Seit August engagiert sich Friederike Aps im Rahmen der Integrationspatenschaften des Unionhilfswerks. Hier erzählt sie von ihrer neugewonnenen Freundschaft und der bereichernden Erfahrung, sich auf eine andere Kultur einzulassen.
Integrationspatenschaft, das ist ein komisches, umständliches Wort. Wir Deutschen und unsere Sprache, das ist eben der Inbegriff der Umständlichkeit. Das Mädchen, mit dem mich diese sogenannte Integrationspatenschaft verbindet, kommt aus Syrien und ist 21 Jahre alt. Ich nenne sie hier Leyla. Ihr Vater hat sie mir vorgestellt. Er war Teilnehmer eines Kurses für Geflüchtete, den ich in einer Unterkunft des Unionhilfswerks gegeben habe.
An dem Tag war es sehr heiß und ich erinnere mich, dass ich gerade meine mündliche Prüfung an der Uni bestanden hatte. Ich war müde und sehnte mich nach einer Dusche. Aber meine Kollegin und ich verlängerten an diesem Tag unseren Unterricht, weil die nachfolgenden Kursleiter nicht erschienen waren und die Teilnehmer uns wissbegierig und erwartungsfroh ansahen. Nach der Doppelstunde bedankte sich Leylas Vater bei uns mit Obst und Kaffee in seiner Wohnung. So lernte ich Leyla kennen. Wenig später machten wir die Patenschaft mit dem Unionhilfswerk als Vermittler offiziell.
In ihrer Heimat hat Leyla Medizin studiert. Sie ist die Jüngste von sechs Kindern. Mit dem Vater ist sie zuerst in die Türkei geflüchtet. Seit einem Jahr und drei Monaten sind sie jetzt in Berlin, der Rest der Familie ist teils noch in Syrien und teils über ganz Europa verstreut. Sie ist ein sehr willensstarkes Mädchen mit einem abgeklärten Humor. Ihre Disziplin ist schwer beeindruckend. Derzeit macht sie ihren C1 Kurs.
Ich entdecke mit ihr eine neue Form der Weiblichkeit. Wir sind Frauen und mit ihr ist das nicht einfach eine Bezeichnung, es macht uns zu Verbündeten. Wenn wir uns treffen, dann unterhalten wir uns über ihre Familie, gucken uns Fotos an, machen Quatsch mit ihrem Smartphone, reden über den Deutschunterricht.
Oder sie zeigt mir Unterlagen und Briefe, die sie nicht versteht. In der Regel verstehe ich die auch nicht sofort und dann sagt sie „Du bist doch Deutsche oder…?“ und lacht dabei und ich sage nur, „warte kurz, ich hab’s gleich… .“ Ich stelle nicht viele Fragen, ich gebe ihr Raum. Meistens redet sie einfach drauflos. Häppchenweise kommen da kleine Geschichten hervor, über die Flucht und den Krieg. Ich begegne ihr mit einer „Das packen wir schon“-Mentalität und berate sie mit einer „Zeig mal her“-Attitüde, als wäre alles halb so wild. Als ich mit ihr für ihre mündliche B2-Prüfung Debattieren geübt habe, war ich mir nicht mehr sicher, wer hier wem etwas beibringt.
Sie liebt es, mich herauszufordern und ihre braunen Augen blicken kühl aber herzlich in die Welt. Ich kichere mit ihr über Mädchenkram und finde das herrlich erfrischend. Das macht diese Patenschaften so wichtig. Sie geben den Geflüchteten die Möglichkeit wieder einfach Mensch zu sein.
Letztens beim Kaffee haben wir uns über den Begriff Integrationspatenschaft unterhalten. Sie musste ihn mal auf Arabisch übersetzen und ist daran verzweifelt. Man müsste einen ganzen Satz daraus machen, um die Bedeutung angemessen im Arabischen auszudrücken. Wir finden, es sollte lässiger klingen. Vielleicht so etwas wie Integrationsfreundschaft. Oder so ähnlich.
