Dossier

Geschlechtergerechtigkeit steuern – geschlechtergerechte Steuern!

Ein Dossier zu feministischer Steuerpolitik

Eigenständige Existenzsicherung als Basis für selbstbestimmtes Leben von Frauen und Männern ist noch immer ein unerreichtes Ziel. Vielen Fortschritten und Gleichstellungsmaßnahmen zum Trotz bleiben ganze Politikbereiche beharrlich unreflektiert bezüglich der geschlechterpolitischen Dimension, obwohl sie unmittelbare Auswirkungen auf alltägliche, geschlechterspezifische Lebensgestaltung von Menschen haben. Dies gilt insbesondere für die Steuerpolitik. In Deutschland werden traditionelle Arbeitsteilung und innerfamiliäre Rollenzuweisung steuerlich subventioniert und die Ehe als steuerlich „günstigste“ Lebensform gefördert. Dies schränkt nicht nur Gestaltungsfreiheit und individuelle Wahl des Lebensstils ein, sondern bewirkt – empirisch über Jahrzehnte erwiesen – geschlechtsspezifische und soziale Diskriminierung. Im Rahmen der Dialogreihe „Eigenständige Existenzsicherung“ widmete sich das Gunda-Werner-Institut daher der Frage, wie geschlechter(un)gerecht unser Steuersystem ist – und wie geschlechtergerechte Varianten von Einkommensbesteuerung aussehen könnten.

In dieser Diskussion steht an erste Stelle die Thematik der Abschaffung des Ehegattensplittings: an welchen konkreten Punkten wird dieses System aus feministischer Sicht kritisiert, aber auch von den VerfechterInnen verteidigt? Welche Reformalternativen bieten die Chance für mehr Geschlechtergerechtigkeit, inwiefern sind sie umsetzbar? Welche geschlechterpolitisch relevanten Zusammenhänge von Steuer- und Sozialpolitik müssen zudem bei einer feministischen Kritik am Steuersystem berücksichtigt werden? Wo bestehen Hürden bzw. Ansatzpunkte in Politik und Verwaltung für Veränderungen zu Gunsten einer eigenständigen Existenzsicherung von Frauen und Männern? Wo steht das deutsche Steuersystem – als fast einziges Land, in dem ein Ehegattensplitting existiert – und die feministische Debatte darum im europäischen Vergleich?

Steuerpolitik

Politik steuert mit Steuern. Welche Steuern werden in welchem Umfang erhoben? Sind öffentliche Haushalte geschlechtergerecht? Die Forderung nach einer eigenständigen Existenzsicherung aller Individuen rückt deren Besteuerung in den Blick: Neben der Lohnschere zwischen den Geschlechtern werden auch Steuerunterschiede sichtbar. Steuern fördern oder begrenzen bestimmte Lebenskonzepte. Steuern können geschlechterungleiche Rollenzuweisungen fortschreiben: Hier steuern feministische und geschlechtergerechte Politiken dagegen.

Eigenständige Existenzsicherung braucht eine am Individuum ausgerichtete Politik

Steuern beeinflussen Lebensstile. Es gilt: Steuern zu steuern - auf Steuerpolitik aktiv Einfluss zu nehmen, damit das Steuersystem mitsamt der normativen Anreize an gesellschaftlichen Werten ausgerichtet wird
Susann Worschech

Steuern steuern!

Es gilt: Steuern zu steuern – auf Steuerpolitik aktiv Einfluss zu nehmen, damit das Steuersystem mitsamt der normativen Anreize an gesellschaftlichen Werten ausgerichtet wird, und nicht Lebensstile und dem zugrunde liegende normative Vorstellungen dem Steuersystem entsprechend ausgestaltet werden. Die dem Steuersystem zu Grunde liegende Logik und jene Normen, nach denen Steueranreize gesetzt werden, müssen demokratisch im gesellschaftspolitischen Raum entstehen und sind – wenn auch oft mühsam – veränderbar.

Zu jenen Werten, an denen das Steuersystem orientiert sein sollte, zählt selbstverständlich auch die Geschlechtergerechtigkeit – als grundgesetzliches Gebot der Gleichberechtigung von Männern und Frauen ist dies unbedingter Bestandteil der Gesetzgebung. Eine feministische Perspektive auf das Steuersystem zeigt indes, dass von wirklicher Steuergerechtigkeit und Gleichstellung der Geschlechter keine Rede sein kann. Der Gender-Mainstreaming-Ansatz, verankert als Arbeitsprinzip in der Gemeinsamen Geschäftsordnung der Bundesministerien, hilft, Gesetzesvorhaben und Gesetze auf geschlechterpolitische Auswirkungen hin zu untersuchen. Beide Ansätze bzw. Perspektiven zeigen mindestens eine mittelbare Diskriminierung in der Besteuerung von Familien und Ehegatten sowie gerechtigkeitspolitisch fragwürdige soziale Probleme auf.