Mit dem Versprechen maßgeschneiderter Gesundheitsanalysen und verbesserter Kontrolle über den eigenen Körper sind es vor allem Fitness-Apps, Menstruations- und Fruchtbarkeitsapps die das “Quantified Self” en vogue gemacht haben. Bei den Tracking-Apps geht es eher um Kaufkraft und Daten, denn die Lösung von Problemen der Gesundheitsversorgung oder -aufklärung.
Mit dem Versprechen maßgeschneiderter Gesundheitsanalysen und verbesserter Kontrolle über den eigenen Körper sind es vor allem Fitness-Apps, die das “Quantified Self” en vogue gemacht haben. Kurze Zeit später kamen Apps zur Beobachtung des Menstruationszyklus, Fruchtbarkeit und sexueller Gesundheit auf den Markt. Das Interesse von Unternehmen an der Messung, Verarbeitung und Nutzung von Körperdaten ist ungebrochen. Auch deshalb orientieren sich die Angebote mobiler Tracking-Apps vor allem an der Kaufkraft ihrer Zielgruppen statt an tatsächlichen Problemen der Gesundheitsversorgung oder -aufklärung.
In den Büroräumen der App-Unternehmen werden heute die Normen für gesunde Körper und die Maßstäbe für ausgewählte Körperfunktionen definiert. Was dabei die Grundlagen sind und ob diese sich durch wissenschaftliche Studien legitimieren lassen, bleibt dabei meist unklar. Dabei sind es diese Grundlagen, die die Idee von dem prägen, was laut der App dann als gesund oder normal gilt. Die Daten der Nutzenden werden mit diesen hauseigenen Standards abgeglichen wie mit einem Highscore. Kund*innen müssen sich daran orientieren, messen lassen und ihre Körper in diesen kapitalistischen Normenkatalog zwängen, sonst funktionieren die Apps nicht oder nur eingeschränkt[1]. Motivierende Sprüche und tägliche Reminder fordern dazu auf, sich mit den Apps zu beschäftigen und sie mit immer neuen Daten zu füttern, wie ein Tamagotchi.
Zyklustracking mit dem Handy ist für die Nutzenden praktisch und unkompliziert, die Apps sind meist kostenlos und schnell auf dem Gerät installiert. Anders als bei Schrittzählern mit smarten Uhren und Fitness-Apps läuft Zyklustracking mit dem Handy in drei Schritten ab: Erst muss der Menstruationszyklus beobachtet, dann in der App gespeichert und im Anschluss dann von entsprechenden Algorithmen verarbeitet und ausgewertet werden. Mit dieser Dreiteilung von Beobachten, Speichern und Auswerten lässt sich der Anteil der Nutzenden an diesem Prozess veranschaulichen. Bis zur Eingabe und Speicherung der Daten in der App liegt die Kontrolle über die Daten noch bei den Nutzenden. Danach teilen sich die Nutzenden die Interpretationshoheit der Daten mit der jeweiligen App.
In der Interaktion zwischen Fingerspitze und Telefon-Display, zwischen Mensch und Maschine werden bei der Dateneingabe normierende Tatsachen geschaffen. Denn hier verschwinden die Ungenauigkeiten, von teils subjektiven Körperempfindungen und relativen Körperwerten, und lösen sich in statistisches Wohlgefallen auf. Es findet eine Übersetzung qualitativ “variabler” Daten in quantitativ “robuste” Daten statt, die für den Computer verständlich sind. Der Wunsch nach eindeutigen Daten und objektivem Wissen über komplexe Körper kommt hier besonders deutlich zum Ausdruck. Viele Apps verschleiern sowohl den Übersetzungsprozess von variabel zu robust, als auch den damit einhergehenden Informationsverlust zur Relativität einiger Daten oder zu ihrem spezifischen Kontext. Auf diese Weise kommen vermeintlich exakte teilweise bis auf die Nachkommastelle genaue Prognosen zu Fruchtbarkeit zu Stande. Grundlage dafür ist bei der überwiegenden Mehrheit der Zyklus-Apps die wissenschaftlich längst überholte Kalendermethode.[2] Aus der Verantwortung z.B. für ungewollte Schwangerschaften stehlen sich die Apps und dessen Algorithmen bislang noch erfolgreich.[3] Denn auch wenn Apps falsche Fruchtbarkeits-Vorhersagen treffen, sichern ihnen die allgemeinen Geschäftsbedingungen eine große Fehlertoleranz zu. Verlässliche Qualitätskontrollen für Zyklus-Apps oder unabhängige Prüfstellen wie bei der Pille oder Kondomen gibt es nicht.
