Im Rahmen der Tagung „Menschlich bleiben – Strategien im Umgang mit antifeministischen Angriffen auf Soziale Arbeit" des Gunda-Werner-Instituts am 08.06.2017 in der Heinrich-Böll-Stiftung in Berlin fand ein Workshop mit dem Fokus auf die Betroffenheit von Frauenhäusern von Angriffen statt. Eine PDF dieses Berichts finden Sie hier. Den Input von Jenny-K. Bauer als PDF finden Sie hier.
Frauen als Opfer von Gewalt
Im Rahmen der Tagung „Menschlich bleiben – antifeministische Angriffe auf die Soziale Arbeit“ des Gunda-Werner-Instituts am 08.06.2017 in der Heinrich-Böll-Stiftung in Berlin fand ein Workshop mit dem Fokus auf die Betroffenheit von Frauenhäusern von Angriffen statt. Frauenhäuser sind Orte der Zuflucht. Der Sicherheit. Orte ohne Angst. Sie helfen als anonyme Schutzräume Frauen, die von Gewalt betroffen sind, den großen Schritt aus einer häuslichen Gewaltsituation, einer Missbrauchsbeziehung oder anderen toxischen Lebensumständen in ein selbstbestimmtes Leben zu gehen. Unter dem Motto „Frauen helfen Frauen“ retten Frauenhäuser täglich die Leben von gewaltbetroffenen Frauen und ihren Kindern und die Frauenhausmitarbeiterinnen unterstützen sie bei Gerichtsverhandlungen und anderen Behördenterminen gegen die Täter*innen. In Deutschland gab es im Jahre 2015 rund 34.000 Frauen mit Kindern, die in ein Frauenhaus ziehen wollten. Nähere Informationen bietet die jährliche Statistik der Frauenhauskoordinierung zu Frauenhausbewohner*innen[i] sowie eine Sonderauswertung der Polizeilichen Kriminalstatistik zu Fällen häuslicher Gewalt von 2015[ii]. Genauere Statistiken zu den schutzsuchenden Bewohnerinnen sind aus gutem Grund nicht der breiten Öffentlichkeit zugänglich.
Eine Erhebung der Agentur der Europäischen Union für Grundrechte aus dem Jahr 2014[iii] offenbart jedoch noch frappierendere Zahlen: In Deutschland haben rund 35% aller Frauen seit ihrem 15. Lebensjahr durch ein*e Partner*in oder eine andere Person körperliche und/oder sexuelle Gewalt erfahren. Dieser deutsche Prozentanteil liegt damit noch über dem EU-Durchschnitt von 33%.[iv] Durch lähmende Angst vor weiteren Gewalttaten oder durch Mechanismen des „Victim Blamings“ („Opferbeschuldigung“), welche den Opfern von Gewalt die Schuld an ihrem Schicksal in die Schuhe schieben wollen („Du hast doch bloß einen zu kurzen Rock getragen!“, „Das wolltest Du doch sonst auch immer!“), schämt sich ein Großteil der gewaltbetroffenen Frauen und sieht von einer Kontaktaufnahme zur Polizei oder zu Schutzeinrichtungen wie Frauenhäusern ab. Nur 14% der Opfer in der gesamten EU nahmen Kontakt zur Polizei oder derartigen Einrichtungen auf, und das auch nur nach dem „schwerwiegendsten Vorfall“, welchem mit Sicherheit bereits andere „Vorfälle“ vorangegangen sind.[v] Es ist klar: Nur ein Bruchteil der Frauen, die von Gewalt betroffen sind und damit zumeist auch starke psychische Probleme[vi] davontragen, wenden sich überhaupt an Schutzeinrichtungen wie Frauenhäuser, und selbst für dieses Bruchteil von betroffenen Frauen und Kindern gibt es nicht genug Platz.
Wie werden Frauen und Frauenhäuser antifeministisch angegriffen und von wem?
