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Die Frauen in Bosnien-Herzegowina heute

Junge Frau
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Das CISO Job-Center hilft jungen Arbeitslosen in den Arbeitsmarkt zu finden

Bosnien-Herzegowina

Sozioökonomisches, sozio-politisches Umfeld und das gesellschaftliche Klima

Das Transitions- und post-daytoner Bosnien-Herzegowina ist ein wirtschaftlich heruntergekommenes und gänzlich verarmtes Land. Politisch gesehen ist es ein Land, das in seiner Struktur durch ethno-nationalistische Teilung und Spannungen belastet ist. Diese dominieren die öffentliche Sphäre und beeinflussen stark sowohl institutionelle Regelungen (z.B. das Wahlgesetz), als auch das gesamte gesellschaftliche Klima. Da finanzielle Armut und ethno-nationale Spannungen ein schlechtes Umfeld für die Förderung der Frauenrechte und ein Nährboden für rückschrittliche anstelle von fortschrittlichen Regelungen sind, belegen Geschlechtergleichheit und Frauenrechte die hintersten Plätze in den Prioritätenlisten der Agenden für demokratische Reformen in Bosnien-Herzegowina.

De iure und de facto Situation – Ökonomie, öffentliches und politisches Leben, Entscheidungen

Bosnien-Herzegowina hat als eines der ersten Transitionsländer in der Region bereits 2003 das Gesetz zur  Geschlechtergleichstellung verabschiedet; 2006 verabschiedete es das Gesetz gegen häusliche Gewalt und 2009 das Antidiskriminierungsgesetz. Es unterzeichnete und ratifizierte die Konvention zur Beseitigung jeder Form von Diskriminierung der Frau (CEDAW). Trotzdem ist die Frau hierzulande noch immer Diskriminierungen augesetzt sowie neuen, brutalen Formen der Ausbeutung auf dem Arbeitsmarkt und der sexuellen Dienstleistungen. Sie wird marginalisiert und häufig vollständig von Orten, an denen wichtige Entscheidungen getroffen werden, ausgeschlossen. Sie ist auch weiterhin der massiv verbreiteten Gewalt durch Männer ausgesetzt, die sie erduldet, nur weil sie eine Frau ist.

Wie in den meisten verarmten Transitionsländern bilden die Frauen auch hier das schwächste soziale Glied. In der massiven Arbeitslosigkeit (etwa 500.000 Arbeitslose bei einer geschätzten Bevölkerungszahl von etwa  3.800.000) bilden die Frauen den größten Anteil der erwerbslosen, arbeitsfähigen Bevölkerung und sind größtenteils „im Sog“ des grauen und schwarzen Arbeitsmarktes. Eine große Zahl an Frauen ist unterqualifiziert, und wegen der Arbeitslosigkeit oder der Kriegsinvalidität ihrer Männer sind sehr viele Frauen in Bosnien-Herzegowina heute die Haupt- oder Alleinverdienerinnen in der Familie. Sie arbeiten hauptsächlich ohne Sozial-, Kranken- oder Invaliden- und Rentenversicherung und sind oft froh, irgendeine Arbeit zu haben.

Die Teilnahme der Frauen im öffentlichen und politischen Laben ist gering, mit Tendenz zum weiteren Rückgang. Es gibt und gab keine einzige Frau im Staatspräsidium und nach den kürzlich stattgefundenen Allgemeinwahlen im Oktober 2010 zogen nur acht Frauen ins Staatsparlament ein, also genauso so viele wie 2006, und ins Parlament der Föderation BuH schafften es acht Frauen weniger als im Jahr 2006.

Die Frauen werden fast gänzlich aus den Macht- und Entscheidungszentren ausgeschlossen; sie werden aus den Friedensprozessen ausgeschlossen; sie werden aus den Verhandlungsprozessen ausgeschlossen; sie werden aus den Programmen zum Wiederaufbau nach dem Krieg ausgeschlossen; und wir beobachten auch ihren Ausschluss aus dem Prozess der europäischen Integration.

Zu Führungspersonen in staatlichen Unternehmen werden hauptsächlich Männer ernannt, die die Vorstände und Exekutivorgane im Wirtschaftssektor dominieren.

Fokus auf Gewalt gegen Frauen und Mädchen

Auch wenn all dies Probleme von höchster Dringlichkeit sind, mit denen die bosnisch-herzegowinische Frau leben muss, würde ich das hundertjährige Jubiläum zum Internationalen Tag der Frauen am 8. März in Bosnien-Herzegowina dem allgegenwärtigen und unzivilisierten Problem der männlichen Gewalt gegen Frauen und Mädchen widmen. Zieht man die Daten der Nichtregierungsorganisationen und die Tatsache in Betracht, dass von der Gesamtzahl der Straftaten laut eines Berichts des Sicherheitsministeriums 80 Prozent der Opfer Frauen und 90 Prozent der Täter Männer sind, lässt sich leicht schlussfolgern, dass sich hinter dem Syntagma „Geschlechterbasierte Gewalt“ immer Gewalt gegen Frauen und Mädchen verbirgt.

Da bekannt ist, dass Frauen (wie auch die übrigen Opfer oder Zeugen von häuslicher Gewalt) im Prinzip ungern selbst schwerste Fälle von Gewalttaten gegen sie zur Anzeige bringen, kommt man leicht zu der Schlussfolgerung, dass es weitaus mehr Gewalt gegen Frauen und Mädchen gibt als die zuständigen Behörden verzeichnen und dass die zur Verfügung stehenden Zahlen nur die Spitze des Eisbergs sind.

Auch wenn Gewalt gegen Frauen und Mädchen ein Paradigma der drastischsten und brutalsten Form der Missachtung der Grundrechte der Frauen darstellt, so scheint es, dass es dafür die wenigste sozio-kulturelle Sensibilität und vielleicht den geringsten (politischen) Willen gibt, das Problem endlich vom Rand des öffentlichen Interesses in Richtung Zentrum zu bewegen. Der Sinn der lokalen Gesetze und der internationalen Konventionen zu Gewalt gegen Frauen und Mädchen zerbricht an den mächtigen Bollwerken der kulturell tief verwurzelten gesellschaftlichen Toleranz der Gewalt gegen Frauen.

Leider fehlt es in Bosnien-Herzegowina und in der Gesellschaft am Bewusstsein über die tiefsitzenden patriarchalen und frauenfeindlichen (mysogenen) Wurzeln der Gewalt gegen Frauen.

Dank der Bemühungen hauptsächlich der Nichtregierungsorganisationen und der internationalen Akteure, die sich im Nachkriegs-Bosnien-Herzegowina als erste der Frage nach der geschlechterbasierten Gewalt angenommen haben, wird das Thema in der Gesellschaft sichtbarer und allmählich wird es als etwas wahrgenommen, was ein öffentliches Problem darstellt und es legitim und notwendig ist, öffentlich darüber zu diskutieren.

Sowohl in der Öffentlichkeit als auch in den zuständigen Institutionen wächst allmählich, wenn auch mit Schwierigkeiten einhergehend, das Bewusstsein darüber, dass der Staat derjenige ist, der den Frauen ihr Recht auf ein Leben frei von jeder Art von Gewalt, Einschüchterung oder Gewaltandrohung gewährleisten muss, und dass der Staat verantwortlich ist, wenn die Opfer keinen angemessenen Schutz erhalten oder die Täter nicht angemessen bestraft oder behandelt werden. Zu den staatlichen Strukturen dringt dieses Bewusststein jedoch sehr langsam vor, und es besteht kein wirklicher Wille dazu, diese Verantwortung auch tatsächlich zu übernehmen. 

 

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