Nun stöckeln sie wieder. 25 Mädchen auf der Suche nach dem Glück. Sophie und Jacqueline, Anna Maria und Lovelyn. Sie kommen aus Billerbeck und Lüdenscheid, aus der Bäckerei, dem Kirchenchor, der Schule und dem Hühnerstall. Wir erleben die Verwandlung schlaksiger Teens und Twens in glamouröse Models in teuren Roben, in Dubai und Los Angeles, im Wasser mit Haien, in der Wüste mit Kamel, an einem Gerüst baumelnd.
Die Kritik an der Sendung ist mittlerweile alt und ehrwürdig: Man würde den Mädchen eine Art von Modelleben vorgaukeln, das sie mit großer Sicherheit nicht führen werden. Die Fotos, digital optimiert, geben ein unrealistisches Körperbild vor. Die anderen Mädchen denken, dass sie das auch sein könnten und vor allem: Dass sie so hübsch und so dünn sein müssen. Das Körperbild junger Mädchen habe sich in den vergangenen Jahren immer weiter verschlechtert, monieren die Aktivistinnen der Kampagne PinkStinks! Die Mädchen würden immer stärker unter Stress gestellt: Bin ich schön und dünn genug? Die Aktivistinnen fordern deshalb die Absetzung der Sendung.
Sicherlich stimmt an dieser Kritik vieles. Dennoch möchte ich auch ein paar Zweifel säen an der ehernen Gewissheit, dass das Schauen von GNTM so gefährliche Nebenwirkungen hat. Vielleicht können Mädchen dabei sogar etwas lernen? Fünf Punkte sollen das verdeutlichen.
Erstens: Teenager haben nicht erst seit GNTM Schwierigkeiten mit ihrem Körperbild. Es ist eine Aufgabe in der Persönlichkeitsentwicklung, sich selbst anzunehmen, auch in den Punkten, in denen man nicht dem gängigen Schönheitsideal entspricht. Man nennt es Pubertät. Wenn junge Mädchen sich nicht mit den Klum-Topmodels vergleichen, vergleichen sie sich mit anderen schönen Frauen – seien es irreale Bilder aus Fitnessstudios, H&M-Models oder einfach nur das schönste Mädchen der Schule. Sie rechten mit ihrem Körper, optimieren ihre Frisuren, konsultieren die einschlägigen Zeitschriften und lernen, lernen, lernen. Die Lektion heißt: Ich sehe vielleicht nicht wie das Ideal aus, aber ich bin ich: einzigartig und wertvoll. Früher arbeitete man sich an der schönen Anja aus der Parallelklasse ab, heute an den schlanken Schönheiten von GNTM.
Zweitens: Vielleicht taugt so eine Modelshow sogar ganz gut zum Abgrenzen: Die Mädchen sehen die Inszenierung von Schönheit. Sie sehen, dass gutes Styling Durchschnittsgesichtern Glamour verleihen kann. Und sie können sich auch eher einfach abgrenzen: Das da sind große schlanke wohlgeformte Frauen. Die meisten Durchschnittsmädchen sind so nicht. Gerade weil die Kluft so tief ist, ist es vielleicht einfacher, sich zu distanzieren.
Drittens: Richtet es tatsächlich verheerenden Schaden im Körperbild an, wenn Pubertistinnen eine Weile lang Model werden wollen? Sind sie nur noch auf Äußerlichkeiten fixiert, vernachlässigen die Schule und werden nie Naturwissenschaften studieren, weil sie kein räumliches Vorstellungsvermögen entwickeln, wie die Aktivistinnen von PinkStinks meinen? Finden sie keinen vernünftigen Beruf, weil sie von klein auf zur Prinzessin stilisiert werden? Oder haben die meisten Mädchen Prinzessinengelüste und einen Schönheitsfimmel – und gehen daneben trotzdem zur Schule, studieren Mathe, spielen Fußball oder machen Karate? Soweit man das aus dieser Sendung erfährt, ist eher zweiteres richtig. Und mit Sicherheit können Eltern ihren Kindern eröffnen, dass es auch noch ein paar andere coole Dinge gibt – außer Modeln. Die Sendung braucht deshalb nicht verboten werden.
Viertens: Da sind wir bei der heiklen Klassenfrage: Möchte hier die reflektierte Mittelschicht der Unterschicht ein Vergnügen ausreden? Sie soll eine ordentliche Ausbildung machen, anstatt einem Pseudoberuf hinterher zu laufen. Sie soll innere Werte entwickeln anstatt vom Glamour zu träumen. Es hat etwas Gouvernantenhaftes, wenn sich so über die Kleinstadtschönheiten gebeugt wird. Sicher ist es von Vorteil, viele Ausdrucksmöglichkeiten zu finden und mehr Optionen im Leben zu haben. Diese kann man jungen Frauen aber auch eröffnen, ohne ihnen das Modelgucken mies zu machen. Zum Beispiel könnte das Modelwesen im Schulunterricht behandelt werden, dabei Träume und Schäume benannt und ein realistisches Bild vom Modelsein vermittelt werden.
Und letztens: Gibt Heidi Klum tatsächlich die Scharfrichterin und treibt die Mädchen in einen entwürdigenden Konkurrenzkampf, in dem psychischen Zusammenbrüche noch telegen in Szene gesetzt werden? Dazu eine leicht polemische Anmerkung. Waren Sie schon mal in einem Assessmentcenter, in einem Beruf mit viel Konkurrenz oder auch nur in einer deutschen Durchschnittsschule? Es wird konkurriert, ausgesiebt, kritisiert und geweint. Leistungen werden gerecht oder ungerecht bewertet, Entscheidungen sind nicht nachvollziehbar und manchmal wird man nicht versetzt. GNTM ist dagegen ein Spiel. Man kann üben, mit all diesen Widrigkeiten klar zu kommen. Man kann sehr viel in sehr kurzer Zeit zu erleben und dann noch mit einer Menge Profi-Fotos nach Hause zu gehen.
Können wir den jungen Frauen nicht den Spaß lassen? Können wir nicht eine Runde abrüsten? Können wir nicht einfach aufklären über diese Sendung und ansonsten den Kindern zeigen, dass die Welt groß und bunt ist und noch viel anderes zu bieten hat? Und eignet sich diese Show nicht hervorragend dazu, an ihr unrealistische Körperbilder zu diskutieren?
Ich glaube, wir unterschätzen die jungen Frauen von heute. Und wir unterschätzen die Mädchen, die da allwöchentlich gezeigt werden, wie sie ihre Füße malträtieren und Mutproben bestehen müssen. Sie haben auch noch anderes im Kopf. Wie sagt die frisch gecastete Jacqueline so schön: „Also ich will natürlich Topmodel werden. Aber wenn das nicht klappt, studiere ich Theologie und werde Pfarrerin.“