Der folgende Artikel ist ein Transkript eines Vortrages auf dem Panel "Zu_Recht: feministische Forderungen für das 21. Jahrhundert" im Rahmen des Events "Dare the im_possible / Wage das Un_mögliche. Das 21. Jahrhundert feministisch gestalten" vom 15. bis 18. Oktober 2015.
Ich freue mich sehr, dass ich bei dieser tollen feministischen ‚Sause‘ dabei sein kann. Ich spreche heute zu Ihnen und Euch über das Subjekt des Asylrechts – darüber, wie weiß, männlich, heteronormativ es eigentlich ist. Ich möchte dabei drei Bereiche ansprechen und dazu jeweils Forderungen vorschlagen: die Anerkennung, die Unterbringung und den Zugang.
Anerkennung
Geschlecht als rechtliche Kategorie
Zentrales Instrument zur Anerkennung auf völkerrechtlicher Ebene ist die Genfer Flüchtlingskonvention. Sie wurde 1951 verabschiedet, also direkt nach dem Zweiten Weltkrieg. Endlich gab es ein universell formuliertes Instrument für alle Flüchtlinge, nicht mehr nur vereinzelte Ad-hoc-Instrumente für einzelne Gruppen, die bis dahin existiert hatten. Die Konvention war zunächst auf Europa und Ereignisse vor 1951 beschränkt, fast alle Staaten haben diese Beschränkung jedoch aufgehoben.
Nur drei Jahre vorher war die Allgemeine Erklärung der Menschenrechte (AEMR) verabschiedet worden, die noch nicht bindend war, sondern eben nur eine „Erklärung“ der UN-Generalversammlung – aber Ausgangspunkt für die ganzen Menschenrechtskonventionen, die wir heute kennen und die bindende Rechtsinstrumente sind. Die AEMR war zum einen geschlechtsneutral – und zwar explizit neutral – formuliert; so heißt es zum Beispiel in Artikel 1: Alle Menschen sind frei und gleich an Würde und Rechten geboren. Auf Englisch war es: „All human beings …“. Die meisten Verfassungserklärungen begannen bis dahin mit: „All men …“ Eleanor Roosevelt, die damals maßgeblich an der Erarbeitung der AEMR beteiligt war, berichtete später, sie hätte sich mit ihren Kolleginnen besprochen und sie hätten beschlossen: „If we say ‚all men’, when we get home it will be all men.“ Also eine neutrale Formulierung: „all human beings.“
Aber mit der neutralen Formulierung haben sie sich natürlich nicht zufrieden gegeben, sondern sie haben auch dafür gesorgt, dass es in Artikel 2 AEMR eine Antidiskriminierungsklausel gibt und dass dort auch der Diskriminierungsgrund des Geschlechts aufgeführt ist.
In der Flüchtlingskonvention haben die Hohen Vertreter das leider nicht mitgedacht, so wie die coolen Feminist_innen bei der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte – die saßen nämlich leider nicht mit am Tisch, als die Genfer Flüchtlingskonvention ausgehandelt wurde. Flüchtling ist nach der Definition der Genfer Flüchtlingskonvention nämlich, wer Verfolgung aus einem oder mehreren von fünf Gründen befürchten muss. Ich vereinfache das ein bisschen, es gibt in Art. 1(A)(2) GFK noch ein paar mehr Kriterien, aber uns interessieren heute vor allem diese Elemente: begründete Furcht vor Verfolgung wegen eines der fünf Konventionsgründe, und zwar „Rasse, Religion, Nationalität, … politisch[e] Überzeugung“ oder „Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe“ – ein neuer Begriff, der damals erstmals eingeführt wurde. Die_Der alerte Feminist_in merkt sofort: Geschlecht fehlt!
Öffentliche und private Sphäre
Problematisch war zusätzlich ein Verständnis, das damals noch vorherrschend war und das sich in Deutschland sogar bis 2005 halten konnte, nämlich: Verfolgung, das ist Ausgrenzung durch den Staat. Verfolgung findet damit in der öffentlichen Sphäre statt. Die öffentliche Sphäre ist traditionell die Sphäre, die mit dem Männlichen und Männern assoziiert wird, während das Private mit der Frau und dem Weiblichen assoziiert wird; entsprechend sind die traditionellen Rollen von Männern und Frauen diesen Sphären zugewiesen. Im Flüchtlingsrecht lässt sich dies ebenfalls ablesen – paradigmatisches Subjekt des Flüchtlingsrechts war lange der politisch aktive Mann in der öffentlichen Sphäre, der durch den Staat verfolgt wird. Unterbelichtet waren demgegenüber diskriminierende Menschenrechtsverletzungen im Privaten, zum Beispiel durch Familienangehörige, zum Beispiel durch den Ehegatten, und aber auch sexualisierte Gewalt, die noch viel zu oft als privater Übergriff verstanden wurde, und zwar selbst wenn sie durch Amtsträger_innen begangen wurde.
