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Lesben-Geschichte-Frauen-Bewegung

Am 13. September 1968 begann in Westdeutschland die Neue Frauenbewegung. Initiiert wurde die Herausbildung der Frauenbewegung durch gezielte Würfe einiger Suppentomaten. Als alternative Datierung für die feministische Geburtsstunde kursiert der 6. Juni 1971. Die spektakuläre Aktion „Wir haben abgetrieben!“ setzt mit Blick auf das Prinzip der Selbstorganisation (von und für Frauen) den Auftakt der Frauenbewegung auf diese Chronologie. 

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Zur Geschichte der deutschen Lesben-Geschichte-Frauen-Bewegung

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Inhaltsverzeichnis:

  1. Einleitung
  2. Ohne Lesben keine Frauenbewegung
  3. Lesben Hier und Überall
  4. Heterozentrismus überwinden – lesbische Existenz finden...
  5. ... wie ein Sechser im Lotto – allerdings ohne jemals Lotto gespielt zu haben
  6. Geschichte belesben
  7. Literaturhinweise

Am 13. September 1968 begann in Westdeutschland die Neue Frauenbewegung. Initiiert wurde die Herausbildung der Frauenbewegung durch gezielte Würfe einiger Suppentomaten. Handlungsort des Geschehens war die 23. Delegiertenkonferenz des SDS (Sozialistischer Studentenbund Deutschlands) in Frankfurt. Akteurin war die hochschwangere Berliner Delegierte Sigrid Damm-Rüger. Mit ihrem spektakulären Tomatenwurf erzwang sie einerseits die öffentliche Diskussion der Rede vom Berliner Aktionsrat zur Befreiung der Frau und demaskierte andererseits ihre Genossen als patriarchale Machos, die zwar eine herrschaftsfreie Gesellschaft propagierten, sich zu Hause aber als Paschas aufführten und den Frauen die Kindererziehung bzw. die Reproduktionsarbeit im umfassenden Sinne einer emotionalen, geistigen und psycho-sozialen Regeneration überließen.

Als alternative Datierung für die feministische Geburtsstunde kursiert der 6. Juni 1971. Die spektakuläre Aktion „Wir haben abgetrieben!“ setzt mit Blick auf das Prinzip der Selbstorganisation (von und für Frauen) den Auftakt der Frauenbewegung auf diese Chronologie. Nach französischem Vorbild klagten sich 374 Frauen öffentlich der Abtreibung an und forderten „keine Almosen vom Gesetzgeber und keine Reform auf Raten, [sondern] die ersatzlose Streichung des § 218.“

Den beiden Eckdaten gemeinsam ist, dass Frauen nach dem Prinzip der Selbstbestimmung handelten – autonom agierten. Gemäß der griechischen Bedeutung von autos nomos, griffen Frauen nach ihren eigenen Gesetzen in die Welt ein, in der sie lebten. Soviel „basics“ zum Thema „Frauenbewegung“. Nun soll lesbische Existenz explizit benannt und nicht wie in der Aufbruchszeit üblich „mitgemeint“, „mitge-“dacht“ und „vergessen“ werden. Sie soll als Movens der Frauenbewegung, die - nach Helke Sander - mindestens so bedeutsam ist, wie die Entdeckung der Erde als Kugel, sichtbar sein.

 

Ohne Lesben keine Frauenbewegung

Ein eindeutiges Fanal für die westdeutsche Lesbenbewegung gibt es nicht; „irgendwann zwischen 1992 und 1995, je nach regionalem Standort und politischer Sicht [...] wird des 20jährigen Bestehens der Lesbenbewegung gedacht.“ schrieben Kathrin Lahusen und Anke Schäfer 1995 in ihrem Lesbenjahrbuch 1. Als Eckdaten gelten: Februar 1972, als Frauen eine „schwule Frauengruppe“ in der „Homosexuellen Aktion Westberlin“ (HAW) bildeten. Denn lesbisch lebende Frauen sahen zu Beginn der politischen Offensive mehr Gemeinsamkeiten mit schwulen Männern (Diskriminierung gleichgeschlechtlicher Lebensweise), als mit heterosexuell lebenden Frauen. Erste (inter)nationale Assoziationen entstanden. Der 17. Februar 1973 ist das Datum, als Lesben erstmals mit ihren Forderungen auf die Straße zu gehen wagten. An sechs zentralen Berliner Plätzen verteilte eine Gruppe von Lesben ihr Flugblatt „Die Verbrechen an den lesbischen Frauen“. Damit initiierten sie den Beginn mehrjähriger Protestaktionen unterschiedlichster Façon gegen die verleumderische Berichterstattung im Strafprozess gegen die lesbischen Frauen Marion Ihns und Judy Anderson, die der Anstiftung zum Mord am Ehemann Ihns angeklagt waren. Im „Hexenprozess von Itzehoe“ wurde nicht der Straftat, sondern der lesbischen Liebe der Prozess gemacht, wogegen couragiert vorgegangen wurde: “Wir Frauen protestieren gegen die Verketzerung der weiblichen Homosexualität [...] Sachliche Informationen können nur von den Betroffenen selbst erbracht werden – und nicht von irgendwelchen ‚Wissenschaftlern‘ und Lohnschreibern der Boulevard-Presse“.

