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EU-Geschlechterpolitik

Die Gleichstellungspolitik der EU beruht auf einem ganzheitlichen Ansatz.

Er umfasst:

  • Rechtsvorschriften
  • Mainstreaming
  • gezielte Fördermaßnahmen, sogenannte positive Aktionen

Im Rahmen von Aktionsprogrammen stehen auch Finanzmittel bereit, vor allem aus den Förderprogrammen PROGRESS und Daphne sowie aus dem europäischen Sozialfond (ESF).

Der Schwerpunkt der Gleichstellungspolitik der EU liegt auf dem Erwerbsarbeitsmarkt. Hier gab und gibt es zahlreiche Instrumentarien, die den Zugang zum Arbeitsmarkt und den Abbau von Diskriminierungen forcieren. Vor allem die gleichberechtigte Vertretung von Frauen in den Führungsetagen von Unternehmen (Stichwort Frauenquote für Vorstände und Aufsichtsräte) und die Gleichstellung von Frauen bei der Entlohnung sind hier aktuelle Schwerpunktthemen. In der Europäischen Union wird Gender Mainstreaming nach wie vor hauptsächlich mit Frauenpolitik gleichgesetzt, was sich auch an verschiedenen Stellen der Berichterstattung zeigt. (Vgl. Thomas Gesterkamp, Männerpolitik und Antifeminismus, WSI Mitteilungen 1/2015.)

Gleicher Lohn für gleiche und gleichwertige Arbeit, diskriminierungsfreie Entgeltregelungen, gleicher Zugang zu Ausbildung und Beschäftigung, Abbau diskriminierender Strukturen im Arbeitsmarkt, Förderung der Frauenerwerbstätigkeit: dies sind Politikfelder der europäischen Gleichstellungspolitik. Seit einigen Jahren kommen jedoch aus Europa kaum noch neue Impulse zur Gleichstellung. Die Gleichstellungspolitik hat an Sichtbarkeit und politischer Relevanz verloren. Und die Wirtschafts- und Finanzpolitik der letzten Jahre trägt in vielen Ländern zu einer Verschlechterung der sozialen und ökonomischen Lage von Frauen bei. (Vgl. Friederike Maier, Europäische Politiken zur Gleichstellung– nur noch schöne Worte?, WSI Mitteilungen 1/2015)

Ein weiteres Feld der Gleichstellungspolitik sind Maßnahmen zum Abbau von Geschlechterstereotypen, gegen Diskriminierungen von Frauen in der Werbung oder zur Bekämpfung der Gewalt gegen Frauen. Hier ist ein konsequenteres und effektiveres Vorgehen der EU gefordert.

Eine Diskrepanz besteht zwischen den Richtlinien zur Gleichstellung der Geschlechter und den wirtschaftlichen Zielen der EU. So spielt Gender Mainstreaming im aktuellen Vertrag von Lissabon, der neuen Wirtschafts- und Wachstumsstrategie „Europa 2020“ und den aktuellen Maßnahmen zur Bewältigung der Finanz- und Wirtschaftskrise und der neuen Wirtschafts- und Wachstumsstrategie „Europa 2020“ immer noch eine untergeordnete Rolle. Das Regelwerk der Geld- und Stabilitätspolitik wird durch EU-Recht geschützt, in dem Geschlechtergerechtigkeit nicht vorkommt. Die Makroökonomie wird »geschlechtsneutral« definiert, es wird also eine geschlechtslose Ökonomie unterstellt – im Gegensatz zur Arbeitsmarktpolitik, die sehr wohl geschlechtersensibel agiert: mit Vereinbarkeit von Beruf und Familie, Erhöhung der Beschäftigungsrate von Frauen, dem Abbau des Pay Gap oder der Förderung von Frauen in Entscheidungspositionen.

Eine Triebkraft für wichtige frauen- und gleichstellungspolitische Initiativen ist nach der letzten Wahl zum Europäischen Parlament  wieder der Ausschuss für die Rechte der Frauen und die Gleichstellung der Geschlechter im Europäischen Parlament. Er hat sich proaktiv in die aktuelle Debatte um die neue Gleichstellungsstrategie der EU in Fortsetzung des aktuellen Fahrplans für die Gleichstellung der Geschlechter eingemischt und begleitet deren Umsetzung mit kritischer Berichterstattung und Initiativen. Außerdem fordert er eine konsequentere Berücksichtigung von Fragen der Geschlechtergerechtigkeit insbesondere in der Wirtschafts- und Außenpolitik der EU ein.

Die Generaldirektion Justiz (Verbraucher und Gleichstellung von Frauen und Männern) wird seit 2014 von der Tschechin Vĕra Jourová geleitet.Die Verankerung in der Justiz-Generaldirektion, gemeinsam mit dem Bereich Bekämpfung von Diskriminierungen, ermöglicht ein stärkeres Mainstreaming dieser Fragestellungen. Mit einer Vielzahl beratender Ausschüsse, Gruppen und Netzwerke zu Fragen der Geschlechtergleichstellung und der Nichtdiskriminierung ist viel Expertise im Kontext der Kommission gebündelt. Im April 2015 wird als ein erster dialogischer Schritt für die Erstellung des nächsten Fahrplans (ab 2016) zur Gleichstellung der Geschlechter ein Forum on future of Gender Equality veranstaltet. Die Generaldirektion unterhält eine eigene Website zum Thema Gleichstellung.

Interessant für die zukünftige Entwicklung der Geschlechterpolitik in der EU und ihren Mitgliedsstaaten wird die weitere Entwicklung des Europäischen Instituts für Gleichstellung (EIGE – European Institute for Gender Equality), das nach langem und schwierigem Vorlauf im Juni 2010 endlich seine Arbeit aufnehmen konnte. Insbesondere mit der Entwicklung von Gleichstellungsindikatoren und einer systematischen, genderdifferenzierten Datenerhebung wird sich eine Beurteilung der EU-Politik unter Gendergesichtspunkten und damit ihre gleichstellungspolitische Steuerung verbessern. Es wird zu beobachten sein, welche neuen Impulse das Institut durch seine Arbeit für die Geschlechterpolitik in der EU setzen kann.

Aktuell ist weniger zu befürchten, dass die Gleichstellung von Frauen und Männern durch eine zusätzliche Verschiebung des Schwerpunkts hin zu einer allgemeinen Antidiskriminierungspolitik ins Abseits gerät. Vielmehr droht angesichts der zugespitzten Finanz- und Wirtschaftskrise in der Europäischen Union und der Rettungsversuche sowohl die Gleichstellungs- als auch die Antidiskriminierungspolitik auf der aktuellen politischen Agenda wie weiter oben beschrieben auf einen nachrangigen Platz zu rücken.