Es ist ungemütlich

Feministischer Zwischenruf

Die Ereignisse um die Frankfurter Buchmesse haben wieder gezeigt: Eine diskriminierungskritische Haltung muss konsequent weitergeführt werden in aktive Verbündetenschaft.

Zitat MLK "True peace is not merely the abscence of tension it is the presence of justice" auf einer Wand

“Das Paradox ist, dass wir hier [...] einer Schwarzen Frau den Friedenspreis verleihen, aber Schwarze Frauen auf genau dieser Buchmesse nicht willkommen waren. Und ich sage ganz klar ‘nicht willkommen waren’, weil nicht dafür gesorgt wurde, dass sie sich sicher fühlen." Mit diesen Worten unterbrach die Grünen-Stadtverordnete Mirianne Mahn  die Rede des Oberbürgermeisters von Frankfurt am Main bei der Verleihung des ‘Friedenspreises des Deutschen Buchhandels’ im Oktober 2021. Mahn macht damit auf den Umstand aufmerksam, dass die Frankfurter Buchmesse in diesem Jahr erneut rechten Verlagen und ihren Anhänger*innen Räume zum Vernetzen, Radikalisieren und dem Verbreiten rechter Ideologien bot. Verschiedene Autor*innen, darunter Schwarze Autor*innen und Autor*innen of Color, zogen daraufhin ihre Teilnahme zurück, um ihre eigene Sicherheit nicht zu gefährden. Die Organisator*innen "bedauerten"  die Absage der Autor*innen zwar genauso wie das Fehlen der "Stimmen gegen Rassismus und ihr Eintreten für Diversität", bezogen sich mit ihrer Toleranz gegenüber rechten Verlagen aber auf eine vermeintliche Meinungs- und Publikationsfreiheit – auf Kosten marginalisierter Menschen und ihrer Perspektiven. Eine Gelegenheit mehr, um über Allyship (Verbündetenschaft) näher nachzudenken und der Frage nachzugehen, wie Betroffene unterstützt und ihre Handlungsspielräume geschützt werden können. 

Klar ist: Allyship findet außerhalb von Komfortzonen statt und muss daher für Privilegierte unbequem sein. Mithilfe des Active Ally of Inclusion Model der Autorin Dr. Poornima Luthra lässt sich Allyship in drei zentrale Bestandteile teilen: Wissen, Haltung und Verhalten.

Allyship setzt Wissen voraus

Das Wort Diversität ist seit Jahren in aller Munde, auch im Literaturbetrieb. Doch es wird oft ausgeklammert, dass mit Diversität auch die Verantwortung der Institutionen einhergeht, darunter Verlage, Agenturen oder Buchmessen, den Betrieb sicher für die Autor*innen zu gestalten. Müssen Autor*innen hingegen davon ausgehen, dass sie rechten Attacken und Morddrohungen ungeschützt ausgesetzt werden, stellt sich die Frage, ob es lediglich um die Ausbeutung von Wissen nicht-weißer Personen geht, um daraus Kapital zu schlagen. Die*der Aktivist*in und Künstler*in Fannie Sosa nennt dieses Phänomen “Extractivism”. Inhalte nicht-weißer Künstler*innen, die sich verkaufen und verwerten lassen, sind erwünscht, aber gleichzeitig werden die Kämpfe, die mit dem Kunstschaffen in weißen Institutionen und weißen Kulturbetrieben für marginalisierte Personen einhergehen, ausgeklammert. Darunter fallen auch Fragen zu Sicherheit. Frühzeitig zu erkennen, welche Bedrohungen die Sicherheit von Schwarzen, jüdischen, migrantisierten Autor*innen und/oder Autor*innen of Color gefährden, bedarf eine Auseinandersetzung mit ihren Lebensrealitäten und Perspektiven und eine Aneignung von Wissen zu Rassismus und Antisemitismus auf zwischenmenschlicher und struktureller Ebene. Wenn aber betroffene Personen erst auf existierende Probleme aufmerksam machen müssen, entsteht der Eindruck, wie auf der diesjährigen Buchmesse, dass rechten, menschenfeindlichen und demokratiefeindlichen Verlagen Raum zu geben nur ein Problem für betroffene Personen darstellt. Es also ihre persönliche Aufgabe sei, gegen diese vorzugehen oder eben allein die Konsequenzen zu tragen. Erst nachdem die Bildungsaktivistin Hami Nguyen auf die Teilnahme der rechten Verlage auf der Frankfurter Buchmesse in den Sozialen Medien aufmerksam machte  und die Autorin Jasmina Kuhnke ihren Auftritt absagte, wurde eine breitere Öffentlichkeit darauf aufmerksam. Das Argument der Meinungsfreiheit, das die Buchmesseveranstalter*innen anbringen, bezieht sich anscheinend nur auf menschenverachtende Perspektiven, indessen nicht-weiße Autor*innen noch nicht einmal die Freiheit haben, diesen Ort ungefährdet zu betreten oder wie Mahn es sagt: nicht willkommen sind.

