moratorium und Vorwärtsmüssen, Erschöpfung und Bedrängt werden”. Das Selbstbild ist geprägt durch das “Streben nach Mitte, nach Balance, nach Maßhalten mit der Erwartung, dass nur so ‘Frieden’ erreicht werden kann”; “extreme” Positionen werden abgelehnt. In Partnerschaften praktizieren die ambivalenten Männer eine “traditionelle Rollenteilung neuer Art”, man versteht sich als “Team”. Neu daran ist eine flexible Haltung, der zufolge Männer grundsätzlich alles können, was im Haushalt anfällt, also Putzen, Kochen, Backen, Waschen oder Einkaufen, es aber nicht unbedingt tun müssen

Die Ressentiments richten sich gegen “Linksintellektuelle”, “Studierte”, Feministinnen, “Ökos” oder Vegetarier. Besonders verbreitet ist dieser Männertypus des “Haderns mit der modernen Welt” in Ostdeutschland.   

Dritter Sozialcharakter ist der “Widerstandsclub für alte Stärke”. Dessen Mitglieder empfinden Ohnmacht und Beklemmung, sie haben wenig optimistische Hoffnungen und für sich selbst keine weitreichenden Pläne, beschränken sich stattdessen auf das persönliche Überleben in der eigenen Familie und Region. “Man sieht sich selbst im Fundament der Gesellschaft, das verrutscht sei.” Es geht den Befragten um die Verteidigung und Behauptung der eigenen (männlichen) Stärken, sie äußern Sympathie für autoritäre Erziehungsstile und rechtfertigen “notwendige” Gewalt. Dass Frauen zu Hause bleiben sollen, wenn Kinder aufzuziehen sind, gilt als selbstverständlich. Widerstand löst die “Woke-Kultur” aus, es gebe “nur zwei Geschlechter”. Die Ressentiments richten sich gegen “Linksintellektuelle”, “Studierte”, Feministinnen, “Ökos” oder Vegetarier. Besonders verbreitet ist dieser Männertypus des “Haderns mit der modernen Welt” in Ostdeutschland.   

Typ vier ist der “maskulistisch-faschistoide Performer”. Dieser wirkt auf den ersten Blick selbstbewusst, aufgeschlossen und emanzipiert, “erst bei näherer Begegnung zeigt sich ein ultrakonservatives naturalistisches Geschlechterverständnis”. Dessen Kern ist “traditionelle Männlichkeit, präsentiert mit sprachlicher Versiertheit und im akademischen Habitus”. Das staatliche Gewaltmonopol wird relativiert “mit der moralischen Legitimation, im Alltag massive Gewalt gegen andere Personen einsetzen zu können, wenn man den Eindruck hat, der Rechtsstaat agiert nicht schnell und angemessen genug”. Maskulistische Performer fordern, sich auf den “natürlichen Geschlechtscharakter” zu besinnen, queere Lebensstile und “linke Genderverführungen” lehnen sie vehement ab. Im eigenen Selbstverständnis betrachten sie sich keineswegs als rechtsextrem, sondern definieren sich als “liberal” oder “libertär”. Beratung- und Unterstützungsangebote weisen diese Männer weit von sich und signalisieren, dass sie dafür keinen Bedarf hätten. Eine berufliche “Karriere im Sozialen” sehen sie ohnehin als Beleg für eine schwach ausgebildete Männlichkeit. 

Den fünften und letzten Charakter erläutert die Studie mit den Worten “Toleranz, Diversität und optimistische Selbstentwicklung”. Das sei der “reale Gegenentwurf zum zuvor beschriebenen Typus”. Auch hier dominieren hohe Bildungsabschlüsse, aber “diametral entgegengesetzte Einstellungen zu Männlichkeit, Gleichstellung und Gewalt”. Die Schilderung hierzu fällt in der Forschungsarbeit auffällig knapp aus. Wippermann begründet das in einer Fußnote damit, dass dieser Typ kein “problematischer Sozialcharakter” sei - und daher auch keine wichtige Zielgruppe einer intervenierenden Männerarbeit. In Kurzform gezeichnet wird hier das Idealbild des emanzipierten, Ressentiment freien und dialogisch orientierten Mannes - ein Milieu, dem sich vermutlich auch der Verfasser selbst zurechnet. 

Großer Beratungsbedarf

Als Fazit konstatiert die Untersuchung eine ausgeprägte “Defizitperspektive” unter jungen Männern. In bestimmten Milieus habe sich der Habitus der hegemonialen Männlichkeit weit verbreitet, besonders die abgefragten Meinungen zur Anwendung von Gewalt seien problematisch. Forscher Wippermann warnt vor “Rinnsalen in Richtung einer maskulinistischen Haltung”. Das ist sehr verharmlosend formuliert, denn sowohl politische Wahlergebnisse als auch der Einfluss radikaler Netzaktivisten wie Andrew Tate zeigen, dass es sich um einen eher stärker werdenden maskulinistischen Strom handelt. 

Die Interviews der Studie machen deutlich, dass junge Männer psychologische und pädagogische Angebote ablehnen, die sie mit Stichworten wie Krankheit und Therapie verbinden.

Als Gegenstrategie empfiehlt die Expertise eine “offene und aufsuchende professionelle Männerarbeit”. Groß sei der Bedarf an Beratungsangeboten, die sich aber nicht einfach das Ziel einer “Korrektur von Devianz”, also von abweichendem Verhalten, setzen dürfe. In den gewünschten “Orten des Dialogs für alle jungen Männer” sei entscheidend, die Gefühlsebene zu berücksichtigen. Nur mit der Bearbeitung auch von Affekten könne man populistische Einstellungen grundlegend ändern: “Rationale Aufklärung reicht nicht.” Die Interviews der Studie machen deutlich, dass junge Männer psychologische und pädagogische Angebote ablehnen, die sie mit Stichworten wie Krankheit und Therapie verbinden. Ansprechen sollte man die Zielgruppe daher auch in unverfänglichen Settings wie Betrieben und Ausbildungseinrichtungen, an Orten des Sports wie Fitnessstudios oder Fußballplätzen, in Gaming- und Chatrooms - und man müsse dabei stets den persönlichen “Benefit” herausstellen. Zusätzlich regt die Untersuchung die Einrichtung einer zentralen Fachstelle an, die das bisher weit verstreute Knowhow zum unterbelichteten Thema “Junge Männer” sammelt und Aktivitäten koordiniert.

Die Studie 

Carsten Wippermann / DELTA-Institut für Sozial- und Ökologieforschung: Junge Männer im Alter von 18 bis 29 Jahren. Lebensgefühl - Sozialcharaktere - Unterstützung. Herausgegeben vom Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend, November 2024. Als PDF herunterladbar auf der Webseite des Ministeriums unter www.bmfsfj.de 

https://www.bmfsfj.de/bmfsfj/service/publikationen/junge-maenner-im-alter-von-18-bis-29-jahren-254852