In manchen Kreisen beginnt die Zeitrechnung im Sommer 1973 – mit Femø, dem internationalen Lesbentreffen auf der romantischen Insel in der dänischen Ostsee, der Sommerfrische und vor allem der feministischen Wissensbörse. Andere datieren mit Pfingsten 1974, als das Lesbenfrühlingstreffen (LFT) das Motto „Homosexuelle Frauen – von der Vereinzelung zur Organisation“ führte und den Lehrsatz der amerikanischen Radikalfeministin Ti Grace Atkinson „Feminismus die Theorie – Lesbianismus die Praxis“ in Westberlin rege Kontroversen provozierte und weitere Übersetzungsfehler passierten. 1975 hatte das LAZ (Lesbische Aktionszentrum), so hatte sich die HAW-Frauengruppe umbenannt, eigene Räume.

Die radikalpolitische Lesbenbewegung spaltete sich von der Schwulenbewegung ab und förderte die allgemeine feministische Gesellschaftskritik; gegen Ende der 70er Jahre führte Patriarchatskritik zum Ablösen von der Frauenbewegung, obschon diese oftmals substantiell von Lesben getragen war: in Frauenzentren, Arbeitsge-

meinschaften, Beratungsstellen §218, Frauenhäusern, Gesundheits-, Mütter- und anderen Zentren. Die separierenden Motivationen waren Sichtbarkeit und den Lesbenstandpunkt an kritisierten patriarchalen Gegebenheiten herauszufinden, um aus diesem Blickwinkel heraus Veränderungen zu initiieren. Ein tiefes Verständnis für und von „diversity“, der Unterschiedlichkeit im Sinne von Verschiedenheit und Vielfalt, ist ein fruchtbares Ergebnis der auch als „Schwesternstreit“ bekannt gewordenen Auseinandersetzungen zwischen Lesben und Heteras.

Und schließlich veröffentlichte Verena Stefan 1975 „Häutungen“, das erste explizit „lesbische“ literarische Werk im Kontext der neuen deutschen Bewegung. Mit „Häutungen“ begann eine vitale „lesbische“ Kulturproduktion in sämtlichen Sparten künstlerischer Metiers, deren Rezeption das Coming Out vieler Lesben begleitet(e).

 

Lesben Hier und Überall

„Lesben Hier und Überall“ – dies proklamierten tausende von Lesben in der Heidelberger Altstadt. Die Affirmation des Lesbenfrühlings von 1994 kann - m. E. flüchtig verstanden – geographisch gelesen werden; ebenso kann sie den zeitlichen Aspekt implizieren - ein Jederzeit. Demnach verkündete „Lesben Hier und Überall“ die uneingeschränkte geographische und chronologische Präsenz lesbischer Existenz.

Folgen wir den Überschriftsthemen und fragen nach Lesben in der Geschichte; fragen, was die galileische Wende Frauenbewegung für eine/unsere Geschichtsarbeit VOR ORT bedeutet. Und ganz konkret, wie „lesbische Existenz“ (Adrienne Rich) im historischen Prozess sichtbar gemacht werden kann.

Hierzu ist es hilfreich sich die Einladungskarte zum Lesbenfrühlingstreffen in Heidelberg zu vergegenwärtigen. Weltbekannt ist die romantisch am Berg liegende Schlossruine, die Stadt am Fluss mit der barocken Alten Brücke. Auf diesen quasi universalen Postkartenblick griffen die Organisatorinnen des 20. Treffens zurück, als sie die lesbische community begrüßten. Das Transparent mit der Aufschrift „Lesbenfrühling“, das sie an die Brüstung der Alten Brücke befestigten, machte sichtbar, was allgemein unsichtbar ist: lesbische Existenz in der Stadtgeschichte. Und wenn der betrachtende sich zum sehenden Blick wandelt, kann erkannt werden, dass die Vorlage „andersrum“ ist. Will sagen: Ein „anderer Blick“ auf die Geschichte macht sie sichtbar - „lesbische Existenz“. Selbst in Heidelberg kann sie als historisches Faktum nachgezeichnet werden, obgleich die Stadt keineswegs als Metropole oder Zentrum lesbischer Subkultur gilt.

