15-39% der Gen Z bezeichnen sich als queer. Queerness ist in vielen Bereichen so präsent wie noch nie. Queere Beziehungsformen, Lebensentwürfe und Identitäten gehören zunehmend zum sichtbaren Leben. Doch die globale Rechte holt schon länger zum Backlash aus.
Noch nie war eine Altersgruppe so wenig heteronormativ. Laut Umfragen der letzten Jahre bezeichnen sich 15 bis 39 Prozent der Gen Z als queer. In Politik, Literatur, Wissenschaft, Serien, Popkultur oder Arbeitswelt: Queerness ist präsent wie noch nie. Und das gilt bei weitem nicht nur für westliche Popkultur – im Krieg gegen die Ukraine etwa kämpfen Queers explizit sichtbar gegen Russland. Queere Beziehungsformen, Lebensentwürfe und Identitäten gehören zunehmend zum sichtbaren Leben.
Das gefällt nicht allen. Die globale Rechte holt schon länger zum Backlash aus; religiöse Fundamentalist*innen fabulieren von Sünde, Frühsexualisierung und Sittenverfall; Sexist*innen und Homofeind*innen aller Couleur mobilisieren bürgerliche Ängste für queerfeindliche Kampagnen: Die Familie sei in Gefahr, das Volk sterbe aus, queere Wokeness und Identitätspolitik würden den gesellschaftlichen Zusammenhalt bedrohen, die ‚Trans-Lobby‘ mache Kinder queer usw.
Besonders drastisch manifestiert sich dies derzeit in den USA. In vielen Staaten wurde in den letzten Jahren Sexualaufklärung zu queeren Themen kriminalisiert, unliebsame Bücher werden aus Bibliotheken entfernt und der rechte Mob attackiert queere Veranstaltungen wie etwa Auftritte von Dragqueens. Besonders im Fokus der Angriffe stehen trans Personen: Mehrere republikanisch geführte Staaten haben Änderungen an offiziellen Dokumenten verboten – so können Geschlechtseinträge nicht geändert werden. Gender-Affirming Care wie etwa Hormontherapien (die nicht nur von trans Personen in Anspruch genommen werden) ist aktuell in 15 Bundesstaaten massiv eingeschränkt. Mit sogenannten »Bathroom Bills« wird die Nutzung öffentlicher Toiletten reglementiert – ein Gesetz aus Florida ermöglicht gar die Verhaftung von trans Personen, wenn sie die zu ihrer Geschlechtsidentität passende Toilette benutzen.
In Kiambu in Kenia wiederum bestätigte ein Gericht die Entscheidung, eine Schülerin von der Schule zu verweisen. Das Gericht war der Auffassung, die Schule sei berechtigt, der Schülerin aufgrund ihrer sexuellen Orientierung – sie hatte geäußert, dass sie lesbisch sei – einen Verstoß gegen die Schulordnung vorzuwerfen.
Diese Entwicklungen sind nicht neu, wurden aber lange unterschätzt. Im Globalen Norden schien es einen beständigen (wenn auch in Teilen langsamen) Fortschritt in Bezug auf die Rechte von Frauen und queeren Menschen zu geben. Nun zeigt sich deutlich: Dieser Fortschritt ist nicht unumkehrbar. In den USA wurde das Recht auf Abtreibung gekippt, in Großbritannien wurde die trans Teenagerin Brianna Ghey von ihren Mitschüler*innen ermordet. Und was eine Regierungsbeteiligung der AfD für queere Menschen in Deutschland bedeuten würde, will man lieber nicht herausfinden. Die Angst geht wieder um. An vielen Orten war sie nie weg.
In Afrika kriminalisieren 31 Länder einvernehmliche gleichgeschlechtliche sexuelle Handlungen, obwohl dies in klarem Widerspruch zu den von der Afrikanischen Union sowie international etablierten Menschenrechtsstandards steht. Weltweit sind es 61 Länder. In Uganda, wo gleichgeschlechtliche sexuelle Handlungen bereits verboten waren, hat sich 2023 die Situation mit der Verabschiedung des drakonischen Anti-Homosexualitätsgesetzes weiter verschlimmert. Es sieht unter anderem die Todesstrafe für »schwerwiegende Homosexualität« und eine Gefängnisstrafe für die Unterstützung von Homosexualität vor. Das Inkrafttreten des Gesetzes hat zu Gesetzinitiativen in mehreren anderen afrikanischen Ländern geführt, deren Inhalte ähnlich formuliert sind.
Auch Amnesty International stellt in einem Bericht vom Januar 2024 fest, dass Queers in ganz Afrika mit einem beängstigenden Rückschritt bezüglich LGBTIQ-Rechten konfrontiert sind – bis hin zur absoluten Leugnung ihrer Existenz. Die NGO beobachtet einen beängstigenden Anstieg an homophoben Einstellungen, Handlungen und Gesetzen. Und betont auch, dass sich in diesen Entwicklungen ein weltweiter Angriff auf die Rechte von Queers spiegelt. Angetrieben wird dieser von einer zunehmend einflussreichen Anti-Gender-Bewegung – auch und gerade im Globalen Norden (Link zu Artikel: Globalisierter Backlash).
In diesem Dossier schauen wir darauf, wie queere Menschen weltweit mit dem Angriff auf ihre Existenz umgehen, wie und wofür sie kämpfen und Widerstand leisten. Aber auch auf das, was sie bisher erreicht haben. Unsere Autorin aus Teheran schildert, wie es trotz massiver Repression auch in Iran Hoffnungsschimmer gibt. Das LGBTIQ-Center Tel Aviv schreibt zu seiner Neueröffnung über Erfolge der queeren Bewegung in Israel und die NGO Caucasus Crisis Group berichtet im Interview von Evakuierungen bedrohter Queers aus dem Nordkaukasus. In diesem Sinne minimal zuversichtlich gestimmt …
Dieser Artikel erschien zuerst auf iz3w und ist in Kooperation mit dem GWI entstanden.