Der vorliegende Beitrag möchte zeigen, dass und warum der Kern klassischer Sorgesituationen ein geeigneter Ausgangspunkt für ein integratives ökonomisches Denken ist, in dem beides Platz hat: geben und tauschen, abhängig und unabhängig sein, Interesse an anderen und Sorge für sich selbst. Der Schwerpunkt der folgenden Überlegungen liegt auf der konzeptionellen Ebene. Mein Anliegen ist es, die zentralen Begriffe, Kategorien und Strukturen der theoretischen Erfassung von Sorgesituationen in der ökonomischen Theorie zu erarbeiten. Welche Perspektive auf die Wirtschaft ergibt sich aus dem Blickwinkel der Care Ökonomie? Von welchen grundsätzlichen Annahmen ist auszugehen, in welchen grundsätzlichen Kategorien zu denken, wenn unsere eigene oder die Handlungsfähigkeit anderer eingeschränkt ist, wenn Tausch nicht zur Diskussion steht, wenn klar ist, dass reines Eigeninteresse in die Sackgasse führt?
Ausgangs- und Bezugspunkt meiner Überlegungen ist die Bereitstellung von Sorgeleistungen für Kinder, ältere Menschen, Kranke und Behinderte und damit für von der Erbringung der Sorgeleistung existentiell abhängige Personen. Die Gründe dafür liegen einerseits in deren aktueller sozialpolitischer Relevanz. Sie liegen andererseits – und das ist für diesen Beitrag von speziellem Interesse – in den besonderen Kennzeichen, die solche, im folgenden als "klassisch" bezeichneten Sorgesituationen aufweisen.
Die Analyse von klassischen Sorgesituationen erfordert ein Annahmengerüst, das sich deutlich von den Annahmen über die ökonomische Tauschsituation unterscheidet. Wenn man die speziellen Charakteristika von Sorgesituationen ernst nimmt, wird deutlich, dass bei der Betrachtung und Analyse von klassischen Sorgesituationen typischerweise von drei voneinander abhängigen Prämissen auszugehen ist:
- beschränkte bis gänzlich fehlende Handlungsfähigkeit der umsorgten Person;
- asymmetrische Ausgangspositionen der beteiligten Personen in Bezug auf die Fähigkeit, die benötigte Sorgeleistung auszuführen und den Zugang zu den dafür notwendigen Ressourcen;
- daraus entstehende tatsächliche und mögliche Abhängigkeiten und Machtverhältnisse.
Entscheidend für die Analyse klassischer Sorgesituationen und gleichsam das übergreifende Moment der folgenden Überlegungen ist die Annahme eingeschränkter Handlungsfähigkeit der umsorgten Person. Sie geht davon aus, dass die umsorgte Person nicht in der Lage ist, die benötigte Sorgetätigkeit selbst auszuführen. So können beispielsweise kleine Kinder sich nicht selbst wickeln, ein sehr kranker Mensch kann sich nicht selbst waschen, ein gebrechlicher älterer Mensch kann sich nicht selbst füttern. Je nach Situation ist ferner davon auszugehen, dass die umsorgte Person auch nicht in der Lage ist, ihre Bedürfnisse zu äußern oder zu spezifizieren – beispielsweise ein Patient im Koma.
Diese existentielle Abhängigkeit der umsorgten Person hat weitreichende Konsequenzen: Sie bedingt zum einen, dass eine andere Person die existentiellen Bedürfnisse der zu umsorgenden Person zum Ausgangspunkt ihres Handelns machen muss. Entscheidend dabei ist die Veränderung der Perspektive, die die Politische Philosophin Joan Tronto als "a perspective of taking the other's needs as the starting point for what must be done" (Tronto 1993: 105) beschrieben hat. Je nach Situation ist ferner davon auszugehen, dass von der umsorgten Person selbst kaum eine Gegenleistung im Sinne eines eigenständigen Leistungsinputs in der Gegenwart oder in der Zukunft erwartet werden kann – wie beispielsweise bei einem von Geburt an schwerst behinderten Kind.(1)
Klassische Sorgesituationen sind in ihrem Kern folglich gekennzeichnet durch Asymmetrie. Sie sind asymmetrisch im Hinblick auf den Umfang der Handlungsfähigkeit von sorgender und umsorgter Person: Die sorgende Person ist in der Lage, die benötigte Sorgetätigkeit auszuführen, die umsorgte Person ist dies nicht. Asymmetrisch kann aber auch die Kontrolle über die materiellen Ressourcen sein, die für die Ausführung der Sorgetätigkeit benötigt werden. Dies ist zum Beispiel der Fall, wenn eine ältere Person sich die benötigte Pflege nicht leisten kann, sondern auf finanzielle Unterstützung durch die Familie oder den Staat angewiesen ist. Die begrenzte Handlungsfähigkeit der umsorgten Person kann sich somit in existentieller, materieller und motivationsbedingter Abhängigkeit niederschlagen, das heißt in der Unmöglichkeit, die Sorgesituation aus existentiellen, materiellen oder motivationsbedingten Gründen zu verlassen (Kittay 1999, Fraser und Gordon 1997).
