Am 30. Mai 2016 fand zur Rechtsvereinfachung im SGB II eine Anhörung im Bundestag statt. Es ging u.a. um die Kürzungen in Alleinerziehendenhaushalten. Doch das trägt eher zu Konflikten in Familien, denn zu geplanten Vereinfachung bei.
Verbesserungen für Alleinerziehende gehen nur langsam voran. Vielleicht weil sie zu über 90 Prozent Frauen sind? Während Reformen auf sich warten lassen, die zum Beispiel die Unterstützung bei ausfallendem Kindesunterhalt (ein sehr häufiges Problem für Alleinerziehende[1]) verbessern, steht nun im Rahmen der sogenannten Rechtsvereinfachung des SGB II eine Verschlechterung der Situation Alleinerziehender und ihrer Kinder an.
Geplante Reform im SGB II
Etwa 39 Prozent aller Alleinerziehenden beziehen „Hartz IV“-Leistungen.[2] In Zukunft soll standardmäßig geprüft werden, wie viele Tage das Kind Umgang mit dem anderen Elternteil hat. Für diese Tage wird das Sozialgeld für das Kind anteilig gekürzt, so sieht es der Änderungsantrag vor, den das Bundeskabinett am 4. Mai 2016 verabschiedet hat und der demnächst in den Bundestag eingebracht werden soll. Dies gilt auch dann, wenn der umgangsberechtigte Elternteil gar keine „Hartz IV-Leistungen“ bezieht und die Kürzung so bei ihm/ihr gar nicht ankommt.
Protestaktionen gegen die Pläne
Am 30. Mai 2016 fand zur Rechtsvereinfachung im SGB II eine Anhörung im Bundestag statt. 16 Verbände (unter anderem der Deutsche Frauenrat) protestieren anlässlich dieser Anhörung gemeinsam gegen die Pläne. Sie fordern in einer gemeinsamen Erklärung den Verzicht auf Kürzungen in Alleinerziehendenhaushalten und die Einführung eines neuen Mehrbedarfs für Umgangsberechtigte. Die Petition einer Alleinerziehenden auf der Plattform von Campact e.V. hat bisher knapp 40.000 Unterschriften gesammelt, die vor der Anhörung übergeben werden sollten. Auch die Bundesarbeitsgemeinschaft kommunaler Frauenbüros hat in einem offenen Brief das Vorgaben als „unverantwortlich und unsozial“ bezeichnet.
Keine Kürzung, nur Vereinfachung!? Von wegen (Stellungnahme des BMAS)
Die Stellungnahme des federführenden Ministeriums bei Facebook liest sich gegenüber dem scharfen Protest aus der Zivilgesellschaft beschwichtigend: Niemand werde durch die Reform schlechter behandelt, denn der zukünftige Gesetzestext setze nur bestehende höchstrichterliche Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG) um, es gebe also keine „Kürzung“ der Leistungen. Schon im Moment sei es so, dass das Sozialgeld für das Kind nach Aufenthaltstagen aufgeteilt wird. Das betonte auch die Vorsitzende des zuständigen Bundestagsausschusses Kerstin Griese bei der Entgegennahme der knapp 40.000 Unterschriften der Campact-Petition.
Diese Darstellung ist falsch. Das legt ein Hintergrundpapier des Deutschen Juristinnenbundes dar. Sowohl rechtlich als auch tatsächlich seien mit der Gesetzesänderung für Alleinerziehende Verschlechterungen verbunden. Die erwähnte Rechtsprechung des BSG, die nun angeblich nur umgesetzt werde, sei für die Fälle entwickelt worden, in denen der umgangsberechtigte Elternteil selbst „Hartz IV-Leistungen“ bezog und für die Zeiten des Umgangs Geld für das Kind brauchte. Weil der Gesetzgeber für diese Fälle keine ausdrückliche Regelung geschaffen hat, hat das BSG eine zeitweise Bedarfsgemeinschaft des Kindes mit dem Elternteil für die Zeiten des Umgangs bejaht, damit für diese Zeiten ein Leistungsanspruch besteht. Eine zwingende und automatische Kürzung im Haushalt der Alleinerziehenden hat das BSG nicht gefordert. Diese findet auch nach Einschätzungen aus der Praxis derzeit in der Mehrheit der Fälle nicht statt. Auch die Anhörung im Bundestag am 30. Mai 2015 bestätigte dies. Im Rahmen der Anhörung fragte die Abgeordnete Katja Mast die Vertreterin der Bundesagentur für Arbeit, in welchem Formular derzeit die Zahl der Umgangstage mit dem anderen Elternteil von den Alleinerziehenden abgefragt werde. Die Antwort: Eine solche Abfrage findet im Moment nicht statt („Es gibt in den gegenwärtigen Anträgen und Vordrucken keine Frage nach der temporären Bedarfsgemeinschaft.“ S. 9 des vorläufigen Wortprotokolls). Eine Folge der Gesetzesänderung wäre die standardisierte und flächendeckende Abfrage und Prüfung der Umgangszeiten, mit der Folge der Leistungskürzungen im Alleinerziehendenhaushalt. Eine weitere Verschlechterung gegenüber dem status quo wird sein, dass diese Kürzung auch eintritt, wenn der umgangsberechtigte Elternteil gar keine „Hartz IV-Leistungen“ bezieht.
