Ana ist eine lesbische Mutter, feministische Aktivistin und Bloggerin. Sie glaubt an die Macht des Internets, um Dinge sichtbar zu machen und Veränderungen anstoßen zu können. Seit einigen Jahren ist sie als Koordinatorin eines virtuellen Netzwerks aktiv und schreibt mit ihrer Partnerin einen gemeinsamen Blog.
Ana kommt aus einer bürgerlichen Familie. Aufgewachsen ist sie in der nordmexikanischen Stadt Monterrey, eines der wirtschaftlichen Zentren des Landes. Dort hat sie Kunst studiert. Momentan macht sie ihren Master in Mexiko-Stadt und ist dabei ihre Arbeit zu lesbischen Mutterschaften auf Facebook zu beenden. Anas Akku scheint nie leer zu sein. Ihre Haarfarbe zieht ebenso die Blicke auf sich wie ihre meist knalligen Outfits. Sie fällt auf, sie ist präsent, sie lässt sich nicht unterkriegen. Ana ist nicht nur Vollzeitaktivistin, sondern auch Vollzeitmutter, seit ihre Zwillinge Diego und Santiago 2006 auf die Welt kamen. Jetzt in Vorbereitung auf die Ostertage werden Ostereier bemalt und die Wohnung geschmückt: „Ich habe ja schließlich Kunst studiert, obwohl davon jetzt nur das Handwerkliche geblieben ist“, lacht sie, bevor sie ihren Söhne für unsere Fotos die Haare zurechtmacht. Vor fünf Jahren heiratete sie ihre Frau, Criseida Santos Guevara, die sie seit Schulzeiten kennt. Ihre Geschichte, sowohl die ihrer Liebe als auch die des Mütter Werdens und Seins – eine Geschichte die eng mit ihrem Aktivismus verwoben ist – erzählt Ana gerne.
Seit gut 10 Jahren ist Ana als lesbisch-feministische Aktivistin auf diversen Foren und in sozialen Netzwerken aktiv. Erst als Mitorganisatorin des Kulturkomitees des 6. Treffens lesbischer Feministinnen aus Lateinamerika und der Karibik 2004 und dann ab 2006 mit ihrem eigenen Blog „Die zwei Mamis“ („Las dos mamis“). „Ich bin Einzelkind und lebte lange Zeit in meiner kleinen heilen Welt in Monterrey. Erst 2003 in Mexiko-Stadt begann mein Engagement als Aktivistin als ich eines Tages entdeckte, dass ich in meine beste Freundin verliebt war. Ich sagte Criseida sofort, dass ich mit ihr zusammenziehen heiraten und Kinder haben wolle.“
Ziemlich schnell wurde klar, dass die junge Familie Unterstützung brauchte. Auch ohne feste Arbeit zogen sie deswegen 2007 zurück nach Monterrey – eine schwierige Zeit, die sie aber noch enger zusammenrücken ließ. Denn obwohl viele Freunde Hilfe für ein lesbisches Paar zugesichert hatten, wurden es für ein lesbisches Paar mit zwei kleinen Kindern auf einmal sehr wenige. Deswegen beschlossen die beiden Frauen sich ihre Netzwerke selbst aufzubauen, denn Gruppen lesbischer Mütter gab es damals in Monterrey nicht. 2008 konstituierten sie die Gruppe Comales („Comunidad de Madres Lesbianas“), damit ihre Kinder andere Kinder nicht-heterosexueller Mütter kennenlernten. Denn Ana ist überzeugt: „Unseren Kindern alles so früh wie möglich zu erklären, unsere Familie sichtbar zu machen, schützt sie vor Angriffen von außen. Denn egal was jemand zu ihnen sagt, sie wissen es sowieso schon.“ Langsam aber sicher erlangten sie immer mehr dieser ersehnten Sichtbarkeit, nicht zuletzt durch ihre öffentliche Hochzeit 2010 in Mexiko-Stadt.