Es setzt also Wissen voraus, um Allyship praktizieren zu können, also um von Diskriminierung und Rassismus Betroffene zu unterstützen. Laut der Wissenschaftstheoretikerin Donna Haraway ist Wissen immer situiertes Wissen. Es muss als Ergebnis der gelebten Erfahrung und gesellschaftlichen Positionierung in Machtverhältnissen betrachtet werden. Das heißt zum einen, dass Wissen nicht aus neutralen Positionen produziert wird, aber eben zum Beispiel auch, dass ein gesamtgesellschaftliches Verständnis von Sicherheit nicht ausreicht, um zu verstehen, was Sicherheit für unterschiedliche marginalisierte Perspektiven bedeutet. Kurz: Räume, die für weiße Menschen als sicher verstanden werden, sind nicht unbedingt für Schwarze Menschen und People of Color sicher. Es muss also die eigene gesellschaftliche Positionierung und die damit einhergehenden Privilegien mitgedacht werden, aber genauso die Positionierung der Institution in der man - und hiermit sind potenzielle Verbündete gemeint - sich befindet. Handelt es sich um eine weiße Institution? Welche Position und Einfluss hat diese Institution im Buch- und Literaturbetrieb? In welcher historischen Kontinuität steht diese Institution? Wie ist die Institution selbst aufgestellt? Welche Handlungsoptionen haben die Individuen in der Institution in Bezug auf unterschiedliche Diskriminierungsformen wie Rassismus, Klassismus und/oder Sexismus?  Wie wird sich in dieser Institution mit rassistischen Machtstrukturen inhaltlich auseinandergesetzt?

Um Allyship aktiv praktizieren zu können, bedarf es ein umfangreiches inhaltliches Verständnis für Rassismus und Debatten um Diskriminierung und Intersektionalität, den Einbezug an den Rand gedrängter Perspektiven sowie ein Bewusstsein dafür, dass Wissen und Umgang mit Rassismus vielfältig ist. Es kommt daher auch zu Widersprüchen und es gibt keinesfalls immer eindeutige Lösungen.

Allyship setzt eine diskriminierungssensible Haltung voraus

Nur die stetige Auseinandersetzung mit existierenden Machtstrukturen, vor allem mit denen, von denen man selbst nicht negativ betroffen ist, ermöglicht die Frage “Wie stehe ich eigentlich dazu?” differenziert zu beantworten. Wissen ermöglicht also eine Haltung zu entwickeln entgegen dem, was die Autorin Minna Salami mit einer naiven Haltung beschreibt, also einer Haltung, die nur unter Einbezug einer ausschließlich weißen Perspektive entwickelt wird[1].  Welche Verantwortungen und Handlungsoptionen ergeben sich aus der Perspektive, gesellschaftlichen Positionierung und dem Wissen? Keine klare Haltung gegen ein rassistisches und antisemitisches System, das rechte Verlage fördert und bestimmte Perspektiven ausschließt, führt zu Kompliz*innenschaft. Wer aber von nicht-weißen Inhalten profitieren will - und das will der Literaturbetrieb -, muss auch die Kämpfe um Gleichberechtigung und Teilhabe wahrnehmen und ernst nehmen, die damit einhergehen und Ressourcen und Positionen nutzen, um diese zu unterstützen. Sonst profitieren Institutionen von der Arbeit marginalisierter Personen, erlauben aber ein Arbeitsumfeld, das potenziell lebensbedrohlich ist. Hier wird deutlich: Diversität lässt sich nicht gleichsetzen mit Diskriminierungskritik und Diversität ist auch kein Allerheilmittel gegen Diskriminierung. 

Allyship verlangt ein Verhalten, dass die Bedürfnisse von negativ Betroffenen in den Mittelpunkt rückt

Welche Konsequenzen ziehen Verbündete aus ihrem Wissen und ihrer Haltung für ihr Handeln? Um als Verbündete für diejenigen zu handeln, die negativ von Rassismus betroffen sind, braucht es Ehrlichkeit: Welche Ressourcen stehen mir / uns tatsächlich zur Verfügung? Mache ich / machen wir ernsthafte Anstrengungen, um Entscheidungen zu treffen, die Marginalisierte fördern und unterstützen? Gebe ich / geben wir ökonomisches Kapital und Macht tatsächlich ab? Nehmen wir finanzielle Einbußen in Kauf? Wird aktiv Allyship betrieben oder sich passiv auf einer vermeintlich kritischen Haltung ausgeruht?

Aktives Praktizieren von Allyship setzt die Bedürfnisse von negativ Betroffenen an erste Stelle. Dies bedarf die Zentrierung von Betroffenenperspektiven sowie Solidarität, wenn eben diese Bedürfnisse vergessen, übergangen oder ignoriert werden. Es braucht auch ein Verständnis dafür, dass die Kämpfe nicht-weißer Personen um Sicherheit, Gleichberechtigung und Teilhabe nicht in der alleinigen Verantwortung von eben diesen Personen liegen. Allyship ist also viel mehr als nur nicht wegschauen. Es verlangt konsequentes, aktives Handeln. Da im Kapitalismus ungleiche Machtverhältnisse strukturell aufrechterhalten werden, ist diskriminierungskritische Verbündetenschaft zwischen unterschiedlich positionierten Gruppen unabdingbar. Allyship funktioniert nur, wenn der eigene Profit nicht über die Rechte Marginalisierter gestellt werden, und nur dann, wenn auch ökonomische und machtvolle Umverteilungen in Betracht gezogen werden. Und wenn es um Machtpositionen und Geld geht, wird es unbequem und diese Ungemütlichkeit braucht es, um ein System zu destabilisieren, das hauptsächlich privilegierten Positionen Sicherheit gibt.

 

[1] “Sinnliches Wissen - Eine schwarze feministische Perspektive für alle”; Minna Salami (2021); S. 13.