Das hat sich geändert, hier sind wir weiter – in Deutschland leider erst seit 2005, als das Ausländergesetz (AuslG) vom Aufenthaltsgesetzt (AufenthG) abgelöst wurde. Das musste erst unionsrechtlich verbindlich werden, damit sich das Verständnis in Deutschland endlich wandelte. Aber international ist dies schon seit den 1990er Jahren Thema. Und das ist ein sehr großer feministischer Erfolg: Die Kampagne „Frauenrechte sind Menschenrechte“ war eine feministische Kampagne, die dafür gesorgt hat, dass Menschenrechte auch in der privaten Sphäre Rechtsgeltung haben, dass der Staat eine Schutzpflicht auch gegen Gewalt von privater Seite hat. Und sie haben dafür gesorgt, dass sexualisierte Gewalt heute nicht mehr nur als privater Übergriff verstanden wird, sondern dass auch bekannt ist, dass sie ein staatliches Instrument sein kann, zum Beispiel ein Mittel der Kriegsführung.
Im Flüchtlingsrecht hat sich das dann in zweierlei Hinsicht niedergeschlagen: Einerseits über die Anerkennung sexualisierter Gewalt als Verfolgung, denn die Verfolgung knüpft an die Menschenrechte an. Also eine Menschenrechtsverletzung von gewisser Intensität wird als Verfolgung anerkannt, inzwischen sexualisierte Gewalt auch. Und: Sexistische Diskriminierung wird inzwischen als Verfolgungsgrund anerkannt, und zwar über diese neu eingeführte, offene Kategorie der „bestimmten sozialen Gruppe“. Dass Geschlecht eine bestimmte soziale Gruppe darstellen kann, das ist inzwischen durchweg anerkannt.
Das wurde auch auf andere Dimensionen von Vergeschlechtlichung ausgeweitet: Auch Trans*personen und Inter*personen können sich auf die bestimmte soziale Gruppe berufen, und auch die sexuelle Orientierung wird inzwischen anerkannt. Ein großes Problem war im europäischen Raum bis vor kurzem, dass von gleichgeschlechtlich orientierten Personen zum Teil erwartet wurde, dass sie ihre sexuelle Orientierung dadurch verbergen, dass sie sie öffentlich nicht bekannt werden lassen, dass sie im closet leben, im „Schrank“, im Geheimen, dass sie sich nicht outen, dass sie im Privaten, nicht in der Öffentlichkeit ihre geschlechtliche Orientierung ausleben müssen. Der Europäische Gerichtshof hat 2013 – jedenfalls für die EU-Mitgliedstaaten – dieser Auslegung ein Ende bereitet und hat klargestellt: Wir können nicht verlangen, dass die Leute im closet leben, um Verfolgung zu entgehen, ganz abgesehen davon, dass der closet natürlich kein sicherer Raum ist.
Alles prima?
Man könnte also doch jetzt eigentlich sagen: Alles prima! Es hat sich wirklich viel getan, wir haben sehr viel erkämpft – eigentlich können wir uns jetzt mal beruhigt zurücklehnen. Das ist aber leider nicht so, z.B. wenn wir uns das Problem mit der Verfolgung wegen der sexuellen Orientierung näher ansehen. Wenn ich sage: Ich beantrage Asyl, weil ich wegen meiner sexuellen Orientierung verfolgt werde, dann sagt die Behörde als erstes: Wir müssen dann erstmal gucken, ob Sie überhaupt wirklich schwul oder lesbisch sind. Wie finden wir das heraus? Dann fragen wir Sie mal ganz intime Fragen. Da hat der EuGH tatsächlich auch noch mal wunderbar gesagt: Nein – so eine Befragung muss die Menschenwürde wahren, wir können nicht alles mögliche fragen.
