In den letzten Wochen wurden in den USA landesweit Diskussionen zu sexueller Gewalt und der sogenannten „Rape Culture“ entfacht. Auslöser dafür war ein von der Washington Post veröffentlichtes Video aus dem Jahr 2005, in welchem der republikanische Präsidentschaftskandidat Donald Trump gegenüber einem Fernsehmoderator damit prahlt, mehrere Frauen gegen ihren Willen geküsst, begrapscht und ihnen sexuelle Avancen gemacht zu haben. Neben der äußerst vulgären Wortwahl Trumps in besagtem Video sorgte vor allem seine Aussage, dass dies alles nur „locker room talk“ gewesen sei, für Empörung.
Sexuelle Belästigung vorherrschendes Thema des Wahlkampfes
Es hätte wohl kaum jemand erwartet, dass sexuelle Gewalt ein zentrales Thema dieses Wahlkampfs werden würde, drehten sich die Diskussionen zuvor doch hauptsächlich um Donald Trumps fehlende Steuererklärung oder Hillary Clintons verschwundene Emails. Nun aber sind die Stimmen von immer mehr Frauen zu hören, vor allem in sozialen Medien wie Twitter, wo sich Opfer sexueller Gewalt durch Hashtags wie #NotOK oder #ItHappenedToMe untereinander austauschen und bestärken.
Obwohl viele Republikaner bisher großzügig über andere fragwürdige Kommentare Trumps hinwegsahen, scheinen sich die Geister nun zu spalten. Obwohl er weiterhin den Rückhalt der meisten republikanischen Wähler/innen, einschließlich Frauen, genießt, kritisieren nun viele bisherige Trump-Unterstützer wie Paul Ryan, Sprecher des Abgeordnetenhauses, den Kandidaten ihrer eigenen Partei und distanzieren sich öffentlich von ihm. Trotz des daraus folgenden wachsenden Zuspruchs für Hillary Clinton aus der Öffentlichkeit und einer bedeutenden Rede Michelle Obamas, in der diese Trumps Auftreten scharf kritisierte und Clinton als die einzige wählbare Option darstellte, wird Clinton selbst in dieser Frage nach wie vor von vielen Kommentator/innen der Scheinheiligkeit beschuldigt. So wird ihr unter anderem vorgeworfen, mutmaßliche Vergewaltigungsopfer ihres Mannes Bill Clinton lächerlich gemacht oder sogar bedroht zu haben. Weiterhin halten ihre Gegner ihr vor, dass sie trotz der wiederholten Anschuldigungen gegen Bill Clinton immer an seiner Seite blieb, oder auch, dass sie als junge Strafverteidigerin im Fall der Vergewaltigung eines zwölfjährigen Mädchens den vermeintlichen Täter vertrat.
Die Debatte richtet jedoch den Fokus auf ein Problem, dass weit über diesen Wahlkampf hinausgeht.
Rape Culture – wie sexuelle Gewalt in unserer Gesellschaft normalisiert wird
Dass Aussagen wie die Donald Trumps von ihm und vielen anderen als bedeutungsloses Geplänkel abgetan werden, ist allerdings alles andere als ungewöhnlich. Obwohl in den USA seit einigen Jahren eine wachsende Diskussion rund um sexuelle Belästigung und Gewalt herrscht, wird diese zu oft noch als hysterisch und realitätsfern gebrandmarkt, und frauenfeindliche Gespräche sind in manchen Kreisen nach wie vor an der Tagesordnung. Aussagen, die Frauen als sexuelle Objekte darstellen, den Missbrauch von Macht und Autorität zum Zwecke sexueller Übergriffe gutheißen, oder sexuelle Gewalt herunterspielen, werden oft genug ignoriert, belächelt oder sogar noch bestärkt. „Rape Culture“ beschreibt die Normalisierung von sexueller Gewalt in der Gesellschaft, wie The Guardian treffend erklärt:
„Rape culture doesn’t so much actively encourage rape as passively condone it. You can’t pin it down to one particular thing; rather it’s the accumulation of a number of social norms that perpetuate the idea that women are sexual objects, and that sexual objectification is simply a fact of life.“
Warum Frauen sich jetzt erst trauen, die Wahrheit zu sagen
Solche „Männergespräche“ signalisieren nicht nur einen imaginären Anspruch auf den Körper einer anderen Person, sondern tragen auch oft zum Stillschweigen der Opfer sexueller Gewalt bei. Opferbeschuldigung, Angst und Scham halten eben jene Frauen (und auch Männer) oft davor zurück, Hilfe zu suchen und die Täter zur Verantwortung zu ziehen. Einige trauen sich erst Jahre später, manche nie.