Die konzeptionelle Erfassung und die Analyse der Bereitstellung von Sorgetätigkeiten für Kinder, pflegebedürftige alte, kranke und behinderte Menschen stellen für das traditionelle ökonomische Instrumentarium eine besondere Herausforderung dar, denn der Kern klassischer Sorgesituationen lässt sich nicht unter Tauschsituationen subsumieren, sondern ist konzeptionell von diesen zu unterscheiden – auch wenn symmetrische Sorgesituationen anderer Art denkbar sind, die Tauschsituationen ähneln können. Für die traditionelle ökonomische Tauschtheorie ist es folglich nicht einfach, wenn nicht gar unmöglich, mit klassischen Sorgesituationen angemessen umzugehen. Die Schwierigkeit, mit der Annahme beschränkter Autonomie zu arbeiten, wird exemplarisch deutlich in den Arbeiten des Ökonomen Gary Becker zur Familienökonomie. Becker macht, ohne explizit ein Konzept des Sorgens entwickeln zu wollen, einen Unterschied zwischen der Betrachtung gegenseitigen Sorgens von (Ehe-)Partnern im Haushalt und der Sorge für Kinder. Die gegenseitige Fürsorge der (Ehe-)Partner wird als altruistisches Verhalten mit interdependenten Nutzenfunktionen modelliert: (Ehe-)Partner sorgen für einander, weil dadurch ihr eigener Nutzen gesteigert wird (Becker 1976: 205-250). Gegenseitiges Sorgen aber setzt gegenseitiges Füreinander-Sorgen-Können, d.h. zumindest vergleichbare Handlungsfähigkeit voraus. Für die Sorge für Kinder, die in jungen Jahren einen solchen Autonomiegrad noch nicht erreicht haben, schlägt Becker daher (notwendigerweise) ein anderes Konzept vor: demnach fungieren Kinder in den Nutzenfunktionen ihrer Eltern als langlebige Konsum- (bzw. Produktions-)Güter (Becker 1976: 172). Ein besseres Beispiel für die Schwierigkeit, ja Unfähigkeit der traditionellen ökonomischen Theorie, mit beschränkt autonomen Personen umzugehen, lässt sich kaum finden: nicht-autonome Personen, werden in dieser Theorie gleich gar nicht als Personen verstanden, sondern als "passive nonpersons" (Nelson 1996: 68), als Güter.
Die besonderen Charakteristika von Sorgesituationen in der Kinder-, Alten-, Kranken- und Behindertenpflege und die eingeschränkte Autonomie der umsorgten Person sowie die auftretenden Asymmetrien bedingen, dass bei klassischen Sorgesituationen von einer "Funktionstrennung" (Herder-Dorneich 1980: 152) auszugehen ist: die umsorgte Person, welche die Sorgeleistung empfängt, fragt diese zum Beispiel nicht unbedingt selbst am Markt nach und/oder bezahlt diese nicht unbedingt selbst. Diese Funktionen sind getrennt; sie werden durch andere Personen als die umsorgte Person selbst ausgeübt, zum Beispiel durch die sorgende Person oder eine Person oder Institution außerhalb der Sorgebeziehung, welche die benötigten Ressourcen zur Verfügung stellt. Aufgrund der sie kennzeichnenden Funktionstrennung weisen klassische Sorgesituationen eine typische Struktur auf, die im Vergleich zu Tauschsituationen am Markt in der ökonomischen Theorie allgemein als "Nicht-Markt-Struktur" (z.B. Herder-Dorneich 1980: 118) bezeichnet wird. Statt eines Tausches, also eines Transfers in beide Richtungen (Leistung versus Gegenleistung), liegt ein System von Einwegtransfers vor. Funktionstrennung und Nicht-Markt Struktur liegen in vielen Fällen auch dann vor, wenn die Sorgesituation über den Markt organisiert wird, beispielsweise wenn Eltern für ihre Kinder Sorgeleistungen am Markt nachfragen. Abhängigkeiten in einer Sorgesituation sind daher häufig Abhängigkeiten von der Person, welche die benötigte jeweilige Funktion ausführt.