Nachdem sie 2012 wieder nach Mexiko-Stadt gezogen waren, fehlte ihnen eigentlich nur noch die Registrierung der Kinder mit den Nachnamen beider Mütter, damit auch Criseida offiziell Mutter ihrer Kinder sein konnte. Eigentlich ein einfacher administrativer Akt, der bei heterosexuellen Paaren in fünf Minuten erledigt ist. Doch für lesbische Paare dauert er stattdessen „sechs Monate, viele zu überwindende Hindernisse und die Hilfe einer Anwältin“. Inspiriert durch das Thema ihrer Masterarbeit gründete Ana 2012 die Facebook-Gruppe „Netzwerk lesbischer Mütter in Mexiko“ („Red de Madres Lesbianas en México“). Hier werden in einer Art Selbsthilfegruppe Probleme besprochen und Erfahrungen ausgetauscht. Außerdem unterstützt sie mit ihrer Expertise eine wichtige Initiative junger LGBTI-Aktivist_innen, die seit 2014 diverse Projekte in den Bundesstaaten fördert. „Mach dich stärker LGBT“ („Fortalécete LGBT“) heißt die Idee. Ana war von Anfang an dabei und ist sich sicher: „Oft kommt es gar nicht darauf an finanzielle Mittel zur Verfügung zu haben. Die Mittel sind vielmehr wir, die Personen, mit unseren Erfahrungen.“
Vor allem aber liegt ihr eben eins am Herzen: Ihre Familie und alle mexikanischen Familien lesbischer Mütter. Deswegen haben sie sich zusammengetan und ein Handbuch für Lehrer_innen erstellt, das den Umgang mit ihren Kindern erleichtern soll. Ana erklärt: „Wir wollen zeigen, dass wir eine Familie wie alle anderen sind, aber eine die sich in einer heteronormativen Welt mit besonderen Herausforderungen konfrontiert sieht. Am Vatertag mussten wir zum Beispiel ein Casting machen. Letztlich wählten unsere Söhne ein befreundetes schwules Paar als Väter für einen Tag aus. Manchmal muss man eben auch zu drastischen Mitteln greifen, damit die Leute verstehen, um was es geht.“ Danach erzählt sie wieder ganz ernst: „Nach dem Druck und der Präsentation des Materials kam vor ein paar Monaten der Rückschlag: Das Fraueninstitut von Mexiko-Stadt (INMUJERES DF), das uns erst begeistert unterstützt hatte, behielt angesichts des politischen Drucks konservativer Kräfte die Handbücher ein und bisher konnte eine Verteilung nicht fortgesetzt werden. Außerdem wurde ich, die ich seit einigen Monaten für das Institut arbeitete, entlassen.“
Ana ist Ana, aber ohne ihre Familie gar nicht zu verstehen. Ihre Söhne sind bei Veranstaltungen dabei und spielen zwischen den diskutierenden Arbeitsgruppen, ihre Ehefrau sitzt im gleichen Panel wie sie und spricht über die Herausforderungen als lesbisches Paar Kinder in der Grundschule zu haben. In ihrem Blog teilen die beiden auf der einen Seite ihre persönlichen Geschichten, reden ihre Söhne darüber wie es ist zwei Mütter zu haben. Auf der anderen Seite geben sie anderen lesbischen Paaren, insbesondere solchen die Kinder haben oder bekommen möchten, Tipps: Wo kann ich heiraten? An wen muss ich mich wenden, wenn ich eine künstliche Befruchtung möchte? Welche Dokumente brauche ich, um mein Kind zu registrieren? In Mexiko ist die Gesetzgebung hinsichtlich dieser Aspekte Sache der Bundesstaaten. Während in manchen Bundesstaaten Frauen kein Recht haben abzutreiben oder eine andere Frau zu heiraten, ist dies in der Hauptstadt erlaubt. Mexiko-Stadt ist auf dem Papier eine Insel der Toleranz für homosexuelle Paare und ein Zentrum des LGBTI-Aktivismus. In der Region kann da nur Buenos Aires mithalten. Deutschland hingegen könnte einem Vergleich keinesfalls standhalten.
Ana und ihre Familie leben jetzt seit fast drei Jahren in Mexiko-Stadt, dieser vermeintlichen Insel der Toleranz. Dieses Jahr wird Ana ihre Masterarbeit beenden. Und dann? „Unsere Rache ist es glücklich zu sein.“, lacht sie, und dann ernst „Es gibt aber noch viel zu tun, in den Bundesstaaten, selbst in Mexiko-Stadt, für befreundete Paare, für unsere Kinder. Die Diskriminierungen hören nicht auf, auf jeden Fortschritt kann eine Attacke konservativer Kräfte folgen. Ich persönlich glaube aber immer noch fest an die Macht der virtuellen und anderer Netzwerke sich langsam aber sicher gegen diese durchzusetzen.“
In die Pekinger Aktionsplattform von 1995 wurden weder die sexuelle Orientierung noch die Geschlechtsidentität aufgenommen. Die Belange lesbischer Frauen wurden zwar auch auf den nachfolgenden Foren diskutiert, haben es aber nie in die offiziellen Dokumente geschafft, geschweige denn die Erfahrungen und spezifischen Bedürfnisse lesbischer Mütter und ihrer Kinder.