Rachel Dolezal ist die weiße Frau, die sich als Schwarze ausgegeben hat - durch Schminke, gefärbte Haare und erdachte Biographie. Doch ethnische Identität lässt sich nicht frei wählen, und eine vermeintliche Parallele zwischen Transsexualität und "Transracialism" zu ziehen ist ein gefährliches Missverständnis.
„Kommen wir nicht alle aus Afrika?“ Das soll Rachel Dolezal auf die Frage eines Reporters geantwortet haben, bevor sie ihm den Rücken kehrte. Rachel Dolezal, das ist die Person, die von manchen Zeitungen kurz „Race Faker“ genannt wird. Die Weiße, die sich als Schwarze ausgibt. Die Ortsvorsitzende der National Association for the Advancement of Colored People (NAACP) in dem Städtchen Spokane in Washington hat mittlerweile ihr Amt niedergelegt. Sie hatte sich kräftig geschminkt, die Haare im Afrolook frisiert und gefärbt, eine schwarze Jugend ersonnen, ein schwarzes Kind erdichtet, und einen brutalen Stiefvater noch dazu.
Das ist zunächst schlicht ein Fall für die Psychologie. Sich eine Identität zu erdichten und mit falschen Erinnerungen zu versehen, an die man vielleicht sogar selbst glaubt, ist offenkundig eine schwere psychische Störung. Gerade wenn man ein brüchiges Selbstbild hat, ist die falsche Identität ein merkwürdiger Ausweg der Psyche. Hat man als Kind schwere Zeiten erlebt für die man keinen Ausdruck findet, dann bedient sich die Psyche einfach einer passenden anderen Identität. Immerhin stehen auch Missbrauchsvorwürfe im Raum. Wer weiß, ob die wirklich mit erlogen sind – oder ob sie nicht vielleicht stimmen und dann eher die Ursache für diese psychische Störung sein könnten? Die Art, wie ihre Eltern sie nun bloßgestellt haben, indem sie die Geburtsurkunde in die Kameras hielten, spricht ohnehin nicht gerade für ein gutes und verständnisvolles Verhältnis zu ihrer Tochter.
Darüber hinaus hat sich aber eine absurde Debatte entsponnen, ob man nicht das Recht haben sollte, die ethnische Identität zu wechseln. „Transracialism“ parallel zur Transsexualität. Alles nur soziale Konstruktion, sagen die Linken doch selbst immer, tönt es – allerdings vor allem aus eher konservativen Medien, die – wie immer – Judith Butler auf ein „Anything goes“ verkürzen. Aber „Bodies matter“, wie schon Judith Butler festgestellt hat: Die Geschlechtsidentität ist für Transsexuelle meist nicht frei wechselbar. Ihr liegen biologische Prozesse zugrunde. Variabel sind Interpretationen und Zuschreibungen, die an die Biologie anknüpfen. Rachel Dolezal hat diesen biologischen Hintergrund nicht, sie betreibt reine Camouflage.
Und da kommt die Ebene der Zeichen und der Macht, die sie anordnet, ins Spiel: gerade weil unser Wissen über Ethnien sozial konstruiert ist, sind sie eben nicht gerade mal so wechselbar. Diese Konstruktionen haben uns nämlich fest im Griff, strukturieren unsere Welt und Wahrnehmung. Schwarze müssten nicht mehr für ihre Rechte kämpfen, wenn man ignorieren könnte, wie diese Konstruktionen heute Spielräume für sie einschränken. Identity matters, genau weil sie konstruiert ist. Wäre die ethnische Identität etwas frei wählbares, dann hätten wir jetzt keinen Skandal, sondern eine Kuriosität und einen Haufen Lügen.
Ja, wir kommen alle aus Afrika. Das ist ein schönes Bild, das, merkwürdigerweise von einer Antirassismus-Aktivistin völlig unhistorisch und unpolitisch gebraucht wird. Nach unserer gemeinsamen Vergangenheit ist nämlich sehr viel passiert.
Die ethnische Identität ist nicht frei wählbar. Sie ist durch und durch vermachtet: Weiß ist oben, was man sogar ganz bildlich am Absatz von Bleichmitteln in Ländern mit dunklerer Bevölkerung sehen kann. Und die weiße Macht ist abgesichert: Die Schwarze bleibt schwarz, so sehr sie sich auch bleichen mag. Vor diesem Hintergrund hat Dolezal gehandelt. Sie als Angehörige der „weißen“ Mächtigen hatte eine Wahl, die Schwarze nicht haben: Eine Angehörige der mächtigeren Gruppe hat sich zur Angehörigen der ausgegrenzten Gruppe gemacht. Das ist und bleibt eine große Lüge. Ich wünschte nur, dass jemand das in Ruhe mit ihr bearbeitet hätte, anstatt sie der Weltpresse zur Schlachtung vorzuwerfen.