Angesichts der geschilderten Charakteristika einer Sorgesituation kommt der Annahme einer speziellen Motivation auf Seiten der sorgenden Person eine besondere Bedeutung zu, um angemessen mit der Verletzlichkeit der umsorgten Person umgehen zu können. Dieses reflektieren auch die verschiedenen konzeptionellen Ansätze in der ökonomischen Wissenschaft. Dabei wird klar, dass das Konzept einer sorgenden Motivation in diesem Zusammenhang als eine Art Schlüsselkonzept fungiert, mit dessen Hilfe es gelingt, (bedingungslose) Einwegtransfers zu organisieren und verantwortlich mit den vorhandenen Asymmetrien umzugehen bzw. diese zu überbrücken. Voraussetzung hierzu ist, dass eine besondere – wohlwollende und nicht ausschließlich eigennutzorientierte – Motivation auf Seiten der sorgenden Person unterstellt wird. Mit der in der ökonomischen Wissenschaft vorherrschenden Motivation des ungebundenen Eigeninteresses, welche immer auf die Bereitstellung einer Gegenleistung für das aus ihr resultierende Verhalten angewiesen ist, ist die Erzeugung von Einwegtransfers nicht möglich.
Die zentrale Bedeutung einer sorgenden Motivation wird besonders deutlich in zweiteiligen Konzepten von Sorgeaktivitäten, wie sie beispielsweise von den Ökonominnen Nancy Folbre, Julie Nelson, Susan Himmelweit und von der Politischen Philosophin Joan Tronto vertreten werden (Folbre 1995; Nelson 1998; Himmelweit 1996; Tronto 1993). Diese Konzepte werden von mir zweiteilig (oder auch Zweifach-Konzepte) genannt, weil sie bei der Bereitstellung von Sorgetätigkeiten zwei Aspekte unterscheiden, den instrumentellen Aspekt (die konkrete Pflege, z.B. das Wechseln der Windel) und den kommunikativen Aspekt (die ideelle Pflege, z.B. anlächeln, zuhören), der – so die Annahme – wesentlich über die adäquate Motivation zur Sorge auf Seiten der sorgenden Person bestimmt wird. Für die Bereitstellung einer Sorgetätigkeit ist gemäß dieser Ansätze daher neben der Aktivität immer auch die Motivation entscheidend, für manche Ansätze sogar ausschließlich. Das Konzept sorgender Motivation in diesen Zweifach-Konzepten nimmt neben nutzenorientierten Motivationen wie Altruismus, längerfristigen Reziprozitätserwartungen und Selbstverpflichtung auch nicht-nutzenorientierte Motivationen wie moralische Betrachtungen und persönliche Zuneigung auf. Diese Motivationen unterscheiden sich unter anderem auch darin, wie wichtig die Annahme einer wie auch immer gearteten Gegenleistung für die Bereitstellung der Sorgeleistung ist bzw. ob eine solche überhaupt vorausgesetzt wird.