Angeschlossen an diese ressourcenarme Lage, in der sich Frauenhäuser ohnehin befinden, nahm der Workshop ganz besonders das Thema von antifeministischen Angriffen auf Frauen und Frauenhäuser im Internet in den Fokus. Sowohl für den digitalen als auch den analogen Kampf gegen diese Angriffe wurden Strategien diskutiert und entwickelt. Beweggründe für Frauen, ein Frauenhaus aufzusuchen, bestehen nicht nur in dem Ausgesetztsein körperlicher und sexueller Gewalt, sondern ebenso psychischer Gewalt. Oft sind auch die Arten der Gewalt miteinander verknüpft. Das Internet ist dabei ein ganz zentraler Tatort, da hier Frauen nicht nur Mobbing und Drohungen durch die Menschen, die ihnen eventuell zuhause sowieso schon körperliche Gewalt antun, per Telekommunikation ausgesetzt sind, sondern auch gestalkt werden. Oftmals findet die Kontrollsucht des Partners vielerlei Ventile, wie zum Beispiel in sogenannten Nachrichten-„Bomben“ oder gar öffentlichen Diffamierungen der Frau im Netz. Gerade bei Beleidigungen oder anderweitig entwürdigenden Posts (z.B. pornographisches Material, welches die Frau zeigt, ohne ihre Einwilligung ins Internet zu laden) sorgt der schnelle Informationsfluss in sozialen Netzwerken dafür, dass viele Menschen im privaten Umfeld der Frau – oder sogar darüber hinaus – davon mitbekommen. Derartige Beiträge von den Betreiber*innen der Netzwerke verbergen zu lassen (löschen ist fast unmöglich), dauert oft mehrere Stunden oder gar Tage, sodass die Beiträge meist lange im Internet stehen und der Frau starken (psychischen) und sozialen Schaden zufügen. Diese Angriffe richten sich oft auch gegen Mitarbeiter*innen von Frauenhäusern oder Beratungsstellen, die aufgrund ihrer Tätigkeit im Internet antifeministisch diffamiert werden.
Selbsternannte „Männerrechtsorganisationen“ haben Frauenhäuser als Zielscheibe von Hass und gewaltvollen Angriffen auserkoren, da diese aus der Frauenrechtsbewegung mitentstanden sind und das Motto „Frauen helfen Frauen“ für Männerechtler*innen ein Beweis dafür ist, dass das politische System vom Feminismus „unterwandert“ sei. Dies mag nach einer sehr verqueren Ansicht einer Gruppierung unserer Gesellschaft klingen, insbesondere, wenn man die Zahlen der oben genannten Statistik noch einmal betrachtet. Man neigt dazu, diese „Beschwerden“ und diese „Kritik“ an Frauenhäusern, wie sie nur zuhauf auf diversen Seiten und Foren im Internet kursiert (auf dessen Verlinkungen hier voll und ganz verzichtet wird), einfach etwas lächerlich und realitätsfern zu finden, doch liest man über die Konsequenzen, die diesen Auffassungen folgen, bleibt einem direkt das Lachen im Halse stecken. „Maskulist*innen“ (ja, leider auch „*innen“), die ein autoritäres, patriarchales und daher auch meist rechtes Weltbild vertreten und Frauen als minderwertig betrachten, verbreiten daher auf einschlägigen Internetplattformen nicht nur Lügen über Frauenhäuser, ihre Mitarbeiterinnen und Bewohnerinnen, sondern stellen gar Adressen von Frauenhäusern online und rufen zum Angriff auf. Nicht selten kommt es dabei dann tatsächlich zu erneuten Gewaltverbrechen gegen die Frauen, die in den „geouteten“ Frauenhäusern Schutz suchten. So wurde zum Beispiel 2013 in Wien eine Frau, die von ihrem Ehemann in der Nähe ihres Frauenhauses abgepasst wurde, auf offener Straße in Anwesenheit ihres Kleinkindes niedergestochen.[vii] Nicht zu vernachlässigen ist auch das Wiederkehren des Lebens in ständiger Angst, da durch die Onlinestellung der Adresse des Frauenhauses die hohe Wahrscheinlichkeit gegeben ist, dass die gewaltbereiten Täter*innen den Frauen im Frauenhaus einen „Besuch abstatten“.
Ähnliche Ideen hat auch die neofaschistische Gruppierung „Identitäre Bewegung“, dessen Grazer Vertreter im letzten Jahr über Twitter dazu aufriefen, das Grazer Frauenhaus aufzusuchen. Sie verwendeten dabei zutiefst menschenverachtende Sprache. Selbst wenn keine Frau bei derlei Aktionen physisch angegriffen wird, verbreiten diese Drohungen selbstverständlich große Angst und versetzen die Mitarbeiterinnen des Frauenhauses in Alarmbereitschaft.[viii]
Nicht nur direkt am Ort des Frauenhauses findet psychosozialer Terror statt, sondern auch vor Gerichtsgebäuden, an wichtigen Verhandlungstagen für gewaltbetroffene Frauen (welche bei der drohenden Konfrontation mit dem Täter ohnehin bereits nervenaufreibend genug sind) – oder eben auch bei Veranstaltungen von Beratungsstellen zu Themen wie Trennung oder Sorgerechtsangelegenheiten.
