Spieltaktik: GENDER KICKS 2011

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Startschuss für die Kampagne GENDER KICKS 2011
v.l.o.n.r. Claudia Roth, Gitti Hentschel, Anouschka Bernhard, Hannelore Ratzeburg, Dr. Tatjana Eggeling

Foto: Andrea Kroth, Lizenz: CC-BY-NC-SA

 

 

Susanne Diehr

 

Inhalt 

 

 

 

Mit der Kampagne GENDER KICKS 2011 begleitet die Heinrich-Böll-Stiftung die Fußball-WM der Frauen. Der Kampagnentitel gibt die Spieltaktik vor: Weil Geschlecht in allen politischen und gesellschaftlichen Bereichen eine Rolle spielt, ist Geschlechterdemokratie eine Gemeinschaftsaufgabe der Stiftung. Dass folglich auch immer, wenn Fußball gespielt und über Fußball geredet wird, Geschlechterverhältnisse verhandelt werden, will die Kampagne durch feministisch-kritische und geschlechterdemokratische Perspektiven sichtbar machen.

 

Lange vor und unabhängig von dieser Kampagne der Heinrich-Böll-Stiftung versammelte eine Publikation 2005 unter dem Titel „gender kicks“ Texte zu Fußball und Geschlecht. In ihrer Einleitung erklären die Herausgeber_innen: „gender kicks sind Schüsse, Anstöße, Interventionen in die Politik und Kultur des Fußballs, die verdeutlichen, dass das Geschlecht auf und neben dem Platz immer mitspielt“.

Den Anpfiff für GENDER KICKS 2011 und die Debatte zur Spieltaktik gab es bereits am 12.11.2010 beim Green Ladies Lunch des Gunda-Werner-Instituts.

Die schönsten Seiten sind feministisch 

„Die schönsten Seiten von 20ELF!“, lautet das DFB-Motto für die Fußball-WM 2011. „Die feministischen Seiten von 20ELF“, zitierte das Green Ladies Lunch des Gunda-Werner-Instituts vom 12.11.2010 das Motto, um das Ereignis 20ELF feministisch zu analysieren und so die Spieltaktik für GENDER KICKS 2011 zu debattieren.

Bereits bei der Bewertung des DFB-Mottos gingen die Meinungen auseinander: Die einen freuten sich, dass der DFB die WM als Zeichen gestiegener Wertschätzung und Schritt zu Gleichberechtigung mit eigener Werbe-Kampagne ausstattet, andere kritisierten die Diskurse, in denen sich das Motto bewege: Hier werde ein Schönheitsbegriff aufgerufen, der auf den Körper ziele, vermutlich weil „Frauen und Schönheit“ scheinbar so gut zusammenpassten. Ästhetik-Debatten, die sich auf den Fußball (von Männern) beziehen, fragen dagegen überwiegend nach der Schönheit des Spiels.

Letztendlich führen beide Perspektiven zu einer veränderten Wahrnehmung von Fußball insgesamt. Auf diese Weise gab das Green Ladies Lunch die Spieltaktik fürs WM-Jahr vor.

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Fußball oder Frauenfußball? 

Der erste Input kam direkt vom Spielfeldrand von der ehemaligen Bundesligaspielerin, Europameisterin und Vize-Weltmeisterin Anouschka Bernhard. Sie galt während ihrer aktiven Zeit als „extrem talentiert und extrem faul“ (O-Ton), was als ein Hinweis auf den Grad der Professionalisierung Mitte der 1990er zu verstehen sei: mit nur drei Trainingseinheiten pro Woche wurde frau damals Weltmeisterin. „2011 leisten Nationalspielerinnen sieben Trainingseinheiten pro Woche“.

Heute ist Anouschka Bernhard Fußballtrainerin, „ein weiblicher Joachim Löw“, d.h. sie hat die gleiche Lizenz wie der Trainer des Männer-Nationalteams und trainiert derzeit den männlichen Nachwuchs von Hertha BSC. Mädchen und Frauen spielen bei Hertha, wie bei vielen anderen Männer-Bundesligisten, nicht, „nur vier Männer-Fußball-Bundesligisten haben Frauen-Bundesliga-Teams“. Daraus zog sie den Schluss: Erfolgreiche Fußballabteilungen für Frauen konnten sich eher in Vereinen etablieren, in denen Fußball nicht Männer-Domäne ist und Frauen in der Vereinshierarchie unten rangieren.

Dies ist mit ein Grund für Anouschka Bernhard, konsequent von Frauenfußball zu sprechen – und nicht von dem einen Fußball (von Frauen und Männer). Der Vergleich zwischen Fußball von Frauen und Männer schade Frauenfußball. Besser sei es, Frauenfußball als eigene Sportart – mit eigener Geschichte und eigener Entwicklung – zu betrachten. Dies leuchtet einerseits ein, wenn sie die großen Unterschiede verdeutlicht: Während die Wirtschaftskraft des ersten Männer-Bundesligisten Hertha BSC bis zu 70 Arbeitsplätze schafft, müssen selbst Nationalspielerinnen Fußball und Erwerbsarbeit verbinden.

