Die Autorin denkt im feministischen Zwischenruf über Scham nach. Zum moralischen Zaudern: Feminismus soll kein Anlass mehr sein, beschämt zu sein
„Ich zweifle an mir, ob ich eine gute Feministin bin“, dies der dritte Satz des Artikels von Carolin Würfel im Zeit-Magazin NR. 16/2017. Einer der letzten Sätze: „Also versuche ich, etwas anderes zu schreiben, etwas gegen den Zweifel und vor allem gegen die Scham.“ Was fällt auf? Im moralischen Zaudern darüber, eine gute Feministin zu sein, tut sich am Ende des Artikels ein Zwischenraum schöpferischer Potenz[1] (huch!) auf, um nicht mehr die Frage stellen zu müssen, ob es Feminismus braucht bzw. ob es zu viel guten oder schlechten Feminismus gibt. Um über die Zweifel erhaben zu sein, muss jedoch auch gegen die Scham angeschrieben werden. Die Scham, Feministin zu sein. Die Scham, ein zweifelndes Fragezeichen der Gesellschaft darzustellen. Den 100 Gründen, rot zu werden, wie sie die aktuelle Ausstellung zur Scham im Deutschen Hygiene Museum Dresden versammelt, soll mindestens einer entzogen werden. Feminismus soll kein Anlass mehr sein, beschämt zu sein.
The affecitve inheritance of insult: shame/Das affektive Erbe der Verletzung: Scham
Sara Ahmed, darum bemüht die Samen feministischer Geschichte aufzupicken (1), schreibt in ihrem neuen Buch „Living a Feminist Life“ (2017) im Kapitel „Lesbian Feminism“: „I drew on Eve Kosofsky Sedgwick´s discussion of how the potential of queer resides in how it is cleaved to everyday childhood scenes of shame.“ (224). Was für ein Satz, der, wüsste ich nicht, dass er von Sedgwick stammt, typisch Ahmed ist, dieser Wort-Jongleurin, Chiasmen-Schmiedin. Queer haust also dort, wo es den alltäglichen Kindheits-Szenen der Scham verhaftet bleibt. Queer ist, wenn wir dem Gefühl nachhängen, uns geschämt zu haben, der besten Freundin zu tief in die Augen geblickt zu haben, als kleine Butches ins Spitzenkleid gesteckt worden zu sein, wieder mal den Witz nicht verstanden zu haben und noch dazu als Spaßbremse bezeichnet worden zu sein. Das politische Potential von queer lauert in den vielen Beschämungen, die nicht überwunden werden, sondern die als Kletten an unseren vermeintlichen dicken Häuten darauf beharren, immer wieder danach zu fragen, was uns die Schamesröte ins Gesicht treibt. Queere Politiken der Infragestellung von Machtverhältnissen erscheinen also überhaupt erst aufgrund des affektiven Erbes der Verletzung (Ahmed 2017: 224), der Scham also.
Sollten wir vor diesem Hintergrund wirklich fordern, gegen die Scham anzuschreiben? Können wir nicht mit der Scham schreiben, durch die Scham schreiben? Weil sie uns heimsucht, vor allem wenn wir zu den Eltern fahren und mit unseren Füßen unter ihrem Tisch zu verlieren drohen, was wir dachten mittlerweile zu sein. Emanzipiert, selbstbestimmt, queer und feministisch, queer-feministisch. Aber werden wir nicht gerade auch dort, weil unser Lesbisch-Sein durch das Wiedererleben von Scham mobilisiert wird, zu radikalen Queer-Feminist*innen? Wir werden immer wieder neu zu Feminist*innen, die sich für Queerness, Trans* und Inter* einsetzen, weil wir als die Lesben, die wir einst waren, beschämt werden.
The power of shaming the structures of shame/Die politische Kraft, Strukturen der Scham zu beschämen
Das soll nicht heißen, dass wir uns wünschen sollen, die Strukturen beizubehalten, die dazu geführt haben, dass wir uns schämen, nur damit wir uns als Feminist*innen immer wieder neu erfinden können. Nein. Wofür ich jedoch plädiere, ist, Scham als Gefühl nicht voreilig zu überwinden. Vielleicht können wir das Gefühl, beschämt worden zu sein, in die politische Kraft verwandeln, Strukturen von Scham zu beschämen. Lasst uns nicht nur gute und schlechte Feminist*innen sein. Versuchen wir uns mal als Shame Feminists.
Becoming shamy. Blush the hush!/Schamvoll werden. Erröte das Schweigen!
Im Zentrum von Ahmeds Überlegungen steht neben der Figur der feminist killjoy, der feministischen Spaßverderberin, der Begriff der willfulness. Das Bild, das sie dafür gebraucht, ist der Zombie-Arm des ungezogenen Mädchens aus dem Grimm´schen Horror-Märchen „Das eigensinnige Kind“. Dieser Arm ragte, nachdem das Kind längst schon beerdigt war, immer und immer wieder aus dem Grab heraus. Für Ahmed ist das die Ontologie feministischer Eigensinnigkeit. Körperteile, die der Kontrolle entgleiten, bilden das Ergebnis, wie aber auch die Basis feministischer Wehrhaftigkeit: Becoming army!
Und was ist mit der Schamesröte? Ist sie nicht auch dieser nicht zu kontrollierende Effekt, dieser Gefühls-Zombie, der sich eigenwillig ausbreitet, der den Tabubruch, den Bruch der Anstandsgrenze manchmal zur eigenen Überraschung markiert? Die sich im Erröten manifestierende Unbeholfenheit ließe sich zu einer queeren Ethik umformulieren, schreibt Ahmed (182). Gründen wir doch eine army of shamers![2] Halten wir doch denen, die meinen, uns beschämen zu dürfen, unsere roten Gesichter entgegen und machen, dass sie sich unwohl in ihrer Haut fühlen. Bereiten wir ihnen die Scham, machen wir sie erröten, weil sie meinen, sich als unmarkierte Norm für nichts schämen zu müssen. Becoming shamy! Blush the hush!
An army of shamers: an arm so loose/Arme*e der Beschämenden
„An army of lovers cannot lose“, ist 1990 das Motto der US-amerikanischen Bewegung Queer Nation. Militanz und Intimität gehen Hand in Hand, um – wie Mike Laufenberg schreibt – im Kampf gegen queer-feindliche Verhältnisse eine gelungene Affektion zu erleben (2016: 62f.). Liebe als Quell der glückenden Revolte.
Bei der army of shamers geht es nicht um Scham als Ressource des Sieges. Die queere Ethik der Scham schafft stattdessen Raum für Körperteile (faces) und Körperreaktionen (the striking complexion), die dem Kommando nicht gehorchen. Körper bilden eine army by becoming army. Eine Armee voller Beschämer*innen folgt sinnbildlich gesprochen dem Kommando eigensinnig sich aufrichtender Arme, den pink anlaufenden Gesichtern. An army of shamers is when arms are so strikingly loose, when faces turn pink!