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Die neue Lust am Streiten - Grüne und Piraten debattieren über Geschlechterpolitiken

Wassertropfen

Rückblick: Liquide Demokratie versus gleichberechtigte Teilhabe - Wie kontrovers sind Grüne und Piraten wirklich?

 

„Wir wollen streiten“, sagt Gitti Hentschel, Leiterin des Gunda-Werner-Instituts in der Heinrich-Böll-Stiftung. Jahrzehntelang war genau das verpönt gewesen in Frauenzusammenhängen: streiten. Schon das Wort. Jetzt holen es die Feministinnen wieder zurück. „StreitWert“ heißt die neue Diskussionsplattform, die das frauen- und geschlechterpolitische Institut der Grünen Parteistiftung etablieren will. Und Kontroversen sind da geradezu erwünscht, sie haben einen Wert, einen „StreitWert“. Eine Atmosphäre soll entstehen, in der miteinander Reden möglich ist - ohne Zwang zum Konsens.

Grüne und Piraten

In der ersten Veranstaltung am 28. August saßen sich Mitglieder der Grünen und der Piraten als Streitende gegenüber. Die Frage, zu der sie streiten wollten, lautete: „Liquide Demokratie versus gleichberechtigte Teilhabe – Wie kontrovers sind Grüne und Piraten wirklich?“

Die Piraten behaupten, eine neue Freiheitspartei mit emanzipativem Charakter zu sein. Um das umzusetzen, streben sie die Abschaffung der konventionellen Familie an, auch die Abschaffung der Geschlechterbezeichungen. Gegen die Quote sind sie zudem.

Die Grünen hingegen behaupten, eine - schon etwas ältere - Freiheitspartei mit emanzipativem Charakter zu sein. Sie fordern in diesem Zusammenhang: Gleichberechtige Teilhabe für alle, Gleichstellung der Ehe von Homosexuellen mit Heterosexuellen. Und sie arbeiten am Männerbild – so haben Vertreter der Grünen ein profeministisches Männermanifest entwickelt. Die Quote fordern sie nicht nur, sie setzen sie in den Parteistrukturen auch um.

Miteinander streiten sollten an diesem Abend Julia Schramm und Bernd Schlömer vom Bundesvorstand der Piraten auf der einen Seite und Dimitra Kostimpas vom Bundesvorstand der Grünen Jugend, sowie Malte Spitz vom Bundesvorstand von Bündnis 90/ Die Grünen auf der anderen.

Piraten: Identität als Camouflage im Netz
Schramm, die sich als Feministin bezeichnet und gleichzeitig die Abschaffung des Geschlechts fordert, und Schlömer von den Piraten halten ihre Mitbestimmungs- und Diskussionforen im Netz für Plattformen, auf denen Geschlecht keine Rolle mehr spielt. Denn im Netz kann Identität auch Camouflage sein.

Grüne: Quote als Stärkungsinstrument
Die beiden Diskussionsteilnehmenden der Grünen sehen die Geschlechterfrage hingegen nicht nur als eine, die mit veränderten Strukturen zu überwinden ist. Malte Spitz plädiert dafür, dass sich auch die Männer ändern müssen. Männer sollen nicht länger Macho sein, sondern Mensch. Und die zweiundzwanzigjährige Dimitra Kostimpas träumt ebenfalls davon, dass Geschlecht eines Tages keine Rolle mehr spielt. Geht aber davon aus, dass bis dahin noch viel zu tun ist, und Frauen gestärkt werden müssen. Die Quote ist so ein Stärkungsinstrument.

Schlag(wort)abtausch
In den Aufwärmrunden bissen sich die Diskutierenden stark an eher verschlagworteten Differenzen zwischen den beiden Parteien fest. „Geschlecht abschaffen“ war so eine Formulierung, Schlömer und Schramm von der Piratenpartei verteidigten den Netzwerkansatz, weil im Netz die Politik von vielen mitbestimmt werden könne, während in bisherigen Parteienstrukturen ein System des Delegierens gelte – jemand werde also zum Sprachrohr einer Interessengruppe gemacht. In Internetforen die politische Richtung zu diskutieren und abzustimmen – ein System, das unter dem Stichwort „liquid democracy“ firmiert - fördere die, die benachteiligt seien, insbesondere Frauen – etwa Alleinerziehende, die nicht jeden Termin wahrnehmen können oder solche, die Stammtischrunden nicht leiden könnten, meint Schramm. Liquid Democracy mache so sperrige Steuerungsinstrumente wie die Quote überflüssig.