Nancy Folbre hat zudem versucht, das Besondere der Bereitstellung von Sorgeleistungen, dass nämlich deren Produkt über die Bereitstellung einer instrumentellen Aktivität hinausgeht, in dem Konzept eines mit der Produktion der instrumentellen Sorgetätigkeit verbundenen Produktes, des "joint product" (Folbre 1995; Folbre und Weisskopf 1998), zu fassen. Solche mit einer erfolgreichen Sorgeleistung verbundenen Produkte sind für Folbre einerseits das Gefühl der umsorgten Person, umsorgt zu sein, und andererseits ein Gefühl menschlicher Wärme bei der sorgenden Person. Ich bezeichne diese Produkte als integrative Produkte, um die angesprochene soziale Dimension einer erfolgreichen Sorgeleistung deutlich zu machen. Integrative Produkte können in der privat-persönlichen Sphäre, aber auch zwischen Fremden entstehen. Das integrative Produkt stellt keine Gegenleistung für die erbrachte Sorgedienstleistung dar, es transzendiert vielmehr den Gedanken einer einzelnen, persönlich bezogenen, Gegenleistung und hebt den Beitrag einer effektiven Sorgeleistung zu etwas gesellschaftlich Bedeutsamerem hervor.
Zweifach-Konzepte von Sorgetätigkeiten und das Konzept der integrativen Produkte begreifen die Motivation als zentrales Gestaltungselement und wirken dennoch gleichzeitig einer Überbetonung der Motivation für die Bereitstellung von effektiven Sorgetätigkeiten entgegen – und damit auch einer Sentimentalisierung und Privatisierung von Sorge bzw. dem Anschein, Sorgen sei keine Arbeit und müsse nicht bezahlt werden. Motivation und Arbeit sind wichtig, doch die Bereitstellung einer motivierten effektiven Sorgetätigkeit ist auch auf finanzielle und materielle Ressourcen angewiesen, die den Unterhalt der sorgenden und umsorgten Person sowie die für die Sorgeleistung benötigten Ressourcen sichern.
In meinen eigenen Untersuchungen zu diesem Thema habe ich daher für die soziale Organisation von Sorgetätigkeiten drei Komponenten herausgearbeitet: eine Motivations-, eine Arbeits- und eine Ressourcenkomponente; erst alle Komponenten zusammen sichern die Bereitstellung einer effektiven Sorgeleistung (Jochimsen 1999, 2002, 2003, 2003a). Die Motivationskomponente einer Sorgesituation umfasst dabei die zur Ausführung einer Sorgeleistung nötige Motivation, die Arbeitskomponente umfasst die angemessene Bereitstellung einer konkreten Sorgeleistung durch die sorgende Person für die umsorgte Person und schafft zwischen diesen beiden eine Sorgebeziehung. Die Ressourcenkomponente umfasst die zur Bereitstellung der Sorgetätigkeit bzw. die zur Aufrechterhaltung der Sorgebeziehung erforderlichen materiellen, finanziellen und zeitlichen Ressourcen; sie kann von einer Person innerhalb oder außerhalb der Sorgebeziehung wie auch von Personengruppen bzw. Institutionen außerhalb der direkten Sorgebeziehung wahrgenommen werden.
Ein solches Komponentenkonzept der Bereitstellung von Sorgetätigkeiten ist der Rahmen, in dem die besonderen Kennzeichen von (klassischen) Sorgesituationen verstanden werden können – unabhängig von dem ökonomischen Bereich ihrer Bereitstellung, d.h. vorinstitutionell. Das Komponentenkonzept bietet daher einerseits die Möglichkeit, die besonderen Kennzeichen einer klassischen Sorgesituation zu thematisieren; andererseits vermag es als Bezugsrahmen für bereits vorhandene Konzepte von Sorgetätigkeiten in der Ökonomie zu dienen und somit zu deren Integration beizutragen. Mit Hilfe des Komponentenkonzepts kann ferner die Bedeutung von Asymmetrien für die Gestaltung von Sorgesituationen veranschaulicht werden. Die Aufgabe der sozialen Organisation von Sorgesituationen bzw. der Koordination von Sorgetätigkeiten lässt sich innerhalb des Komponentenkonzeptes verstehen als die effektive Kombination der Motivations-, der Arbeits- und der Ressourcenkomponente von Sorgesituationen unter Berücksichtigung der sie kennzeichnenden beschränkten Handlungsfähigkeiten, Asymmetrien und Abhängigkeiten.