Besonders niedrig ist die Anzeigenquote für sexuelle Gewalt auf US-amerikanischen Universitätswohnanlagen, wo erschreckende 80% aller Vorfälle ungemeldet bleiben. Weiterhin sind viele Opfer eher dazu geneigt, sich an Offizielle ihrer Institution zu wenden anstatt zur Polizei zu gehen, weil sie dadurch eine schnellere und unauffälligere Bearbeitung ihres Falles hoffen. Allerdings zeigen sich viele Universitäten außerstande solche Fälle sorgfältig und gerecht zu bearbeiten, da entsprechende Regelungen fehlen und ein unparteiisches Verfahren oft ausbleibt. Das führt dazu, dass manche Opfer weiterhin mit dem Täter in Vorlesungen oder der Mensa sitzen müssen, wenn das Urteil mild ausfällt oder der Täter aufgrund fehlender Beweislange sogar ungestraft bleibt. Laut einer Studie der University of Michigan haben mehr als 20% von Student/innen sexuelle Belästigung an ihrer Universität erlebt; nichtsdestotrotz wird das Thema totgeschwiegen und Tätern damit freie Hand gelassen. Initiativen wie die von der Regierung ins Leben gerufene „It’s on us“ Kampagne versuchen vor allem Student/innen zur aktiven Prävention von sexueller Gewalt zu bestärken, um Fälle wie die des Standford-Vergewaltigers Brock Turner zukünftig zu verhindern.
„Alles nur Märchen!“
Gegen Donald Trump lagen schon in der Vergangenheit vereinzelte Anschuldigungen sexueller Übergriffe vor, denen allerdings nicht besonders viel Aufmerksamkeit geschenkt wurde. Nun aber, nach Veröffentlichung der Videos, melden sich immer mehr Frauen und geben an, von dem Milliardär belästigt worden zu sein. Bestärkt durch die Tatsache, dass sie nicht alleine dastehen, bringen manche zum ersten Mal ihre Geschichte an die Öffentlichkeit, in der Hoffnung, dass sie ernst genommen werden.
Trotz der mittlerweile beachtlichen Liste von Anschuldigungen hat Trump wiederholt jegliche Vorfälle abgestritten und als von Clinton initiierte Hetzkampagne abgestempelt. In der letzten Präsidentschaftsdebatte identifizierte er die zahlreichen Unterstellungen als „Lügen und pure Fantasie“. Viele seine Unterstützer/innen sehen die Sache ähnlich und werfen den Frauen vor, die Vorwürfe nur für einen kurzen Moment im Rampenlicht konstruiert zu haben.
Wahrscheinlich wird es nicht für jeden einzelnen Fall handfeste Beweise dafür geben, was wirklich geschehen ist. Fakt ist allerdings, dass Donald Trumps Aussagen den Opfern sexueller Gewalt jeglichen Respekt verweigern und ein Paradebeispiel von Rape Culture demonstrieren. Vielleicht sollten wir sogar dankbar dafür sein, dass dank dieser Ignoranz die Diskussion rund um sexuelle Gewalt nun im Rampenlicht steht. Denn es sind eben nicht nur Worte.