Ein Gedicht an der Fassade der Alice Salomon Hochschule in Berlin sorgt für Aufregung. Das Feuilleton wittert Genderwahn im Endstadium. Die Hochschule macht nun einen Ideenwettbewerb – im Umfeld einer Debatte, die leider keine Debatte ist. Anmerkungen zum Gedicht-Konflikt an der Alice Salomon Hochschule.
Alleen und Blumen und Frauen und ein Bewunderer. Das ist die Kurzfassung des Gedichts von Eugen Gomringer an der Fassade der Alice Salomon Hochschule in Berlin-Hellersdorf. Die Alleen und Blumen und Frauen ergötzen den Bewunderer. So what?, fragt sich das Feuilleton und wittert Genderwahn im Endstadium, wenn „verrückte Studenten“ das Gedicht als sexistisch bezeichnen und seine Entfernung fordern. Die Hochschule macht nun einen Ideenwettbewerb – im Umfeld einer Debatte, die leider keine Debatte ist.
Zum einen herrscht ein merkwürdiger Autoritarismus auf mehreren Seiten. Auf der einen sind Studis, die ein Gedicht gleich mal entfernen wollen, weil sie es problematisch finden. Das, mit Verlaub, ist keine Einladung zur Diskussion, sondern zu einem Aufruhr. Und den haben die Studis dann auch bekommen. Aber die Reaktionen waren ebenso erschreckend. Den Hochschulgremien wird nämlich nun mehrfach von Journalist*innen und anderen „Einknicken“ vor der Studis vorgeworfen, der Rektor hätte denen gefälligst Mores und die gebührende Ehrfurcht vor dem Kunstwerk beizubringen. Dass hier kein Gedicht verboten werden soll sondern lediglich über die Außengestaltung einer Hochschule gestritten wird, geriet aus dem Blick. Jedes Theater entscheidet, welches Stück es spielt oder nicht spielt und jede Hochschule darf natürlich über ihre Wandgestaltung entscheiden. Und seit wann sind wir kollektiv gegen Demokratie an Hochschulen?
Dann wird vielfach die Bedeutung des Dichterfürsten Gomringer betont, Vater der konkreten Poesie. Die Kritik an seinem Gedicht wird wie ein Sakrileg verhandelt. Das zeugt von einem autoritären Begriff eines Kunstwerks, das unter dem großen und weiten Mantel der Kunstfreiheit offenbar gar nicht erst zur Diskussion gestellt werden darf. „Falsch“ nannte Nora Gomringer gar die Interpretation der Studis. War ein Kunstwerk bisher nicht interpretationsoffen?
Zum dritten herrscht allgemeine Geschichtsvergessenheit. Dass unser Kunstkanon voller „bewunderter“ Frauen ist, die außer der Tatsache, dass sie schön, sexy und weiblich sind, nichts beitragen zur Kultur, wird kaum thematisiert. Kultur ist der Reim, den sich die Gesellschaft auf sich selbst macht, heißt es. Frauen trugen zu diesem Reim nichts bei. Sie repräsentierten bloß, in vielen Fällen, wie Literaturwissenschaftlerin Barbara Vinken anmerkte, repräsentierten sie „die Schönheit“. Das war der Reim auf eine Gesellschaft, in der Frauen Jahrhunderte lang keinen Zugang zu höherer Bildung hatten, an den Kunstakademien nicht zugelassen waren, ihnen grundlegende Rechte fehlten (Beispiel: das Grundrecht auf körperliche Unversehrtheit kam erst 1997 mit dem Verbot der Vergewaltigung in der Ehe) Die Literaturwissenschaftlerin Silvia Bovenschen brachte diese Merkwürdigkeit der gleichzeitigen Vergöttlichen und Erniedrigung der Frauen in ihrem Standardwerk „Die imaginierte Weiblichkeit“ auf den Punkt: „Gaia am Spülstein“.
Und schließlich fehlte bisher jede Einbettung in den Kontext. Dass die Alice Salomon-Hochschule überwiegend Frauen für soziale Berufe ausbildet, etwa. Hier sollen Frauen qualifiziert werden und dann: Handeln. Arbeiten. Weg vom Spülstein. Reell werden. Und hier hat man den Anspruch, sensibel mit Geschlechterfragen umzugehen. Da kann man die Gendergeschichte nicht ganz außer Acht lassen.
Dass die Frau arrangiert und behandelt wird, und der Mann das tut, wie mir jedem beliebigen anderen Objekt, ist seit vielen Jahrzehnten Gegenstand feministischer Kritik. Diese Kritik wird ignoriert. Auch Eugen Gomringer selbst hat von ihr offenbar noch nie gehört, wenn er betont, er habe natürlich niemals im Sinn gehabt, Frauen zu verletzen. Noch heute erfreue er sich fast jeden Tag an Alleen und Blumen und Frauen!
Da würde die Debatte dann gerade erst anfangen. Heute sind die Diskriminierungen der Frauen merklich zurückgegangen, ihre Rechte in vielen Fällen hergestellt. Frauen produzieren Kunst, stellen dem männlichen Blick einen weiblichen gegenüber und viele Künstler*innen lösen diese Geschlechterfixierungen ganz auf. Wie gehen wir also heute mit einem männlichen Blick um, der von der Vergangenheit geprägt ist?
Dann könnte man reden. Und auch darüber, ob der verdinglichende Blick tatsächlich Vergangenheit ist. Ob nicht die Frau als Objekt heute immer noch omnipräsent ist. Und was das tatsächlich mit sexuellen Übergriffen zu tun haben könnte, die kaum wahrgenommen werden, es sei denn, sie gingen von den „unzivilisierten Anderen“ aus. Gerade hat die AfD damit ihren Einzug in den Bundestag gesichert.
Bisher war die Debatte keine. Alle haben Dampf abgelassen. Studierende, die sich der Verletzungen tausender Jahre bewusst wurden – und rabiat vorpreschten. Und die Vielen, die sie daraufhin für verrückt erklärten. Erledigt. Vielleicht können wir jetzt anfangen, über Argumente zu diskutieren?