Reflexion über Migration und feministisches Leben

"Still sein, wirklich präsent werden, mit dem Herzen zuhören, mich freuen, dass wir nicht gleich sind. Ich könnte mich freuen, dass wir einander ertragen, ein Mosaik sein können..."

„Intersektionalität wurde also einfach zum Rahmen für Erfahrungen, die im bisherigen Denken übersehen worden waren.“ Kimberlé Crenshaw

Meine Arbeit mit Intersektionalität bezieht sich unmittelbar auf meine Erfahrungen als Schwarze afrikanische Migrantin und Feministin, unterwegs zwischen Kamerun und Deutschland, wo rassistischer Kapitalismus jeweils unterschiedlich funktioniert. Intersektionalität erinnert uns daran, dass nicht alle Feminist*innen gleich sind. Was uns als Schwarze Feminist*innen anders macht, ist wichtig für die Erklärung, wie wir feministischen politischen Widerstand „machen“ und weshalb Bündnisse manchmal schwer aufrecht zu erhalten sind.

„Wenn wir nicht intersektional sind, werden einige von uns, die am verletzlichsten sind, durch die Maschen fallen.“ Kimberlé Crenshaw

Ich reflektiere über die Maschen in Deutschland; das Geflecht aus Grenzpolitik, Prekarisierung, Körperpolitik, muttersprachliche Kompetenz und Klasse; über N’deye Marieme Sarr (sie), Christy Schwundeck (sie) Oury Jalloh (er) und Ousmane Sey (er), alles verletzliche Menschen, die im Kontakt mit der deutschen Polizei zu Tode gekommen sind.

Ich reflektiere über Räume für radikale Veränderung, die klein und bedroht sind; über die verletzlichsten Menschen in Kamerun; über arme, Trans, nicht-binäre und queere Menschen, aktiv in zerbrechlichen Bündnissen und offenen Konflikten. Darüber, wie in Kamerun um die grundlegende Infrastruktur gekämpft werden muss, um Straßen, sauberes Wasser, Strom, Schulen und Krankenhäuser, und wie diese Infrastrukturen organisiert sind. Über Trans, Nicht-binäre und Queere, die sich verstecken müssen und von Arbeit und Familie ausgeschlossen sind. Fragmentierte Körper und Schicksale.

Unterschiede machen stumm. Tatsächlich bewegt sich in Kamerun nichts ohne ––. Reflexion über die Arbeit nicht anerkannter Trans, nicht binärer und queerer Menschen. Über Rassismus als Folge, nicht als Ursache. Über Sexismus und Cissexismus als Entscheidung. Dominanz als Entscheidung.

Weiter reflektiere ich über Möglichkeiten von Emanzipation, kollektive Heilung in der Gemeinschaft, das Aufgeben und Übernehmen von Macht in Gemeinschaften, Positionsverschiebungen in Gemeinschaften. Über das Aufgeben von Dominanz in unseren Gemeinschaften. Die intersektionale Perspektive hilft, Unterschieden Raum zu geben, zeigt Beispiele von Menschen, denen es gut geht, interdependente Beziehungen, das ganze Spektrum an Ausdrucksmöglichkeiten von Körper, Sexualität, Gender und Beziehung.

Und wenn ich meinem Selbst wieder Raum geben könnte – sehen könnte, was ich falsch gemacht habe, ohne zusammenzubrechen oder Vergebung zu fordern, wenn ich Verantwortung übernehmen könnte für Verletzungen und Wiedergutmachung, vielleicht sogar so, dass die Beziehung bestehen bleibt, wenn die verletzte Person das möchte.

Ich könnte die Schriftstellerin Valerie Brown reflektieren: nicht stark sein, die ganze Palette an Emotionen annehmen, neu lernen, „was menschlich sein heißt; was es heißt, auszuruhen, zu pausieren, zuzuhören, miteinander zu sprechen, abwechselnd zu reden, uns selbst zu nähren und Unbequemes zu integrieren“.

Ich könnte das radikalste, genährte Selbst reflektieren, erinnern beim Erheben meiner Stimme, andere Stimmen verstummt. Still sein, wirklich präsent werden, mit dem Herzen zuhören, mich freuen, dass wir nicht gleich sind. Ich könnte mich freuen, dass wir einander ertragen, ein Mosaik sein können aus sich wandelnden und erneuernden Kollektiven, zu Gemeinschaften zusammenfinden mit unseren verschiedenen Körpern, Bedürfnissen und Gefühlen. Überquerungen.

