Lesben, Schwule, Bisexuelle und Transgender (LSBT) gehören in Bosnien Herzegowina zu den besonders diskriminierten Gruppen, sie sind in der Gesellschaft faktisch unsichtbar. Das Landesbüro der Heinrich-Böll-Stiftung hat darum gemeinsam mit den Partnerorganisationen Sarajevo Open Center und der Stiftung CURE ein Projekt gestartet, um für LSBT-Themen zu sensibilisieren und gegen Homophobie zu kämpfen.
Das 2013 gestartete und von der EU finanzierte Projekt „Coming out! Advocating promotion and protection of LGBT rights“ ist einmalig. Erstmals richtet sich dieses Pilotprojekt unter anderem an Beamt_innen, die in Innenministerien im Gerichts-, Gesundheits- und Bildungswesen arbeiten, aber auch an Journalist_innen und Vertreter_innen von Organisationen der Zivilgesellschaft. Indem gemeinsame Aktionen zur Stärkung der Menschenrechte durchgeführt werden, sollen die Organisationen der Zivilgesellschaft gestärkt werden. „Die Sensibilisierung der Zielgruppen soll dazu führen, dass die Bedürfnisse und Probleme der LSBT Gemeinschaft bekannt sind und sie proaktiv an der Verbesserung der Politik in diesem Bereich arbeiten“, erklärt die hbs-Büroleiterin Mirela Grünther-Djecevic. Ein weiteres erhofftes Ergebnis ist, dass die LSBT-Community insgesamt sichtbarer wird und damit auch besser von der bosnisch-herzegowinischen Gesellschaft akzeptiert wird.
„Die Trainings sind aufregende Teile unseres Projekts, denn die Ergebnisse sind oft recht bald sichtbar“, erzählt die Projektleiterin der hbs Sarajevo, Maja Lukic-Schade. Die Konfrontation mit Stereotypen und Vorurteilen habe einen sichtbaren Einfluss auf das Denken. „Diese Veränderung an den Menschen zu sehen, ist unglaublich“, bestätigt Lukic-Schade. Manche Polizist_innen zum Beispiel, die zu Beginn des Trainings besonders cool auftreten, sich kaum für das Thema interessieren und davon abgrenzen, seien nach dem Training wie ausgewechselt. „Es ist ein Riesenunterschied: plötzlich erkennen sie, dass LSBT Menschen Schutz brauchen und respektiert werden müssen“, so die Projektleiterin. Höhepunkt der Trainings ist meist die sogenannte „menschliche Bibliothek“. Dabei stellen sich einige LSBT-Aktivist_innen als „menschliche Bücher“ für persönliche Fragen zur Verfügung. „In dieser Phase des Trainings herrscht höchste Konzentration bei den Beteiligten. Es ist ein besonderer Moment, da manche noch nie in ihrem Leben bewusst einen nicht heterosexuellen Menschen getroffen haben“, ergänzt Lukic-Schade. Denkmuster beginnen sich zu verändern, so kam es beispielsweise nach einem zweitägigen Polizei-Training zu Initiativanfragen von Polizist_innen, welche LSBT-Veranstaltungen sie beschützen sollten. Der neueste Projekterfolg ist, dass Polizist_innen in Sarajevo jetzt erstmalig im Rahmen ihrer Ausbildung zu möglichen Problemen von LSBT Personen sensibilisiert werden.
Ein weiterer Bereich des Projekts „Coming out!“ ist die Forschung zu den Ursachen von Homo- und Transphobie sowie Diskriminierung aufgrund von sexueller Orientierung und Geschlechtsidentität. Mit einer öffentlichen Umfrage unter mehr als 1000 Personen wurde im Juni 2013 ein umfangreiches quantitatives Forschungsprojekt abgeschlossen und in einem Buch publiziert. Die Studie ergab, dass es in der Bevölkerung kaum Bewusstsein über die Bedürfnisse und Probleme von LSBT-Personen gibt, vielmehr denken 56,5 Prozent, dass Homosexualität geheilt werden müsse. Drei Viertel der Befragten sehen gleichgeschlechtliches Küssen in der Öffentlichkeit als inakzeptabel an, und geschlechtsangleichenden Operationen stehen beinahe 60 Prozent ablehnend gegenüber. Immerhin sagten mehr als 90 Prozent der Befragten, dass sie keine physische oder verbale Gewalt gegen LSBT-Menschen ausüben würden, und 75,6 Prozent sagten, dass sie, sollte so etwas passieren, helfend einschreiten würden. Geschlecht, Ausbildung und Umfeld stellten sich als wichtige Faktoren bei der Stärke der Homophobie heraus, so seien laut Studie ältere kaum gebildete Männer aus ländlichen Gegenden besonders homophob eingestellt.