 

Heterozentrismus überwinden – lesbische Existenz finden...

1986 förderten Baumaßnahmen für eine Tiefgarage mittelalterliche Mauerreste am Kornmarkt zu Tage. Umfangreiche Grabungen sicherten den überraschenden Fund in der Kernaltstadt. Unter anderem wurde ein Spitalfriedhof geborgen, der vom ausgehenden 13. bis zum ersten Drittel des 15. Jahrhunderts genutzt worden war. Insgesamt konnten ca. 270 Bestattungen von geschätzten 700 bis 900 Grabstellen erfasst werden.

Aus diesem Material zeigte ein Einzelgrab aus dem 14. Jahrhundert deviante Befunde, die im Grabungsbericht folgenderweise festgehalten wurden: „Unter den üblichen Einzelgräbern fällt Grablege 45 auf. Hier ruhen zwei Skelette in einem Sarg. Es liegt jedoch keine Doppelbestattung im eigentlichen Sinne vor, bei der die Verstorbenen gleichzeitig ins Grab gebettet wurden. Vielmehr begrub man die oben liegende Leiche in einem schon vorhandenen Grab, [...] die zweite Beerdigung [fand] in einem gewissen, jedoch nicht allzu großen zeitlichen Abstand zur ersten statt [...]. Nachbestattungen später verstorbener Ehegatten in das Grab des vorangegangenen Partners sind bekannt. Bei den beiden Skeletten aus Grab 45 handelt es sich jedoch um zwei zum Zeitpunkt ihres Todes etwa 30jährige Frauen." Der untypische Befund gibt zu denken; der offizielle Grabungsbericht schließt folgenderweise: "Die abschließende anthropologische Untersuchung mag klären helfen, welcher Art die wahrscheinlich verwandtschaftliche Beziehung (Geschwister, Zwillinge?) der beiden Frauen war."

Ohne die Möglichkeit einer empirischen Überprüfung, legt dieses Ergebnis die Beziehung der beiden verstorbenen Frauen aus Grablege 45 auf enge verwandtschaftliche, genauer auf blutsverwandte Bezüge fest. Es stellt sich die Frage, ob das Grabungsteam keine anderen Beziehungen zwischen den beiden Frauen sehen konnte oder wollte?

Selbstverständlich verhindert das historische Handwerkszeug die weib-weibliche Grablege als Lesbengrab zu interpretieren. Lesbe ist eine Sprachschöpfung der Neuen Frauenbewegung und drückt die Abkehr von der sexualwissenschaftlich definierten Lesbierin hin zur selbstbestimmten Frau aus. Moderne Begrifflichkeit auf mittelalterliche Phänomene zu übertragen wäre ahistorisch. Allerdings wirkt sich die obengenannte öffentlich legitimierte Interpretation für die Geschichtswissenschaft reduzierend aus. Schließlich werden hier menschliche Beziehungen aus heteronormativer Sicht heraus im Rahmen des dual und polar konstruierten Systems von Zweigeschlechtlichkeit und dessen Familiengefüges angesiedelt. Die Kategorie Heterozentrismus produktiv nutzbar zu machen heißt, lesbische Existenz als Deutungsoption heranzuziehen.

 

... wie ein Sechser im Lotto – allerdings ohne jemals Lotto gespielt zu haben

Im Jahr 2000 erhielt Anke Schäfer das Bundesverdienstkreuz. „Um Gottes Willen, was habe ich falsch gemacht?!“ war deren erste Reaktion auf die angekündigte exklusive Ehrung. Schließlich sieht sie sich der autonomen Frauen- und Lesbenbewegung zugehörig und der Staat war für sie meist das, was es zu kritisieren und zu bekämpfen galt. In ihrer Rede zur Verleihung blieb sie in kritischer und humorvoller Distanz. Sie stellte fest, weder zum Wiederaufbau des „Vaterlandes“ beigetragen zu haben, noch jemals als „Inhaber“ des Bundesverdienstkreuzes bezeichnet zu werden, wie es lexikalisch definiert sei. Daß sie den Orden dennoch erhalte, dieser Akt, sei mit einem Sechser im Lotto vergleichbar – allerdings ohne jemals Lotto gespielt zu haben.

