Auf der Berliner Konferenz „FORMATE DES POLITISCHEN“ hat Annika Reich für WIR MACHEN DAS am 3.11. einen Impuls-Vortrag gehalten. Dabei stand die Frage im Vordergrund, wie sehr die Medien Newcomer*innen wirklich als Akteur*innen zeigen und in welchen Erscheinungsformen sie diskriminierend dargestellt sind. Hier ist ein Auszug ihrer Rede.
Die Überschrift “Migrant*innen und Geflüchtete als neue Akteure und Akteurinnen in Politik und Medien” sehe ich erst einmal als Aufforderung, dass Migrantinnen und geflohene Menschen in der deutschen Politik und den Medien als Akteurinnen in Erscheinung treten sollen. Als Vision finde ich das Thema also super. Als Zustandsbeschreibung deckt sich das leider nicht mit unseren Beobachtungen von WIR MACHEN DAS.
Denn geflohene Menschen werden in den Medien oft (und zwar in Text und Bild) in drei dominanten Erscheinungsformen gezeigt:
a) Die Menschen werden auf ihre Fluchtgeschichten reduziert. Die Fragestellungen und Geschichten drehen sich dann um Fluchtrouten, Schlepper, Gefahren etc. In der Bildsprache werden diese Fluchtgeschichten meist nicht als individuelle Geschichten erzählt, sondern als Teil der berühmt-berüchtigten „Welle“.
b) Die Menschen werden als potentielle Gefährder (hier meist männlich) kriminalisiert oder pauschal als Traumatisierte pathologisiert.
Das sind Markierungen, die sortieren bzw. aussortieren sollen.
Neben diesen beiden Zuschreibungen werden sie oft als ihrem Schicksal Ausgelieferte in einer Passivität dargestellt, die dem Mut, der Willens- und Organisationskraft, die eine solche Flucht erfordert, nicht im Geringsten entspricht. Im Fall von Syrien ist es auffällig, dass sie fast nie in ihrer Rolle als Revolutionäre gezeigt werden. Hier sieht man dann oft Menschen auf den Fluchtrouten in Massenpanik bzw. Gruppen von Herumhängenden in Flüchtlingsheimen.
c) Beispiele gelungener Integration. Nach dem Motto: Ich bin inzwischen deutscher als die Deutschen. Hier werden Einzelfälle gezeigt. Und diese Fälle manifestieren ein Verständnis von Integration als Einbahnstraße, und keines der Partizipation, also des Teilens und Austauschens.
Als erstes Fazit lässt sich festhalten:
Newcomer*innen erscheinen in den Medien oft als Perfekt-Assimilierte oder als potentiell gefährliche, traumatisierte, passiv in Erscheinung tretende Flüchtlinge. Beide Erscheinungsformen sind zwei Seiten einer Medaille. Und beides ist eine Maske. Das heißt, das wahre Gesicht wird verborgen, indem man es verdoppelt. Indem man geflohene Menschen so als Flüchtlinge bezeichnet und zeigt, wird der „Flüchtling“ zu einer Projektion, die mit den unterschiedlichsten Vorstellungen aufgeladen ist. Geflüchtete Menschen erscheinen in den Medien also oft als Oberflächenbilder, bei denen nicht zwischen Innerem und Äußerem unterschieden wird. Und genau das ist eine der Grundzüge von Rassismus.
Es gilt also, genau diese Maskierung zu vermeiden und die authentischen menschlichen Gesichter zu zeigen. Je konkreter desto besser. Und je mehr in der Rolle der/s Akteur*in, desto besser.
Bei WIR MACHEN DAS versuchen wir dieser Problematik so zu begegnen:
a) Mit den Newcomer*innen sprechen, nicht über sie.
Auf unseren bundesweiten Begegnungsort Buchhandlungsabenden lassen wir Newcomer*innen zu Wort kommen. Wir fragen sie, worüber sie sprechen wollen und bringen so die neue und alte Nachbarschaft in Kontakt.
b) Newcomer*innen zu Wort kommen zu lassen und nicht für sie sprechen. Dazu gehört auch, ihnen die Themenwahl und die Entscheidung zu überlassen, ob sie sich als geflohene Journalist*innen ausweisen wollen oder nicht.
Auf unserer Homepage schreiben regelmäßig syrische Journalistinnen, worüber sie schreiben wollen. So hat z.B. Ameenah A. Sawwan eine 10-folgige Interviewserie mit syrischen Aktivist*innen aus der Stadt Moaddamiyeh veröffentlicht. Und die syrisch-palästinensische Autorin Hiba Obaid stellt auf unserer Homepage Initiativen vor. Beide sind Mitglieder unserer Redaktion.
Auf 10nach8, einer mit WIR MACHEN DAS assoziierten Kolumne von Zeit Online, schreiben geflohene Journalistinnen als Gastautorinnen neben anderen und wir lassen es ihnen auch hier offen, worüber sie schreiben wollen. Dima Al-Bitar Kalaji, Kefah Ali Deeb schreiben sehr erfolgreich als Gastautorinnen für uns.
Was es also publizistisch zu tun gibt, ist: Newcomer*innen tatsächlich als Akteur*innen zu begreifen – und zwar einmal in der Form der medialen Darstellung als auch als Medienmacherinnen. Wenn man dann nicht andauernd auf die Minderheit der Rechtsradikalen fokussieren würde, sondern beispielsweise auf die 8 Millionen in der Flüchtlingshilfe Engagierten, dann würde sich endlich ein Bild ergeben, das dem entspricht, was ich im letzten Jahr erfahren habe: nämlich dem Entstehen einer neuen Gesellschaft, deren Zugehörigkeit sich erst einmal über Hiersein und gemeinsames Handeln herstellt. Eine neue Verantwortungskultur, in der wir das Gelingen eines neuen gesellschaftliches Miteinanders nicht mehr delegieren: weder an den Staat, noch an die Profis, noch ans schlechte Gewissen.
Und aus eigener Erfahrung kann ich sagen: Aktiv zu werden, Begegnungen zu suchen und Räume zu teilen, hilft immens gegen Ohnmachtsgefühle. Je stärker der Wind von rechts weht, desto mehr stöpsele ich ihn mir in meinen Rückenwindventilator ein. Denn eines ist klar: Wir, Oldtimer*innen und Newcomer*innen, für die Migration eine Chance ist, sind viel mehr und wir haben ohne Frage die schöneren Geschichten.
Dieser Artikel erschien zuerst beim Aktionsbündnis "Wir machen das". Der Originalbeitrag hier.
Die Konferenz FORMATE DES POLITISCHEN ist eine Kooperation der Bundeszentrale für politische Bildung, der Bundespressekonferenz und des Deutschlandfunks. Beim anschließenden Podium diskutierten die bildende Künstlerin, Aktivistin und Kinderbuchautorin Kefah Ali Deeb, der Produzent und Filmemacher Orwa Nyrabia und der Journalist und Moderator Jaafar Abdul-Karim ihre Erfahrungen mit den deutschen Medien. Eine Zusammenfassung über Pauschalisierungen und klischeehafte Darstellungen bietet der Beitrag des Deutschlandfunks.
Der vollständige Vortrag sowie das gesamte Panel stehen als Audiodatei zur Verfügung.