Das reicht aber nicht. Denn trotzdem haben Personen in diesen Anerkennungsverfahren mit Stereotypisierung und Kulturalisierung ihrer sexuellen Orientierung zu kämpfen und haben zum Teil Probleme damit, dass sie nicht zu den Erwartungen passen, die die Behörde an eine richtige Lesbe hat oder einen richtigen Schwulen. Oder an einen richtigen arabischen Schwulen – wie der wohl ist?
Forderungen zur Anerkennung
Meine Forderung daher ist: Wir brauchen bei der Anerkennung Raum für nichtkonforme Identitäten und Orientierungen. Entwickeln können wir das darüber, dass wir ein nicht essentialistisches Verständnis von Diskriminierungskategorien entwickeln, indem wir sagen: Das Problem ist nicht, dass ich zu der Gruppe gehöre, die verfolgt wird, also ein enger Gruppenbegriff, bei dem immer welche draußen bleiben, sondern sage: Das Problem ist, dass ich - jedenfalls nach Sicht des Verfolgers oder der Verfolgerin - nicht zu den Erwartungen passe, die an die Gruppe gestellt werden, der ich zugeordnet werde. Die existiert möglicherweise nicht, je nachdem, welchen Geschlechtsbegriff man hat. Das heißt, ein enger Begriff, aus dem ich draußen bleibe. Damit bin ich im Grunde offener und muss nicht selber dazu gehören, sondern meine Nichtzugehörigkeit zu dem Set an den Erwartungen ist das Problem, wegen dessen ich ausgegrenzt werde.
Verfahren
Das zweite Problem: Geschlechtsspezifische Fluchtgründe werden inzwischen geschützt. Aber werden die Frauen auch wirklich gesehen im Asylverfahren? Wir haben die rechtliche Institution des Familienasyls. Wenn eine Kernfamilie kommt und eine Person anerkannt wird, bekommen die anderen einfach auch Asyl. Klingt erst mal gut. Aber das ist natürlich dann problematisch, wenn man aufgrund patriarchaler Vorstellungen – Haushaltsvorstand, paradigmatisches Flüchtlingsrechtssubjekt Mann – vor allem den Mann der Familie als Asylberechtigten im Auge hat. Der kann aber möglicherweise, weil er an Kampfhandlungen teilnehmen musste (was zum Beispiel eine geschlechtsspezifische Verfolgungshandlung für Männer sein kann), in Kriegsverbrechen verwickelt gewesen sein. Dann ist er nach Art. 1(F) GFK vom Flüchtlingsstatus ausgeschlossen. Es kann auch sein, dass zum Beispiel seine Schutzbedürftigkeit irgendwann endet. Das hat natürlich dann auch einen Effekt auf die Schutzbedürftigkeit der Personen, die Familienasyl bekommen haben.
Forderungen zum Verfahren
Meine Forderung also: Auch hier müssen wir genau hinsehen. Wir müssen jede Person einzeln prüfen. Das setzt voraus, dass wir getrennte Befragungen durchführen und dass diese Befragungen durch sensibilisiertes Personal durchgeführt werden, dass möglicherweise, mindestens wenn die Personen dies wünschen, dasselbe Geschlecht haben wie die befragten Personen. Das muss auch für die Dolmetschenden gelten. Dies muss natürlich in sicherer Umgebung stattfinden, wo ich keine Sorge haben muss, dass bekannt wird, was ich erzähle, was möglicherweise meine Familienangehörigen gar nicht wissen, was mir passiert ist.
Unterbringung
Geschlechtsbezogene Gewalt – ein Querschnittsthema
Aber die Gefahren hören natürlich nach der Flucht überhaupt nicht auf. Wir befinden uns jetzt bei den „Forderungen für das 21. Jahrhundert“ bei einem ganz alten feministischen Thema, nämlich sexualisierter Gewalt. Gewalt und Belästigung in Flüchtlingsunterkünften nehmen zu. Das ist natürlich grundsätzlich ein Problem der Enge, wenn ich in einem Zelt mit hundert Personen untergebracht bin, vor allem aber z.B. wenn ich meine Dusch- und Waschräume nicht abschließen kann. Hier geht es um Gewalt gegen Frauen und junge Mädchen – aber auch etwa gegen Trans*personen. Mir ist z.B. der Fall einer Trans*frau bekannt, die in München in einer Aufnahmeeinrichtung untergebracht und akut gefährdet war.