In der Laudatio würdigte die hessische Sozialministerin das Lebenswerk Schäfers: ihr Engagement für die Förderung und Verbreitung von Frauenliteratur, ihr Engagement in der Frauenbewegung und die Gründung der Stiftung SAFIA, die Selbsthilfe alleinstehender Frauen im Alter. Keinen Hinweis wurde von offizieller Seite aus auf Schäfers lesbische Lebensweise gegeben, die zweifelsohne eine wichtige Motivation für ihr Lebenswerk darstellt. Ein Manko, das von anderer Seite aus rasch und präzise behoben wurde. Schäfer selbst entwickelte durch einen Vergleich mit dem legendären Tomatenwurf von 1968 Perspektiven für die Zukunft: „Ich mag Tomaten sehr ... – Dass mir heute das Bundesverdienstkreuz verliehen wird hat vielleicht zu bedeuten, dass ab heute das Frauenleben leichter wird. Ich wünsche es mir sehr. Sonst, so könnt ihr mir glauben, hätte ich lieber sechs Richtige im Lotto gehabt...“ Wie Anke Schäfer am 4.05.2000 in Wiesbaden verlautete.

 

Geschichte belesben

Geschichte „belesben“ ist eine Wortschöpfung und Methode. Sie rekrutiert Mary Dalys Philosophie, die für den Ausdruck weiblicher Existenz und Handlungsmöglichkeiten sprachlich das Aktivum im Superlativ zu nutzen fordert. Auf stadthistorisches Arbeiten bezogen heißt sie „lesbische Existenz“ nicht als Randerscheinung oder weniger „natürliches“ Phänomen, noch als bloße „sexuelle Vorliebe“ oder Abklatsch entweder hetero- oder homosexueller Beziehungen zu begreifen, sondern als „allgegenwärtige Energie, die sich im ‚Teilen, Mitteilen von Freude – körperlicher, emotionaler oder psychischer Freude‘ und in gemeinsamer Arbeit ausdrückt; als machtverleihende Freude, die uns ‚weniger willens (macht), Ohnmacht [...] zu akzeptieren‘“, Wie es Adrienne Rich in ihrem klassischen Aufsatz zum lesbischen Kontinuum formulierte. Als Methode reflektiert Geschichte „belesben“ Formen lesbischer Existenz, die es zu historisieren gilt.

Sie fördert durch die Arbeit mit (Stadt)Geschichte die Herausbildung eines feministischen Bewusstsein, das nach Gerda Lerner die Einsicht weckt, dass Frauen einer untergeordneten Gruppe angehören, dass sie als Gruppe unter Missständen leiden; dass ihr untergeordneter Status nicht naturbedingt, sondern gesellschaftlich produziert ist; dass sie sich mit anderen Frauen zusammentun müssen, um die Missstände abschaffen zu können; und dass sie eine Gegenvision von einer gesellschaftlichen Ordnung erarbeiten können und müssen, in der Frauen Autonomie und Selbstbestimmung zusteht.

Geschichte belesben ist ein aktiver Akt, der die forschende Person herausfordert — beim Forschen, Vermitteln und beim Selbstverständnis als Historikerin und Historiker. Der Ansatz beabsichtigt keinen „lesbischen Imperialismus“ und keine neue Bindestrichgeschichte, als Addition von Lesben zur Frauen- und Geschlechtergeschichte. Vielmehr eröffnet Geschichte belesben eine konstruktive Revision gängiger Sichtweisen. Sie ist dynamisch, prozessual und interaktiv. Sie lohnt mit dem Mehr an Wissen um die Vielfalt menschlicher Zeugnisse in der Geschichte.


Der Beitrag ist eine überarbeitete Fassung von

  • Scheidle, Ilona (2001): „Lesben, Geschichte, Frauenbewegung _ Hier? – Vor Ort! In: Giesecke, Una/ Miss Marples Schwestern (Hg.): Frauenbewegung und –projekte in Ost und West – Anspruch und Bilanz. Dresden, S. 34-39.

Weitere Literaturhinweise:

  • Scheidle, Ilona (2004): „Geschichte belesben“ – Frauenstadtrundgänge in Heidelberg. In: Kathrin Boshard-Pfluger et al. (Hg.): Wissen und Geschlecht. Dokumentation der 10. Schweizerischen HistorikerInnentagung. Zürich, S. 407–421.
  • Scheidle, Ilona (2004): Alles gender oder was? Geschlechterkonstruktion im wissenschaftlichen Diskurs. In: Zentrum für Frauengeschichte (Hg): Vermitteln und vermarkten – Neue Methoden der Vermittlung von Frauen- und Geschlechtergeschichte im Eventzeitalter. Oldenburg.
  • Scheidle, Ilona (2004): Durch Bewegung zur Performanz – Miss Marples Schwestern – Netzwerk zur Frauengeschichte vor Ort. In: Nin Feltz, Julia Koppke (Hgg.): Netzwerke. Formen. Wissen. Vernetzungs- und Abgrenzungsdynamiken der Frauen- und Geschlechterforschung. Münster, S. 211–221.
  • Scheidle, Ilona (2006): Heidelbergerinnen, die Geschichte schrieben. München.