Ja, unsere Geburtenrate von 1,39 ist niedrig, das wussten wir. Aber andere sind noch niedriger – wir sind also irgendwo in der unteren Gruppe, mit Lettland und Italien, da kommt noch keine Panik auf. Aber was nicht so klar war: Weltweit sind wir sogar das Land, in dem die meisten Frauen dauerhaft kinderlos bleiben. Das hat das Institut für Bevölkerungsforschung gerade veröffentlicht. Und das sitzt.
Das Institut, das dem Innenministerium untersteht, hat auch gleich die Gründe eruiert: Vor allem haben die Frauen Bedenken, sie könnten der Mutterrolle als berufstätige Frau nicht gerecht werden. Daran tut beides weh: Zum einen: Was ist das für eine grauenhaft eingekerkerte Mutterrolle, die die Frauen meinen, ausfüllen zu müssen? Und zum zweiten: Was ist das für ein gruseliges Arbeitsverständnis, neben dem man nicht mehr Mutter oder aktiver Vater sein kann?
Ja, wir Deutschen haben nicht nur die eine Hypothek: Das überladene deutsche Mutterbild. Wir haben auch noch eine zweite: Das deutsche Arbeitsethos. Das besagt: wer nicht 12 Stunden am Tag ansprechbar ist und möglichst auch noch annähernd so lang im Büro, macht sich einen Lenz, ist kein*e Leistungsträger*in, steigt nicht auf. Das schreckt ab. Frauen, die sehen, wie ihre Kolleginnen mit Kindern auf unbedeutende Teilzeitstellen abgeschoben werden, bekommen natürlich keine große Lust auf Nachwuchs.
Die Politik reagiert kaum. Und wenn, dann nur in einer Richtung. Gerade wird darum gekämpft, ob ältere Mütter etwas mehr Rente bekommen sollen. Wer vor 1992 Kinder bekam, erhält pro Kind nur einen Rentenpunkt (der Durchschnitt eines Beitragsjahres) mehr zu den Rentenbeiträgen. Die Unionsfrauen kämpfen seit Monaten für eine Angleichung an die jüngeren Mütter, denen drei Beitragsjahre gutgeschrieben werden. Das ist vor allem deshalb wichtig, weil die älteren Mütter sich noch darauf verlassen haben, dass sie über ihre Ehemänner abgesichert sind. Das aber ist schon lange eine Illusion. Der Weg, sie mehr abzusichern, ist zwar nicht zukunftsweisend, weil er ein untaugliches Ehemodell unterstützt – aber so haben wir nun mal gelebt, in diesem Land. Deshalb ist auch die neue Klarstellung im Unterhaltsrecht gut, die Hausfrauen nach einer Scheidung wieder etwas besser stellt, als es die Unterhaltsrecht-Novelle von 2008 vorsieht. Die hatte geschiedenen älteren Hausfrauen aufgebürdet, plötzlich ganz für sich selbst zu sorgen – was diesen Frauen mangels Chancen auf dem Arbeitsmarkt nur schlecht gelingt.
Doch die andere Seite, und nur die führt in die Zukunft, fehlt bisher weitgehend. Das ist die Frage, wie die Erwerbsarbeit durchlässig wird für familiäre Verpflichtungen. Das Elterngeld geht in diese Richtung, auch wenn es noch skandalös ungleich aufgeteilt ist. Eine hohe Subvention für einen begrenzten Zeitraum, mit dem Arbeitgeber*innen und Arbeitnehmer*innen planen können, ist richtig. Aber es fehlt noch so viel anderes: Wie kann ein Mann, der sich auch um Kinder kümmert, Karriere machen? Und wie eine Frau? Das eine Geschlecht auf den Mommy-Track abzuschieben, funktioniert nicht mehr, wie unsere hohe Zahl an weiblichen Kinderlosen zeigt. Ein paar lauwarme und unterfinanzierte Modelle zur Großelternzeit oder Familienpflegezeit, wie die aus dem Familienministerium, sind gemessen an der Aufgabe ein Witz.
Wir müssen eine Arbeitszeitdebatte führen. Wir müssen leitende Jobs für Menschen in Teilzeit öffnen. Wir müssen Väter und Mütter in 30-Stunden-Stellen bringen, die nicht das Ende der Karriere bedeuten. Aber das Ende eines zerstörerischen Arbeitsethos.
Savoir vivre, könnte man das nennen. Zu leben wissen. Wär doch schön, wenn wir das auch mal könnten.