„… gesellschaftliche Macht haftet Menschen an aufgrund ihrer Position in einer Gesellschaft, die festgelegt hat, dass bestimmte Gruppen im Lauf der Geschichte Anspruch auf weniger haben, weniger wert und eigentlich entbehrlich sind.“ Kimberlé Crenshaw

Migration ist ein gemachter Unterschied. Migrant*innen sind Gestrandete und Zerbrochene, eine Dazwischen-Identität, geprägt vom Bindestrich.

Viele Migrant*innen suchen nach Zugehörigkeit; zu einem starken Land, einer starken Gemeinschaft, Gruppe oder Bewegung. Ich lasse lieber das Stabile los, nehme einen anderen Weg und erwäge fließende Formen der Zugehörigkeit außerhalb starrer Kategorien. Und damit meine ich nicht den globalen Lebensstil der Ausgewanderten. Statt zu versuchen, bewusst geschaffene Unterschiede zu überwinden, konzentriere ich mich lieber darauf, was Menschen in die Migration treibt; auf Körper, die seit mehr als fünfhundert Jahren verdunkelt, begrenzt, reproduziert, zum Schweigen gebracht und konsumiert wurden. Was wäre, wenn wir durch Berücksichtigung des spezifisch Lokalen und des Grenzüberschreitenden unsere Beziehung zum Nationalstaat neu aushandeln könnten?

Wenn wir uns nach innen wendeten, zueinander, zu all den verschiedenen Erfahrungen, die in uns leben? Das ist beängstigend. In Gemeinschaften verletzen wir einander. Unterschiede irritieren. Keine Gemeinschaft vertritt die ganze Wahrheit all ihrer einzelnen Mitglieder. Mit all den Aspekten wie genderspezifischer Ausdruck, Hautfarbe, geschlechtsspezifischer Ausdruck, Klasse, Staatsbürger*innenschaft erscheint es unmöglich, wahrhaftig, ganz und in Gemeinschaft zu leben. Auf die richtige Art Schwarze queere Feministin zu sein. Vollkommen zu sein. In Beziehungen zwischen Aktivist*innen gibt es wie bei allen Beziehungen Momente der Gemeinsamkeit, und dann habe ich wieder das Gefühl, wir reden aneinander vorbei, verlieren die Verbindung. Und so höre ich auf zu sprechen, weil ich Angst bekomme, gehe weg, weil ich nicht ohne Angst sprechen kann. Auch wenn Worte nur eine Art von Gewalt sind. Unterschiede machen einsam.

Die meisten Menschen haben mindestens einmal schmerzhafte Erfahrungen gemacht beim Versuch, mit Unterschieden in Gemeinschaften umzugehen. Eine einzige Verletzung kann so blockieren, dass das Kollektiv vergessen ist. Was wäre, wenn wir uns auf das Halten von Beziehungen konzentrierten. Im Bündnis mit nicht-binären, Trans und queeren Menschen. Wissend, welche Gewalt durch das Definieren von „anderen“ entsteht, erwarte ich nicht, dass alle genau die gleichen Worte gebrauchen. Aber kann ich trotzdem deutlicher werden? Kann ich lernen, meinen Teil der Verantwortung für die Unterdrückung anderer anzuerkennen? Ja. Unterschiede machen frei.

Ich laufe nicht Gefahr zu sterben, wenn ich Geschlechterbinarität, Armut oder Krieg entkomme. Wir sind nicht alle gleich. Das am stärksten Marginalisierte mutiert. Unterschiede machen kompliziert.

Intersektionalität zeigt, wo Codes in Kultur, Sprache(n), Körperdarstellung helfen, Schaden abzuwenden. Arbeit, Wohnung, Freund*innen, Selbstbestimmung, Mobilität, Macht. Begrenzt, angefochten, bedroht; trotzdem habe ich etwas Macht. Der nähere Blick enthüllt Hierarchien, Schaden für die stärker Marginalisierten, wie ich an einer Stelle Vorteil ziehe; welchen Einfluss ich an anderer ausübe. Dass ich nicht in einem theoretischen Raum außerhalb des Rassenkapitalismus stehe. Ich baue Mist. Ich verhüte nicht immer Schaden für mich oder andere. Es kommt darauf an, zu reflektieren, es besser zu machen und dasselbe von anderen zu verlangen. Reflexion: Zurückwerfen von Licht, Wärme oder Klang von einem Körper oder einer Oberfläche, ohne Streuung. Zugehörigkeit, Freude, Komplexität, sich entwickelnd, schmerzhaft und wahr.