Dass das ein Problem ist, wissen wir schon lange. Zum Beispiel gibt es einen Bericht des BMFSFJ zur Situation von Frauen von 2004, der sich auch der Situation von Flüchtlingsfrauen zuwendet; danach hat ein Viertel der geflohenen Frauen sexualisierte Gewalt erlebt und die Hälfte sonstige körperliche Gewalt – und zwar vor der Flucht, auf der Flucht und nach der Flucht. Denn die Täter_innen sind zum Teil die eigenen Partner_innen, andere Flüchtlinge, aber auch das Personal der Unterkünfte und natürlich auch Fremde.
Das Problem ist aber: Wenn ich in einer Flüchtlingsunterkunft untergebracht bin, kann ich das Gewaltschutzgesetz nicht nutzen, denn ich kann die Person nicht aus meiner Wohnung wegweisen. Ich bin ihr daher immer wieder ausgesetzt. Ich habe natürlich auch einen Anspruch auf besondere medizinische Versorgung, wenn ich durch sexualisierte Gewalt traumatisiert bin. Es gibt aber kein systematisches Screening für solche Schutzbedürftigkeit, obwohl das nach der EU-Asylverfahrensrichtlinie vorgeschrieben ist.
Ich sehe auch ein Problem darin, dass in der öffentlichen Debatte inzwischen ethnisierte und religiös begründete pauschale Zuschreibungen an junge Männer aus dem arabischen Raum stattfinden, die durch und durch patriarchal seien und dann in den Unterkünften die Frauen weiter unterdrückten. Gegen solche Stereotypisierungen aber müssen wir uns als Feminist_innen, als intersektional informierte Feminist_innen wehren – denn sexualisierte Gewalt darf nicht orientalisiert werden. Sie ist kein Thema, das vor allem anderen zuzuschreiben ist, sondern sie ist ein Querschnittsthema, ein gesellschaftliches Thema, mit dem wir alle zu tun haben – wir müssen sie überall bekämpfen, wo wir sie treffen.
Forderungen zu den Aufnahmebedingungen
Natürlich müssen wir Frauen und Kindern die Möglichkeit geben, getrennt und geschützt untergebracht zu werden, mindestens wenn sie es wollen. Frauen haben ja nicht nur ein Problem mit Gewalt; sie haben möglicherweise auch Probleme, vor anderen ihre Kinder zu stillen. Sie möchten vielleicht auch einmal ihr Kopftuch abnehmen, was sie in gemischtgeschlechtlichen Räumen möglicherweise nicht machen wollen.
Wir brauchen, zweitens, auch ein systematisches Screening nach Schützbedürftigkeit, wie es auch unionsrechtlich vorgeschrieben ist.
Aber drittens, wir müssen auch die Unmenschlichkeit von Massenunterbringungen allgemein thematisieren. Es geht nicht nur um Frauen, es geht auch um Frauen.
Zugang
Das alles setzt aber voraus, dass ich überhaupt kommen kann. Das Recht begrenzt die Zugangsmöglichkeiten zu diesen Schutzräumen, die wir in Deutschland bieten, so unsicher sie auch immer noch sind. Auch das ist ein Thema, bei dem Geschlecht eine große Rolle spielt.
Weltweit sind etwa gleich viele Männer und Frauen auf der Flucht. Es heißt zwar immer „80 Prozent Frauen und Kinder“; Frauen stellen aber etwa die Hälfte der Erwachsenen (und Mädchen etwa die Hälfte der Kinder). In Europa kommen aber nicht 50 Prozent Frauen an, sondern 70 Prozent Männer. Die Gründe haben natürlich auch etwas mit Geschlecht zu tun: Frauen sind wegen Kindern weniger mobil, weil ihnen in der Regel die Kinderversorgung obliegt. Flucht ist teuer, Frauen haben aber oft weniger Zugang zu Geld. Männer gelten wegen ihrer Ernährerrolle und vielleicht auch wegen der ihnen zugeschriebenen Körperkraft als erfolgversprechender; sie können die Familie dann nachholen. Und: Flucht ist natürlich gefährlich. Sie ist lebensgefährlich für alle, die über das Mittelmeer kommen, Frauen sind aber zusätzlich auch oft noch von Verschleppung oder Vergewaltigung bedroht.
Das Problem ist allerdings: Bleiben ist auch gefährlich. Auch im Transit drohen Frauen Gefahren. Und inzwischen sind eben auch immer mehr alleinstehende Frauen und Kinder auf der Flucht. Meine letzte Forderung ist: Wir müssen sichere Zugangswege schaffen. Auch für Frauen und Mädchen.