Stellungnahme von Ministerin Manuela Schwesig
Die geplanten Reformen bringen also durchaus Verschlechterungen für Alleinerziehende. Deshalb ist es interessant, dass die Bundesfamilienministerin Manuela Schwesig sich in der Presse bereits dahingehend geäußert hat, ihr sei bei einer Neuregelung im SGB II wichtig, dass "diese nicht zu Lasten jener geht, die alleinerziehend sind". Der von den Verbänden geforderte Umgangsmehrbedarf müsse geprüft werden. Trotzdem sieht es ganz danach aus, als werde die Reform wie geplant umgesetzt, der bereits im Kabinett beschlossene Änderungsantrag wird wohl als nächstes in den Bundestag eingebracht werden.
Es stellt sich die Frage, warum ausgerechnet ein SPD-geführtes Ministerium unter dem Deckmantel der Verwaltungsvereinfachung eine solche Reform vorantreibt und verteidigt. Es besteht keinerlei Anlass oder rechtliche Verpflichtung, die geplante Regelung zu treffen. Die Gesetzgebung und damit letztlich die Politik trifft die Entscheidung, die den Bedürfnissen von Kindern entsprechen sollte. Sich auf die Argumentation zurückzuziehen, es fände quasi keine Entscheidung statt, sondern nur eine klarstellende Formulierung, vermag angesichts der aktuellen Rechtslage und Rechtsanwendung nicht zu überzeugen. Letztlich müssen die SPD-Ministerinnen Andrea Nahles und Manuela Schwesig die Verantwortung für die Folgen der von ihnen favorisierten Entscheidung übernehmen.
Politik für Alleinerziehende ist ein feministisches Thema, nicht nur weil sie überwiegend Frauen betrifft, sondern weil es um grundsätzliche Fragen des gleichberechtigten Zusammenlebens geht. Diese werden mit der angestrebten Reform aber in keiner Weise adressiert. Die großen Fragen nach einem adäquaten Umgang mit im Lebensverlauf wechselnden Familienkonstellationen und wie man den Bedürfnissen getrennt lebender Eltern gerecht werden kann, bleiben unbeantwortet. Die Lehmschicht bestehender Familienförderung, die zu häufig immer noch Eheförderung ist, benachteiligt Alleinerziehende systematisch. Viel zu häufig sind sie, auch als Aufstockerinnen, auf Leistungen nach dem SGB II angewiesen, weil ihr Einkommen nicht für sie und die Kinder ausreicht. Die geplante Neuregelung hat nichts mit Verwaltungsvereinfachung zu tun, sie trägt Konflikte in Familien und wird den Bedürfnissen von getrenntlebenden Eltern nicht gerecht.
[1] Vgl. Hartmann, Bastian (2014): Unterhaltsansprüche und deren Wirklichkeit: Wie groß ist das Problem nicht gezahlten Kindesunterhalts?, SOEPpapers on Multidisciplinary Panel Data Research, No. 660, Download: http://hdl.handle.net/10419/97517, auf Basis der Befragung Familien in Deutschland: 50,17 Prozent der befragten Alleinerziehenden gaben an, keine Unterhaltszahlungen für ihre Kinder zu erhalten (S. 8). Von den geleisteten Unterhaltszahlungen war wiederum nur etwa die Hälfte hoch genug, um auch nur den Mindestunterhalt des Kindes zu decken (S. 12).
[2] Prognos, Alleinerziehende wirksam unterstützen, 2015, http://www.prognos.com/uploads/tx_atwpubdb/150309_Prognos_Blickpunkt_Alleinerziehende_lang.pdf (S. 17).