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Aus den Augen, aus dem Sinn

Feministischer Zwischenruf

Warum Alice Schwarzers Kampagne gegen Prostitution so gut funktioniert. Alice Schwarzer hat sich schon vor langer Zeit entschieden: Prostitution ist schlecht. Und das bringt sie in einer Art Kaskadenmodell unter die Leute.

"Nur Recht kann Unrecht stoppen" gedruckt auf einem roten Regenschirm, dem internationalem Symbol der Sexarbeiter*innen.
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"Nur Recht kann Unrecht stoppen" gedruckt auf einem roten Regenschirm, dem internationalem Symbol der Sexarbeiter_innen.

Die Fraktion der Huren ist klein an diesem Donnerstagabend, den 14.11.2013 in der Berliner „Urania“. Alice Schwarzer stellt vor rund tausend Gästen ihr neues Buch vor: „Prostitution – ein deutscher Skandal“ - und etwa 50 Sex- und Sozialarbeiterinnen protestieren: „Mein Beruf gehört mir“, rufen sie und auf einem Schild steht ganz explizit: „Halt die Klappe, Alice!“

Heide Oestreich ist Redakteurin der taz, die tageszeitung und betreut dort vor allem die Geschlechter- und Gesellschaftspolitik. 2004 erschien von ihr das Buch "Der Kopftuchstreit. Das Abendland und ein Quadratmeter Islam". 2009 wurde sie vom Journalistenverband Berlin Brandenburg für ihre langjährige Berichterstattung über unbewußte Geschlechterklischees mit dem Preis "Der lange Atem" ausgezeichnet.

Tut sie natürlich nicht. Alice Schwarzer hat ein Heimspiel. Ihre Fans johlen, wenn sie sich über die Frauen unter den roten Regenschirmen, dem Symbol der internationalen Hurensolidarität, lustig macht: „Ihr mit euren rosa Schirmchen. Das sieht ja süß aus. Aber jetzt lasst uns auf dem Podium erst mal reden, danach könnt ihr wieder schreien.“
Alice Schwarzer hat sich schon vor langer Zeit entschieden: Prostitution ist schlecht. Und das bringt sie in einer Art Kaskadenmodell unter die Leute. Zuerst ist nur die Zwangsprostitution schlecht, darauf können sich alle einigen. Aber Schwarzer gemeindet unmerklich immer weitere Arten des Sexgewerbes ein. „Armuts- und Zwangsprostitution“, heißt es bei ihr. Das bedeutet, die armen Prostituierten stehen auch unter einer Art Zwang. Stimmt ja irgendwie – aber es gibt natürlich viele Jobs, die Menschen nicht gern machen – sondern aus Geldmangel.
Weiter geht es mit den Suggestionen: Die Frauen kommen aus Osteuropa, sind jung, können manchmal nicht lesen und schreiben, aber auf jeden Fall sprechen sie schlecht Deutsch – all das macht sie anfällig für Zuhälterei, das kann man sich leicht vorstellen. Bei Schwarzer wird dies flugs zur Gewissheit. Und weil man sich das so gut vorstellen kann, folgt die herkömmliche Frau ohne Prostitutionserfahrung ihr leicht auf diesem Weg. Zwei bulgarische Prostituierte aus dem Publikum widersprechen ihr an diesem Abend, sie würden diese bedauernswerten Geschöpfe, von denen Schwarzer da redet ,nicht kennen‘ – Schwarzer hört gar nicht zu. Sie und ihr Podium, von ihr persönlich ausgewählt, sie wissen die Wahrheit.
Weiter geht’s mit der Eingemeindung. Es gibt ja noch die freiwilligen selbstbestimmten Huren, die gegen sie protestieren. Obwohl niemand ihre Zahl kennt, weiß Schwarzer, dass sie maximal 5 Prozent aller Huren ausmachen. Und – letzter Streich: Sie hat eine Ex-Hure mitgebracht, die sagt, sie selbst hätte auch immer herumposaunt, sie sei selbstbestimmt, schon um das Selbstwertgefühl aufzupolieren. Aber eigentlich belüge man sich damit.
Und die Normalofrau ohne Prostitutionserfahrung spürt dem nach und kann das dann ganz gut verstehen: Wenn man sich das so vorstellt, ohne ein riesiges Maß an Selbstverleugnung kann das doch gar nicht gehen. Und schon ist sie im großen Sack der Alice Schwarzer. Da können dann noch so ein paar Einzelhuren herumstehen und sagen, dass man mit diesem Beruf gut klar kommen kann – das glaubt die Normalofrau dann schlicht nicht mehr. Und sagt man nicht auch, dass alle Huren als Kinder missbraucht worden sind?
Fertig ist der Opferdiskurs: Die Armutshuren sind Opfer, die ausländischen Huren sind Opfer, die selbstbestimmten Huren sind auch Opfer. Da hat man sie alle. Und wenn das so ist, dass da in Deutschland täglich eine Massenvergewaltigung von Frauen, die sich nicht wehren können, stattfindet, dann ist der Weg zum Verbot des Sexkaufs, Alice Schwarzers Lieblingsprojekt, nicht mehr weit.
Das Fatale ist, dass an den Einzeldiagnosen natürlich etwas stimmt. Die Sexarbeit ist riskant, oft unschön, und tut sicherlich vielen Frauen nicht gut. Aber Schwarzers Argumentation hat einen entscheidenden Haken: Sehr viele Frauen verdienen mit der Prostitution ihr Geld. Und sie haben das Recht, ihren Job zu wählen. Eine der protestierenden Huren erzählt, dass sie zuvor Kassiererin war. Dank der Prostitution verdiene sie nun in einer Woche, was sie zuvor in einem Monat verdient habe. Nun habe sie endlich genug Zeit für ihre Kinder. Alice Schwarzer würde mit ihrem Sexkaufverbot tausenden von Frauen schlicht ihren Job wegnehmen. Das geht einfach nicht.
Erwachsene Frauen müssen so etwas selbst entscheiden. Es wäre schön, wenn der deutsche Staat ihnen dabei hilfreich zur Seite stehen würde, ihre Arbeitsbedingungen verbesserte und Ausbeutung verhinderte. Und was passiert wohl mit den armen Rumäninnen, wenn Deutschland den Sexkauf verbietet? Sie finden sich dann vielleicht in Tschechien wieder. Wo sie noch weniger verdienen und noch weniger geschützt sind. Aus den Augen, aus dem Sinn. Nein, wir müssen uns weiter mit der Prostitution herumplagen. Mit Männern, die Liebe kaufen, statt sie zu machen. Diese merkwürdige Vorstellung von Sex, die wäre auch eine Debatte wert.