Die Wand zwischen Geflüchteten und Einheimischen einzureißen, ist das Schwierigste an der Integration. Man kann ja nicht einfach in ein Heim gehen, mit dem Finger auf jemanden zeigen und sagen „So, dann mal los.“ Und der Geflüchtete selbst weiß schon gar nicht, wie er auf die Einheimischen zugehen soll. Die ersten Kontakte, die sie haben, sind meist Autoritätspersonen bei Ämtern. Eine gruselige Vorstellung. Die Patenschaft ist also eine sehr effektive und überaus wichtige Möglichkeit, um diese Wand zu eliminieren. Dann stehen da einfach nur noch zwei Menschen, die sich kennen lernen wollen. Integration, das bedeutet nichts Anderes als Kommunikation möglich machen.
Und dazu gehört auch das Zuhören. Man muss als Pate lernbereit sein und sich einer anderen Kultur öffnen wollen und können. Sich selbst verleugnen darf man dabei nicht.
Manchmal wird es knifflig: wenn ich männlichen Bekannten begegne, während Leyla dabei ist, dann sind diese für sie unsichtbar. Da ist sie eben, die Sache mit den Männern. Aber ich pumpe das nicht zum Problem auf. Sie übrigens auch nicht. Wir praktizieren dann dieses unausgesprochene „Begrüß ihn halt kurz und ich warte da hinten auf dich.“ Allgemein weiß Leyla, dass sie hier nicht immer am Mann vorbei kommt, aber sie beschränkt es auf das Nötigste. Und manchmal lächelt sie weise, wenn ich ihr von meinen Erfahrungen mit den Männern aus der Unterkunft erzähle. Den einen fragt man, wie es ihm geht und bekommt als Antwort unendlich viele Herzchen-Smileys und die Frage ob er mich küssen darf, den anderen fragt man, ob man helfen kann und das Ergebnis ist ein plötzlicher Kontaktabbruch. Und natürlich gibt es auch jene geflüchteten Männer, mit denen ich mich angefreundet habe und die ich auch fördere. So lerne ich relativ viele Formen und Farben der Integration kennen. Alles individuell, alles nicht so massenabfertigungskompatibel.
Ich wünsche mir, dass Leyla irgendwann auch zu mir nach Hause kommen kann und dass wir etwas kochen oder backen können. Oder Filme gucken. Aber ich will sie und ihren Vater noch ein bisschen besser kennen lernen, ihn ein bisschen weichklopfen, ganz allmählich. Ich hoffe noch auf eine natürlich wachsende Lösung, denn ich möchte keinen von beiden unter Druck setzen. Ich kann spüren, dass sie zu einer Emanzipation von ihrem Vater bereit ist und der Wille auf mich zuzugehen wächst. Sie sieht meine Welt und ihre. Sie liebt ihre Welt, mit all der Ehrfurcht, die dafür nötig ist. Und sie will einen Weg finden, der es ihr ermöglicht, die Regeln aus ihrer Welt weiter zu respektieren und an meiner teilzuhaben. Da zerre ich nicht, ich warte. Ich spiele mit einem beiläufigen „Dein Vater kann auch gerne mal mit zu mir kommen.“ Den Rest bringt die Zeit. Ihre Liebe zu Horrorfilmen teile ich nicht, aber sie guckt sie auf Deutsch, das macht das Ganze pädagogisch wertvoll. Als wir vor kurzem bei der Sprechstunde für Geflüchtete an der Humboldt Universität waren, hat sich der Übersetzer mehr als überflüssig gefühlt und ich bin fast geplatzt vor Stolz.
Kaffee ist übrigens unser gemeinsames Lieblingsgetränk. Vor ein paar Tagen hat sie mich beim Latte Macchiato gefragt, ob ich das mit ihr in Form eines Ehrenamts mache, oder ob ich ihre Freundin sei. Und was ich ihr darauf geantwortet habe, das wissen Sie und wir haben dann noch ihre selbst gekochte Lasagne im Park auf einer Bank gegessen und zum Abschied gab es zwei Küsschen, rechts und links.
Dieser Artikel erschien zuerst beim Aktionsbündnis "Wir machen das". Der Originalbeitrag hier.
Die Website des Unionhilfswerks informiert über das Programm der Integrationspatenschaften.