Die Charakteristika klassischer Sorgesituationen stellen auch an die Organisation ihrer gesellschaftlichen Bereitstellung besondere Anforderungen (Jochimsen 2003). Bei der Koordination und Institutionalisierung von Sorgetätigkeiten spielen nicht nur die Merkmale begrenzter Handlungsfähigkeit, Asymmetrien und Abhängigkeiten eine entscheidende Rolle. Zu den Eckpunkten der Koordination von Sorgetätigkeiten gehören auch gewichtige Spannungsfelder, die es in ihrem ganzen Umfang noch zu identifizieren gilt:
Sorgende Motivation versus Aufopferung und Ausbeutung: Hier geht es um die Frage, wie sorgende Motivationen einerseits hervorgerufen und unterstützt werden können, und wie andererseits gleichzeitig die (Selbst-)Sorge für die sorgende Person sichergestellt bzw. die Ausbeutung von Sorgemotivationen und deren Tendenz zum selbstlosen Opfer verhindert werden können (z.B. durch bessere Arbeitsbedingungen, nicht zu knappe Zeitvorgaben, soziale und finanzielle Anerkennung, Zeit für Selbstsorge).
Zustandekommen der integrativen Produkte versus Ökonomisierung von Sorgetätigkeiten: Hier geht es darum, wie vermieden werden kann, dass das Erbringen einer Sorgeleistung auf die instrumentelle Sorgetätigkeit reduziert und damit, unter Vernachlässigung der kommunikativen und sozial integrativen Dimension, ausschließlich der Warenaspekt einer Sorgetätigkeit wahrgenommen wird.
Freiwilligkeit versus Anspruch auf Sorge: Hier geht es darum, eine Balance zu finden zwischen dem berechtigtem Anspruch auf qualitative hochwertige Sorgeleistungen auf der einen Seite, als Konsequenz menschlicher Anerkennung und Würde wie auch in materieller Hinsicht beispielsweise als Konsequenz jahrelang einbezahlter Sozialversicherungsbeiträge, und den möglicherweise kontraproduktiven Effekten von Zwang auf die sorgende Motivation der sorgenden Person auf der anderen.
Zu beachten ist ferner, dass diejenigen Gesellschaftsmitglieder, von denen der ganze oder der vorübergehende Verzicht auf Gegenleistungen und damit bedingungsloser Einwegtransfer erwartet wird, dazu materiell und zeitlich in der Lage sein müssen. Zu den Risiken von Einwegtransfers gehört andererseits beispielsweise die Verschärfung von Abhängigkeiten oder die potentielle Gefahr, dass die Bereitschaft zu bedingungslosem oder bedingtem Einwegtransfer von anderen Gesellschaftsmitgliedern oder der Gesellschaft als ganzer ausgenutzt wird. So wird zum Beispiel die Bereitstellung vieler unbezahlter oder schlecht bezahlter Sorgetätigkeiten, die gesellschaftlich überwiegend durch Frauen oder ethnische, nationale oder soziale Minderheiten erfolgt, oft als selbstverständlich hingenommen.
Beschränkte Autonomie, Asymmetrie und Abhängigkeit stellen für die konzeptionelle Behandlung von Sorgesituationen in der ökonomischen Theorie eine große Herausforderung dar: aus der Perspektive einer Theorie des Sorgens erscheint Symmetrie als ein Sonderfall, als ein spezieller Fall von Asymmetrie, die Zweiwegtransfers des Tausches erscheinen als Spezialfall von Einwegtransfers, Autonomie und Unabhängigkeit als Ausnahmen nicht als die Regel. Die Entdeckung und Ausformulierung des theoretischen Erklärungspotenzials von Konzepten wie Asymmetrie, Abhängigkeit und eingeschränkter Handlungsfähigkeit in der ökonomischen Wissenschaft steht jedoch erst am Anfang. Die Analyse von Sorgesituationen kann dazu einen wertvollen Beitrag leisten.
(1) Es mag an dieser Stelle zurecht eingewendet werden, dass auch bei Patienten im Koma und schwerst behinderten Kindern von Seiten der umsorgten Person etwas 'zurückgegeben' wird – unendlich viel in vielen Fällen. Es geht hier nicht darum, der umsorgten Person dieses abzusprechen. Aus Gründen der deutlicheren Argumentation soll jedoch ein qualitativer Unterschied gemacht werden zwischen dem, was von umsorgten Personen zurückkommt, und dem, was gemeinhin als eigenständiger Leistungsinput verstanden wird.
Literaturverzeichnis
--wBecker, Gary S. (1976): The Economic Approach to Human Behavior, Chicago und London.
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