Wehrhaft sein – Strategien im Umgang mit antifeministischen Angriffen auf Frauenhäuser
Doch wie kann man sich am besten dagegen wehren? Im Strategieteil des Workshops wurden verschiedene Szenarien durchgespielt – was zum Beispiel zu tun ist, wenn eine antifeministische Demo im Umkreis einer Veranstaltung, einer Beratungsstelle oder gar eines Frauenhauses angemeldet und durchgeführt wird, bzw. wie dies sogar verhindert werden kann:
Ist zum Beispiel bereits im Planungsprozess einer Veranstaltung klar, dass die Gefahr gegeben ist, antifeministische Gruppierungen könnten diese mit einem „Protest“ oder ähnlichem kontern, sollte man für einschlägige Plätze im Veranstaltungsumfeld einfach selbst Versammlungen bei der Polizei anmelden, sodass diese Plätze dann gegen die Antifeminist*innen blockiert sind. Sollte eine antifeministische Demo nun aber bereits angemeldet worden sein, sollte man sich in jedem Fall bereits um Polizeischutz bemühen, um die eigene Veranstaltung und die Teilnehmenden vor tätlichen Angriffen der antifeministischen Kundgebung zu schützen.
Des Weiteren kann es auch hilfreich sein, gegen geplante Kundgebungen von Antifeminist*innen – finden sie denn leider statt – Solidarität aus dem eigenen Kontext zu mobilisieren, die den Männerrechtler*innen entgegentreten. Um noch stärkere Belastung von Menschen aus der Sozialen Arbeit im Kontext von Auseinandersetzungen mit Antifeminist*innen zu vermeiden, kann für Unterstützung auch auf politisch agierende Aktionsbündnisse und Parteiorganisationen zugegangen werden. Ist die Situation gegeben, dass die Konfrontation mit den Antifeminist*innen eingegangen werden soll, empfiehlt sich auch die Strategie, diese unerkannt als Gegner*innen aufzusuchen und zu stören. Es ist tatsächlich ratsam, sich „kultureller Grammatik“ zu bedienen und ganz einfach Verwirrung zu stiften, indem z.B. an falschen Stellen der antifeministischen Kundgebung geklatscht wird. Verwirrung stiften lässt sich allerdings auch auf dem digitalen Weg, indem beispielsweise in einschlägigen Foren gezielt Falschmeldungen über Veranstaltungsort oder –zeit gestreut werden. Das ist natürlich langfristig keine Lösung gegen antifeministische Bestrebungen, kann aber in akuten Situationen kurzfristig hilfreich sein.
Für den Umgang mit derlei antifeministischen Veranstaltungen könnte man auch eine kleine Broschüre als Handreichung für Sozialarbeiter*innen erstellen, in denen „good practice“ – Beispiele vorgestellt werden und konkrete Strategien ausformuliert sind. So kann auch Angst und Nervosität im Kontext feindlicher Angriffe im Kolleg*innenkreis offen thematisiert werden.
Einig waren sich alle Workshopteilnehmenden (die auch fast alle in der sozialen Arbeit tätig waren) darin, dass das Auffahren umfangreicher Maßnahmen und Strategien, die es bedarf, um Antifeminist*innen abzuschütteln, in den ohnehin unterbesetzten Einsatzstellen der Sozialarbeit nahezu unmöglich ist. Für das Erreichen eines Zustandes, in welchem Frauenhäuser und Beratungseinrichtungen wirklich wehrhaft sind, braucht es zusätzliche Stellen im sozialen Bereich. Ganz besonders auch die Öffentlichkeitsarbeit von Frauenhäusern muss dabei ausgebaut werden, um sich noch gezielter gegen digitale und auch analoge Angriffe wehren zu können und auch darauf aufmerksam machen zu können. Dies wäre eine wichtige Forderung an die Geldgeber*innen.
Am wichtigsten jedoch ist die Vernetzung mit Menschen und Organisationen, die solidarisch mit einem stehen: sei es der gezielte Kontakt zu feministischen Journalist*innen, die über Angriffe o.ä. berichten oder auch die Bündnisarbeit mit feministischen (Männer-)Organisationen, die sich kritisch mit Männlichkeit auseinandersetzen und gegen Sexismus kämpfen. Frauen und Frauenhäuser brauchen Solidarität.
[ii]https://www.bka.de/DE/Presse/Listenseite_Pressemitteilungen/2016/Presse2016/161122_Partnerschaftsgewalt.html
[iii]Gewalt gegen Frauen: eine EU-weite Erhebung. Ergebnisse auf einen Blick: http://fra.europa.eu/de/publication/2014/gewalt-gegen-frauen-eine-eu-weite-erhebung-ergebnisse-auf-einen-blick
[iv] Vgl. Ebd., S.19.
[v] Vgl. Ebd., S.24.
[vi] Vgl. Ebd., S.23.