Feministischen Widerspruch erntete sie allerdings, als sie – mit dem Gewicht der Empirie – feststellte, Mädchen und Jungs würden unterschiedlich spielen. Während Jungs egoistisch den Ball beanspruchten und selbst aufs Tor schießen wollten, seien Mädchen kommunikativ, „der Erfolg des Teams steht im Vordergrund“. Mit zunehmendem Alter würden aber die von ihr festgestellten Geschlechterunterschiede verschwinden und einer – geschlechtsübergreifenden – professionellen Erfolgsorientierung Platz machen.

Letztendlich lassen sich Bernhards Beobachtungen auch feministisch interpretieren: das, was Mädchen und Jungs im Zuge ihrer Professionalisierung verlernen, ist zuvor gelerntes geschlechtskonformes Verhalten. Und: In der Wahrnehmung geschlechtstypischer Spielweisen sind schon immer die Geschlechterbilder im Fußball wirkmächtig.

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Geschlechternormen que(e)rdenken 

Diesen Ball griff Tatjana Eggeling, Kulturwissenschaftlerin und Beraterin im Netzwerk Fußball gegen Homophobie, im zweiten Input auf. Sie legte dar, welche Typen den Standard im Fußball setzen. In Deutschland wirkten im Fußballsport Bilder von Männlichkeit, Härte und Kameradschaft. Ein Fußballspieler ist Leitbild echter Männlichkeit mit einem starken Männerkörper. Wenn Frauen sich diesen männlich codierten Sport aneignen, stehen sie unter dem Druck, als symbolischen Ausgleich möglichst viel Weiblichkeit zur Schau zu stellen.

Dieses Thema wurde in der Debatten-Runde auf verschieden Weise fortgeführt. So verwies Eva Boesenberg, Professorin für Amerikanistik an der Humboldt-Universität Berlin, auf die USA, wo Fußball als Frauensport gilt. Mit Blick auf verschiedene Sportkulturen werde auch die geschlechtliche Codierung des Fußballs in Europa als Konstruktion sichtbar. Sprich: Das, was jeweils als weiblich oder männlich gilt und im jeweiligen Sport dargestellt bzw. verkörpert wird, wird gerade auch in diesem hergestellt.

Ein anderer Schwerpunkt bildete das Thema Homophobie im Fußball. So wurde z.B. diskutiert, inwiefern sich mit zunehmender öffentlicher Aufmerksamkeit für Fußball von Frauen der Druck zur Darstellung normierter Weiblichkeit erhöhe. „Kommt es im Zuge von Frauenfußball und zunehmenden Druck von Präsentabilität zu einer Distanzierung von Lesben?“, wurde nachgehakt.

Bei der Frage, inwiefern einzelne Spielerinnen mit Statements zu offenem Lesbisch-Sein ein Zeichen setzen sollen, gingen die Meinungen auseinander. Dass mittlerweile selbst in der Mainstream-Presse der entspannte Umgang mit lesbischer Sexualität im Frauenfußball bemerkt wird, unterstreicht letztendlich den Einwurf von Almut Sülzle, Expertin zu Frauen als Fußballfans und Herausgeberin der Publikation „gender kicks“ (2005): Der Rede von der Homophobie im Fußball und der Befürchtung der Heterosexualisierung des Frauenfußballs setzt sie die Benennung der Schwulenfeindlichkeit im Fußball gegenüber. Anstelle des öffentlichen lesbischen Coming Outs bewertete sie es als emanzipative Strategie, dass ein Team sich gerade nicht in lesbische, bi-, heterosexuelle Frauen sortieren lässt. Die Taktik „Wir sagen euch nicht, wer von uns was ist“, wirft die Coming-Out-Frage zurück auf die neugierig Fragenden und problematisiert die Suche nach Bekenntnissen und wahren Identitäten.

Während Lesben im Fußball also anscheinend ihren Ort gefunden hatten und haben, winkte Tatjana Eggeling bei der Frage nach den Möglichkeiten queerer Identitäten im Sport ab: Dem Zwang binärer Zweigeschlechtlichkeit sei im Sport nicht zu entkommen.

Kein Wunder, ist zu ergänzen: schließlich ist Sport zweigeschlechtlich organisiert. Eine queere Perspektive kann aber zeigen, dass Sport das, was er demonstrativ zur Schau stellt, eben erst herstellt. Queer gelesen ist die Geschichte des Frauensports auch eine Geschichte der De/Konstruktion wahrer Weiblichkeit und wahrer Geschlechtsidentität. Was jeweils als Merkmal wahren Frauseins galt – und durch den (neuen) Zugang von Frauen zu einer Sportart gefährdet erschien – veränderte sich und wanderte in der Geschichte des modernen Sports über die und innerhalb der Körper.

Aus der Zwei-Geschlechter-Logik des Sports erklärt sich letztendlich auch die Homophobie in seinen Räumen: Wahre Weiblichkeit und Männlichkeit wird heterosexuell – im Begehren bezogen auf das jeweils andere Geschlecht – gedacht. Gleichgeschlechtliche Sexualitäten bringen die zur Schau gestellte natürliche Geschlechtlichkeit im Sport ins Wanken – Homophobie ist die Abwehr.