Selbstbeobachtung als Emanzipation?
Selbstbeobachtung von Körper und Gesundheit birgt das Potenzial emanzipativer Selbsterfahrung. Gerade im oft tabuisierten Bereich der menstruellen und sexuellen Gesundheit besteht ein enormes Bedürfnis nach mehr Aufklärung und einer besseren Gesundheitsversorgung, insbesondere auch für Betroffene von Krankheitsbildern wie z.B. Endometriose. Wenn außerdem der Zugang zu risikoarmen Verhütungsmitteln erschwert ist, steigt das Interesse nach kostenfreien Apps, die scheinbar präzise und individualisierte Fruchtbarkeits-Vorhersagen anstellen. Der “one-size-fits-all” Ansatz dieser Apps bezüglich Nutzungsziel, Körpernorm, Alter, aber auch kultureller und rechtlicher Gegebenheiten kann all den unterschiedlichen Anliegen jedoch nicht gerecht werden.
Darüber hinaus wirft die permanente Überwachung der Unternehmen die Frage auf, wie viel Privatsphäre für eine selbstbestimmte App-Nutzung überhaupt möglich ist. Gesundheitsdaten werden live aus den Schlafzimmern in die Serverräume der Unternehmen und Blutströme vom Klo direkt in die Rechenzentren gefunkt. Hier spielen Datenschutz und Datensicherheit der Nutzenden oft eine untergeordnete, meist gar keine Rolle. Die kleingedruckten Geschäftsbedingungen räumen ihren Unternehmen ein großes Maß an Rechten ein, wenn es um den Umgang mit den Daten geht. In dem Zusammenhang ist es nur folgerichtig und im Interesse der Unternehmen, wenn ein selbstbestimmter Export der eigenen Daten umständlich oder unmöglich ist, um die User*innen so an die eine App zu binden. Ein Recht auf die Daten scheinen in erster Linie die Anbieter*innen der kommerziellen Apps selbst zu haben.
Die standardmäßige Synchronisierung der intimen Gesundheits-Daten mit den Servern der Unternehmen lässt sich als kommerzielle Überwachung deuten. Zusätzlich ermöglichen nahezu alle gängigen Apps das Tracking privater Informationen durch Dritte wie Facebook und Google[4]. An den Schaltstellen der App-Unternehmen werden also riesige Datenschätze über die Gesundheit der App-Nutzenden, aber auch viele weitere Meta-Informationen zum Nutzungsverhalten angehäuft. Noch haben Krankenkassen auf diese Daten keinen Zugriff. Die Höhe der Beiträge oder den Umfang an Leistungen würden Krankenkassen sicherlich gern an die Informationen aus Gesundheits-Apps knüpfen. Sexuelle Vorlieben oder die Schwangerschaft einer Nutzenden in Verbindung mit der Handynummer oder anderen Kontaktdaten sind aber auch für Werbefirmen Gold wert.
Denn finanzieren tun sich diese Apps meist durch Werbung und verfolgen mit der Weitergabe von Informationen über Nutzende an interessierte Branchen ihre Geschäftsziele.
Wenn wir die Kosten-Nutzen-Rechnung von Tracking-Apps nur auf individueller Ebene anstellen, dann finden wir mit etwas Glück und regelmäßigen Zyklen die richtige Antwort auf eine falsche Frage. Um also herauszufinden wie sinnvoll oder riskant, wie praktisch oder einschränkend die App-Nutzung zum Zyklustracking ist, muss klar sein wer sie nutzt und mit welchem Ziel. Mit der Ökonomisierung und Datafizierung des Gesundheits-Bereichs und der enormen Informationsmacht einzelner weniger Unternehmen müssen wir uns als Gesellschaft beschäftigen. Denn es braucht mehr Technik-Transparenz und aufrichtige Algorithmen, die auf die Begrenztheit ihrer Aussagekraft hinweisen oder zu vage Aussagen gar nicht erst treffen. Es muss klar sein, das Technologien uns Menschen, der Gesellschaft und unserer Umwelt dienen. Sie soll uns unterstützen, unser Leben vereinfachen und verbessern. Es liegt an uns als Individuen, aber auch als Gemeinschaft, diese Forderungen zu formulieren und Technologien an diesem Maßstab zu messen.