Ich lebe an einem Ort, wo ich trans, queer, kinky, poly, links, Mensch of Color, Elternteil, Aktivist, Akademiker und Künstler sein und mit all diesen Eigenschaften Community finden kann, die mich im Großen und Ganzen versteht. Intersektionalität ist hier kein akademischer Begriff, sondern ein Konzept, das auch von Menschen, die nie an der Uni waren, benutzt und verstanden wird. Solche Community gab es nicht immer und überall.
Queer, trans und of Color zu sein heißt oft, mutterseelenallein zu sein. Vor allem für Leute, die in den 1990ern und frühen 2000ern ihr(e) Coming Out(s) hatten. Leute wie mich. Damals waren People-of-Color-Räume zumeist hetero oder vehement cis und defensiv gegenüber Transidentitäten, die sie genauso weiß interpretierten. Das wird in heutigen Diskussionen über Archive, Vorfahren und intergenerationale Beziehungen gerne vergessen. Wir waren einfach verdammt wenige, und Verbündete gab es kaum. Auch queere Räume boten keine Alternative, da sie brutal weiß und damit beschäftigt waren, mit Rassismus in Politik und Medien ihre Karriere zu machen. Oft war es daher besser, die eigenen Kreise klein zu halten. In London hatte ich zwei Freunde, die auch trans und of color waren. In Berlin einen. Unsere Beziehungen waren beständiger Fetischisierung und dem Prinzip von Teile und Herrsche ausgesetzt. Ich wundere mich manchmal, dass unsere Freundschaften überhaupt so lange existieren konnten. Um Community zu finden, musste man viel reisen, und das sind wir alle. Entweder mit Sack und Pack – so wie ich von NRW nach London, Berlin und schließlich Toronto. Oder in Gedanken, tief in Büchern, Zines und später Blogs versunken. Bücher wie This Bridge Called My Back, Entfernte Verbindungen, Sister/Outsider, Farbe bekennen, Women, Race and Class, Miscegenation Blues und Q&A: Queer and Asian in America schafften für mich Welten, die es um mich rum nicht gab und teilweise immer noch nicht gibt. Um Community zu finden, braucht man oft viel Vorstellungskraft. Die meisten Autor*innen habe ich im wirklichen Leben nie kennengelernt, und wenn doch, waren manche dieser Begegnungen enttäuschend. Doch eine Zeit lang gaben mir ihre Worte Gesellschaft und nährten mich in Fasern und Facetten, die sie vielleicht nicht voraussehen konnten.
Die Ehre, Kimberlé Crenshaw persönlich zu begegnen, hatte ich erst einmal, und zwar auf dem von Cengiz Barskanmaz 2012 organisierten Critical Race Theory Europe Symposium. Teil meiner „imaginierten Community“ (ein Ausdruck, den Ben Anderson in einem ganz anderen Zusammenhang prägte) wurde sie dagegen bereits seit Ende der 1990er in London. Eine Frau of Color, die den einzigen Gender-Kurs mit mir besuchte, erwähnte sie im Fahrstuhl. Auf der Leseliste war sie nicht, und auch in den anderen Londoner Gender-Studies-Klassenzimmern, die ich später als Magister-Studi und Doktorand besuchte, wurde ihr Name kaum erwähnt. Seltsam, wenn man bedenkt, wie berühmt sie schon damals war! Zugleich erstaunt es nicht. Es war zur Zeit der Millenium-Wende, und der Backlash gegen Schwarzen Feminismus im Namen von Post-Strukturalismus und Post-Modernismus war im vollen Gange. Audre Lorde wurde noch unterrichtet, aber mit dem Zusatz: „Jetzt machen wir die Dinge anders“. In der Woche darauf standen dann auch Butler und andere weiße Queer-Theoretiker*innen auf der Leseliste, die Konzepte wie Intersektionalität und Positionalität als überholt, essentialistisch, statisch, binär und identitär diskreditierten. Gerade Queers of Color wurden oft als Beispiele vorgeführt, dass jede Identität „zwangsweise“ Ausschlüsse produziert (die eigene Komplizenschaft und Unfähigkeit zu teilen, hat damit scheinbar nichts zu tun!). Für die theoretischen und politischen Interventionen von mehrfach marginalisierten Menschen gerade auch in Europa interessierte sich also kaum jemand, und auch wir brauchten eine Weile, einander schätzen zu lernen. So meinte auch die weiße queere Herausgeberin eines Artikels, den ich Anfang der 2000er zum Thema Intersektionalität schrieb, das Wort gäbe es nicht auf Deutsch. Ein paar Jahre später landete es dann auf ihrer Webseite.
Crenshaws Schreiben fand ich schließlich auf eigene Faust. Ihr folgendes Come-Back zum vermeintlich vulgären Konstruktionismus der dominanten anti-Identitären ließ mein Herz höher schlagen:
At this point in history, a strong case can be made that the most critical resistance strategy for dis-empowered groups is to occupy and defend a politics of social location rather than to vacate and destroy it.
Später gab Crenshaw mir und meinen Studierenden mit ihren Gedanken zu Gewalt Community. Ihre Texte zu häuslicher Gewalt gegen cis-Frauen of Colour und Migrantinnen enthielten Argumente, die wir auch auf homophobe und transphobe Gewalt gegen People of Colour erweitern konnten. So waren Crenshaws Texte auch die ersten, die ich las, die den Rückgriff der weiß dominierten Frauenbewegung auf therapeutische und polizeiliche Maßnahmen kritisierten. Vor allem bestätigte sie für uns, dass Menschen, deren Aufenthaltsstatus von ihre*r Partner*in abhängt, und Schwarze Menschen, deren Communities ständiger Polizeigewalt ausgesetzt sind, gute Gründe haben, die Polizei nicht zu rufen – und dass viele Opfer von Gewalt weitere Gewalt erfahren, wenn die Polizei kommt. Crenshaw nährte somit auch unsere Suche nach Alternativen zum rassistischen Staat und den weiß dominierten Bewegungen, die ihn stützen. Gerade auch die Erfahrungen Schwarzer Transfrauen wie CeCe MacDonald, die eingesperrt wurde, nachdem sie sich gegen ihre Angreifer/innen verteidigte, und hinter Gittern zu einer führenden Gefängnis-Abolitionistin wurde, zeigen, dass unser Verständnis von Intersektionalität und die Politiken von queeren und transgender Schwarzen und indigenen Menschen und Menschen of Color einander dringend brauchen.
Als nicht-Schwarze Person stehe ich in der Schuld von Kimberlé Crenshaw und anderen Schwarzen Feminist* innen, die uns Konzepte wie Intersektionalität gegeben haben. Auch weiß ich zu schätzen, wie konkret und nachhaltig Crenshaw intersektionale Wissensformationen im deutschsprachigen Raum unterstützt. Anders als viele nordamerikanische Theoretiker*innen ist sie keine Fly-in-Akademikerin, die in Berlin Urlaub macht und dann wieder nach Hause zurückkehrt. Ihre Präsenz am von Emilia Roig gegründeten Center for Intersectional Justice in Berlin, einem wichtigen Ort, dessen Aktivitäten Menschen of Color aller Sexualitäten und Geschlechtsidentitäten dienen, attestiert dies.