Cecilia Grierson, die erste Ärztin Argentiniens und Lateinamerikas, gilt als eine zentrale Figur im frühen Kampf um die Emanzipation der Frau am Ende des 19. Jahrhunderts, sowie als Pionierin in bis dahin in Argentinien unbekannten Bereichen der Medizin.
Bereits im Jahr 1883 begann sie ihr Studium und war damit die erste Frau, die in Argentinien Medizin studierte. Anschließend praktizierte und lehrte sie als eine der weltweit ersten Ärztinnen.
In der aufkommenden feministischen Bewegung engagiert, setzte sie sich für die Aufwertung der Stellung der Frau in der Gesellschaft, für gleiche Rechte und den gleichen Zugang zu Bildung und Arbeit ein.
Ein Leben für die Medizin und die Lehre
Cecilia Grierson bewarb sich im Jahr 1882 an der Fakultät für Medizin. Der Zugang zur Fakultät war Frauen nicht explizit verboten; die für die Aufnahme notwendigen Lateinkurse wurden jedoch von einer Institution erteilt, an der Frauen nicht zugelassen waren. Nach längerer Auseinandersetzung erreichte Grierson schließlich Aufnahme im Jahr 1883 und machte 1889 ihren Abschluss.
Bereits während des Studiums wurde sie Arzthelferin an einem öffentlichen Krankenhaus – ein fast noch revolutionärerer Akt als das Medizinstudium selbst.
Im Anschluss an das Studium lehrte sie an verschiedenen Institutionen – wenngleich sie ihr Ziel einer Professorenstelle an der Universität aufgrund ihres Geschlechts nie erreichte –, veröffentlichte zahlreiche Bücher und Aufsätze über in der argentinischen Medizin bisher unbekannte Themen und trieb so entscheidende Neuerungen voran. So war sie mit ihren Kursen und Veröffentlichungen – z.B. des einflussreichen Buches Masaje Práctico (Praktische Massage) – Pionierin u.a. auf dem Gebiet der Bewegungstherapie und legte den Grundstein für die moderne Kinästhetik in Argentinien. Ebenso führte sie die Kinderkrankenpflege als medizinische Disziplin ein.
Einen Großteil ihrer beruflichen Laufbahn widmete sie der – meist kostenlosen – Behandlung und Ausbildung von blinden, taubstummen und geistig behinderten Kindern. Sie gründete Schulen für Blinde und Taubstumme und die erste Praxis für die Unterrichtung geistig behinderter Kinder. Erstmals in Argentinien entwickelte sie didaktisches Material zur Unterrichtung dieser Zielgruppe.
Unermüdlicher Kampf für die Rechte von Frauen
Neben ihrem persönlichen Kampf – um Aufnahme in die Fakultät, um das Recht, praktizieren und lehren zu dürfen – setzte sich Grierson auch in der aufkommenden feministischen Bewegung für die Verbesserung der Stellung der Frau in der Gesellschaft ein. Als Mitglied der ersten feministischen Gruppen kämpfte sie insbesondere für die Bürger- und politischen Rechte der Frau sowie für gleichen Zugang zu Bildung und Arbeit und wandte sich entschieden gegen die juristische Behandlung verheirateter Frauen als Minderjährige.
1900 gründete sie den Consejo Nacional de Mujeres (Argentinischer Frauenrat), nachdem sie im Jahr zuvor am Internationalen Frauenkongress in London teilgenommen hatte und zu dessen Vizepräsidentin gewählt worden war. Der Consejo sollte wohltätig oder religiös engagierte Frauen aus der argentinischen Oberschicht und Hochschulabsolventinnen mit deutlich weitergehenden Forderungen vereinen und so ihre Kräfte bündeln – was anfänglich auch gelang.
Unter Leitung seiner Präsidentin Alvina van Praet entfernte sich der Rat jedoch zunehmend von feministischen Positionen und wurde zu einem katholischen, stärker wohltätig orientierten Verein. In Reaktion hierauf gründete Cecilia Grierson gemeinsam mit weiteren Frauen 1901 die Asociación de Universitarias Argentinas (Verband argentinischer Akademikerinnen) mit deutlich weitergehenden Forderungen. Die Organisation des bedeutenden Ersten Internationalen Frauenkongresses in Argentinien durch die Asociación im Jahr 1910 und die zeitgleiche Organisation eines konkurrierenden Congreso Patriótico de Señoras (‚Patriotischer Damen-Kongress’) durch den Consejo Nacional de Mujeres führte zum endgültigen Bruch Griersons mit dem Consejo – zumal Grierson die Rolle der Vorsitzenden des Internationalen Frauenkongress innehatte.
Im Gegensatz zu vielen Mitstreiterinnen aus der Oberschicht – die sich meist für die Situation der Frauen aus niedrigeren sozialen Schichten nicht interessierten – schloss Griersons Kampf auch die Belange von Frauen aus der Unterschicht, von Arbeiterinnen und alleinerziehenden Müttern, ein. Die Asociación de Universitarias suchte explizit die Zusammenarbeit mit Frauen aus der Arbeiterklasse, und Grierson trat unmittelbar nach seiner Gründung dem Centro Socialista Feminista (sozialistisch-feministisches Zentrum) der Sozialistischen Partei Argentiniens bei.
Cecilia Grierson starb 1934 in Buenos Aires.
Griersons Bedeutung für die argentinische Frauenbewegung
Obwohl sich Cecilia Grierson auch innerhalb der entstehenden feministischen Bewegung für die Gleichstellung der Frau einsetzte, liegt ihre größte Bedeutung darin, dass sie durch ihren persönlichen Kampf Frauen den Weg in höhere Bildung und ihnen bis dahin verschlossene Berufe geebnet hat. Mit ihrem Kampf um die Zulassung zum Studium und ihrer anschließenden Tätigkeit als Ärztin, Dozentin und Autorin in neuen Bereichen der Medizin ist sie in die zuvor Männern vorbehaltene öffentliche Sphäre vorgedrungen und ist dort vehement für ihre Ideen und Überzeugungen eingetreten. Sie war die erste Frau, die als Ärztin praktizierte und an einer Universität lehrte – wenn auch nicht offiziell als Professorin. Besonders bemerkenswert ist, dass sie dabei als Frau den Mut hatte, sich an bis dahin unbekannten Themen heranzuwagen.
QUELLEN:
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Barry, Carolina: Cecilia Grierson: Argentina´s First Female Doctor; Irish Migration Studies in Latin America; auf: www.irlandeses.org/0811barry1.htm
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Martínez, Nora (2005): Cecilia Grierson; Con-versiones, 2004
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Vela, Liliana (2003): Feminismo y socialismo: tradición e innovación; II Congreso Interoceánico de Estudios Latinoamericanos, 11 al 13 de septiembre de 2003; Facultad de Filosofía y Letras, Universidad Nacional de Cuyo, Mendoza
- Wicht, María Teresa (1997): Cecilia Grierson. Primera médica argentina; in: Congreso Nacional de Historia Argentina: Celebrando en la ciudad de Buenos Aires del 23 al 25 de noviembre de 1995 bajo la advocación de los 150 años de la batalla de la Vuelta de Obligado; tomo II
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Jenny Jungehülsing ist Politologin und promoviert an der Freien Universität Berlin über die Auswirkungen von Geldrücküberweisungen auf lokale Ökonomien im ländlichen Mexiko.
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