Malte Spitz von den Grünen, der sich selbst ebenfalls als Nerd bezeichnet, als jemand, der sich im Netz auskennt, hatte leichtes Spiel. Denn die „Liquid Democracy“ liefert selbst die Argumente, warum sie vielleicht doch nicht so plural funktioniert, wie gewünscht. Auf den Plattformen nämlich tummeln sich auch Leute, die mit reaktionären Kommentaren Diskussionen schwierig machen. „Trolle“ heißen solche Alias-Identitäten, die das System boykottieren. Zudem konnte er leicht auf Statistiken verweisen, die die Piraten als extrem männerdominiert ausweisen. Alleine die Behauptung, Geschlecht sei obsolet, entspräche nicht den gesellschaftlichen Tatsachen. Auch dass die Quote im Piratenjargon „Tittenbonus“ heißt, spreche für die Verkennung geschlechterpolitischer Tatsachen.

Dimitra Kostimpas von der Grünen Jugend betont einmal die Bedeutung der Quote, da die politische Kultur ein Grund dafür sein, dass Frauen sich nicht angesprochen fühlten. Bei den Grünen werde dezidiert Platz geschaffen, es gebe in der Partei viele starke Frauen. Den Einwand der Piraten, dass immer nur die gleichen Frauen sichtbar seien, konnte Kostimpas nicht ausräumen.

Zwischenrufe aus dem Publikum sollten den festgefahrenen Schlagabtausch wieder dynamischer machen: Quote sei nicht das einzige geschlechterpolitische Instrument, gab jemand zu bedenken. Eine andere Person forderte, dass endlich präzisiert werde, was „Geschlecht abschaffen“ bedeute.

Offene Diskussion und ein Publikum auf Zack
Die anschließende Fragerunde holte die Diskussion aus ihrer Starre. Denn in der Beletage der Stiftung herrschte keine kühle Podiumsdiskussionsatmosphäre: Vorne saßen nicht die Diskutantinnen und Diskutantinnen und vor ihnen in Stuhlreihen das Publikum. Vielmehr waren überall kleine Tischgruppen aufgebaut. Wer kam, setzte nicht neben jemanden, sondern zu jemandem. Was simpel scheint, hat eine enorme Wirkung, denn es fördert das Gespräch unter den Zuhörenden, egal, ob man sich kennt oder nicht. Und die Furcht, sich zu Wort zu melden, wird auch kleiner.

Wie man mit Liquid Democracy kämpfen, wie damit das Patriarchat abschaffen könne und wie man verhindern wolle, dass Mehrheitsentscheidungen im Netz sich gegen Frauen richten, waren Fragen aus dem Publikum. Die Piraten beharren darauf, dass sich im Netz die Sachargumente durchsetzen, die Grünen wiesen darauf hin, dass das Netz kein herrschaftsfreier Raum sei.

In die Defensive gerieten Schramm und Schlömer, als erwähnt wurde, dass sich sowohl Maskulinisten als auch Atombefürworter, Waffenrechtler, Holocaustleugner auf den Piratenplattformen bewegen. Man täte alles, um sie los zu werden. Die Partei habe derzeit eine Dynamik, meinte Schlömer, in der es nicht möglich sei, Detailfragen zu lösen. Und Schramm meinte, dass sie bei Geschlechterfragen manchmal das Gefühl habe, Diskussionen aus den Siebziger Jahren führen zu müssen.

Aber auch die Grüne Jugend mit ihrem Slogan „Fuck Gender – be yourself“ wurde von einer Zuhörerin hinterfragt. Was es bedeute, wollte sie wissen. Dass Asymmetrien zwischen den Geschlechtern überwunden, Privilegien der Männer abgebaut, dass Statusunterschiede abgeschafft werden, meint Kostimpas. Schramm von den Piraten insistiert, dass der Fokus auf binäre Mann-Frau-Konstellationen alle weiteren möglichen Ausdrucksformen von Gender ausschließe. Generell gelte, dass Förderungsprogramme für Frauen bei den Piraten schwer durchsetzbar seien. Die Frauen in der Piratenpartei seien die größten Gegnerinnen davon, meint Schramm.

Dass Geschlecht im virtuellen Raum keine Rolle spiele, sei eine der großen Lügen des Internet, kontert eine Frau aus dem Publikum. „Nur wenn Frauen sich etwas geholt haben, haben sie es bekommen“.
 

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