In einer qualitativen Studie wurden außerdem Vertreter_innen aus Politik, Justiz, Inneres und dem Bildungs- und Gesundheitswesen zur Lage von LSBT Personen und zu ihrer Einstellung befragt. Zehn unabhängige Sozialwissenschafter_innen haben in fünf Städten (Sarajevo, Banja Luka, Livno, Visegrad und Mostar) diese Untersuchung, deren Ergebnisse bereits publiziert wurde, durchgeführt. „Leider sind wir dabei auf viele Hindernisse gestoßen“, erzählt Lukic-Schade. So sei es besonders schwierig gewesen, Ansprechpartner_innen zu finden, selbst wenn ihnen Anonymität garantiert wurde. „Insgesamt hat diese Untersuchung ergeben, dass noch viele Trainings notwendig sind, denn die Einstellung gegenüber LSBT Personen ist gelinde gesagt keine günstige in Bosnien-Herzegowina“, fasst die Projektleiterin die Studienergebnisse zusammen.
Im Bereich Bildung startete das Projekt Trainings für Lehrer_innen, Pädadog_innen oder Pädagogik Studierende, sowie Psycholog_innen, um sie für LSBT Themen zu sensibilisieren. 89 Prozent der Absolvent_innen des Trainings fanden es sehr sinnvoll und effizient, 78 Prozent gaben an, das vermittelte Wissen in der Arbeit anwenden zu wollen. Einige fragten nach Abschlusszeugnissen oder Regenbogenaufklebern, die sie in ihrem Arbeitszimmer aufhängen können, um ihren Schüler_innen/Klient_innen zu zeigen, dass sie offen für das Thema seien. Offen darüber zu sprechen, ist insbesondere angesichts der Ergebnisse einer anderen Studie des Sarajevo Open Center wichtig. Denn laut dieser Studie werden 94 Prozent der Fälle von Diskriminierung an LSBT-Personen deshalb nicht gemeldet, weil die Person durch das Outing negative Konsequenzen für das eigene Leben befürchtet.
Neben Trainings und Umfragen, sind mediale Kampagnen und öffentliche Diskussionen ein weiterer wichtiger Bereich zur Sensibilisierung. Derzeit arbeitet das Büro der Heinrich-Böll-Stiftung in Sarajevo an der dritten Podiumsdiskussion zum Thema. „Wir haben den Bürgermeister von Brcko gefragt, ob er uns dafür einen Saal im Rathaus zur Verfügung stellt“, berichtet Lukic-Schade. Falls er zusagt, wäre dies das erste Mal, dass eine LSBT-Veranstaltung in einer staatlichen Institution stattfindet. Außerdem freut sich die Projektleiterin über die zweite regionale LSBT Konferenz im Oktober 2014 in Sarajevo, bei der die Ergebnisse der Studien des Projekts untersucht, sowie gute Beispiele („best practices“) aus der Region vorgestellt werden sollen.
„Sicherlich gibt es noch jede Menge zu tun, wenn es um den Schutz und die Verbesserung der Menschenrechte von LSBT-Personen in Bosnien-Herzegowina geht“, sagt Lukic-Schade. So gebe es immer noch tätliche Angriffe auf LSBT Veranstaltungen und Diskriminierung von Lesben, Schwulen, Bisexuellen und Trans*-Menschen – z.B. in der Ausbildung, der Arbeit oder im Sozial- und Gesundheitswesen. Auch gestalte sich die Zusammenarbeit mit den staatlichen Institutionen nicht einfach. Es brauche konstanten Druck, damit die Gesetzeslage verbessert werde, aber auch damit bereits auf dem Papier existierende Rechte umgesetzt werden. Die Schulung von staatlichen Institutionen, wie z.B. der Polizei sei daher besonders wichtig. „Die Trainings verstärken das Bewusstsein zu Menschenrechtsverletzungen an LSBT Personen und verbessern deren Schutz“, betont Maja Lukic-Schade. Sie weiß, dass Veränderung Zeit braucht, doch mit dem Projekt „Coming out!“ ist ein bedeutender Schritt getan und es gibt deutliche Zeichen der Verbesserung der Situation für lesbische, schwule, bisexuelle und transgender Menschen in Bosnien-Herzegowina.