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Politischer Kaffeklatsch 

Podiumsteilnehmerin des Ladies Lunch war auch Hannelore Ratzeburg, DFB-Vizepräsidentin und Fußballpionierin. Seit der DFB die Organisierung von Frauen in seinen Reihen vor 40 Jahren erlaubte, ist Hannelore Ratzeburg eine zentrale Figur des deutschen Frauenfußballs. Das macht sie auch zur ersten Ansprechpartnerin für den Bereich: Im Magazin 11 freundinnen hat sie in jeder Ausgabe das letzte Wort, eine eigene Interview-Rubrik mit dem Titel „Kaffeeklatsch mit Hannelore“.
Passend dazu gewährte sie beim Ladies Lunch – neben vielen Einblicken in ihre Arbeit und die Entwicklung des Frauenfußballs – auch eine neue Sicht auf das vielzitierte und kritisierte Kaffeservice, das der DFB seinen Europameisterinnen 1989 stolz überreichte. Dies dürfe nicht als Missachtung des Frauenfußballs missdeutet werden, sondern verweise auf den Amateur-Status, in dem kein Geld fließen durfte. Tatsächlich war der Porzellanhersteller zu dieser Zeit Sponsor des Männer-Teams (!) und konnte deshalb das Service für die Frauen über Nacht beisteuern.

Claudia Roth schließlich, nicht nur Schirmherrin des Ladies Lunch, sondern auch in der DFB-Kulturstiftung für Fußball engagiert, strich die gesellschaftliche Bedeutung des Frauenfußballs hervor. Sie sieht nicht zuletzt in der Kooperation der DFB-Kulturstiftung und der Heinrich-Böll-Stiftung für die gemeinsame Tour „Gegnerinnen-Aufklärung“ ein Zeichen, dass der DFB offen für Themen wie Geschlechterdemokratie ist.

Sie regte zur Debatte über das Verhältnis von Sport und Politik an: Was könnten oder sollten politische Botschaften des Frauenfußballs und der WM 20ELF sein? Strittig dabei war, inwiefern Fußball von Politik (zu sehr) vereinnahmt werde. Diese Frage müsse sich nicht zuletzt die Heinrich-Böll-Stiftung stellen, wenn sie, wie andere Organisationen auch, die WM 2011 nutzt, um Geschlechterdemokratie zum Thema zu machen.
Mit Blick auf verschiedene feministische Aktionen rund um die WM wurde auch Kritik an rassistischen Perspektiven artikuliert: Entdecken weiße Feminist_innen das Thema Frauenfußball, um über ihre Vorstellungen von Integration und Multikulti zu sprechen? Die Frage steht im Raum – und sollte weiter erörtert werden, gerade auch mit Stimmen, die auf dem Podium diese Mal nicht vertreten waren.

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Fußball macht Politik 

Während sich Frauenfußball-Fans und -Akteurinnen „erstmal auf die WM im eigenen Land freuen“, braucht es dennoch oder gerade deshalb begleitende politische Fragen – getragen von der Einsicht, dass Sport und Politik nicht getrennte Bereiche sind, denn Sport macht Politik.

Zur Vorfreude auf die WM gehört auch die Frage, wie nachhaltig die Aufmerksamkeit ist, die die WM für Frauenfußball generiert. Spätestens zurück im Liga-Alltag ist auch in Zukunft politische Unterstützung für Mädchen und Frauen im Fußball gefragt. Ein praktisches Beispiel aus der Debattenrunde für die Umsetzung von Geschlechterdemokratie kam dazu aus der Berliner Verwaltung: In einem Berliner Bezirk soll in Zukunft ein Gender Budgeting bei Trainingsplätzen den Zugang zum Fußball für Mädchen erweitern.

Auf symbolischer Ebene gibt es mit 20ELF womöglich feministisch etwas zu gewinnen – das legen zumindest Reaktionen auf dem 11-freunde-Blog nach Erscheinen der ersten 11-freundinnen-Beilage 2009 nahe. Frauenfußball erwies sich als Herausforderung hegemonialer (Fußball)Männlichkeit, entsprechend sexistisch waren wohl einige Blog-Beiträge, die taz sprach vom „Online-Leserstammtisch“.

Dass ein feministischer Traum aber einmal aus einem „Sommermärchen reloaded“ bestehen sollte – dafür haben „wir“ eigentlich nicht gekämpft, oder?

Am Ende des Green Ladies Lunch heißt es: Nach dem Spiel ist vor dem Spiel.
Die Spieltaktik-Debatte machte deutlich, was Diskussions-Stoff für GENDER KICKS 2011 sein kann.
Die Debatten sollen fortgesetzt werden, z.B. bei der Tour „Gegnerinnen-Aufklärung“ im Mai 2011 in Kooperation mit der DFB-Kulturstiftung, und in der „Böll-Arena“ während den WM-Wochen.

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