Policarpa Salavarrieta, genannt „La Pola“, ist Kolumbiens bekannteste Unabhängigkeitsheldin. Während des Krieges zur Unabhängigkeit Lateinamerikas von Spanien, in dem sich zu Beginn des 19. Jahrhunderts spanientreue ‚Royalisten’ und ‚patriotische’ Unabhängigkeitskämpfer gegenüberstanden, unterstützte La Pola die patriotische Seite v.a. mit Spionagetätigkeit.
Im Gegensatz zur großen Mehrheit der lateinamerikanischen Unabhängigkeitsheldinnen stellt sie nicht das traditionelle Bild einer vor allem durch ihre Tugendhaftigkeit und das Festhalten an ‚weiblichen Werten’ zur Heldin gewordenen Frau dar. Sie verkörpert durch ihre aktive Unterstützung der conspiración – der ‚Verschwörung’ – vielmehr im Allgemeinen als „männlich“ angesehene Qualitäten wie Mut, Kampfgeist und Unabhängigkeit.
Jugend in Guaduas und erster Kontakt mit der Unabhängigkeitsbewegung in Bogotá
Circa 1795 geboren, wuchs La Pola in einer Unterschichtsfamilie in Guaduas, einem Dorf nordwestlich von Bogotá, auf. Während der Unabhängigkeitskämpfe wurde die Umgebung Guaduas´ zu einem wichtigen Rückzugsgebiet der Patrioten – weshalb La Pola schon früh mit den Ideen der Unabhängigkeit in Berührung kam.
Bereits als Kind zur Vollwaise geworden, ging sie mit 17 Jahren nach Bogotá, um als Näherin für die Damen der Oberschicht Bogotás ihren Lebensunterhalt zu verdienen. Schnell machte sie sich einen Namen in ihrem Beruf und verkehrte in den besten Häusern der Stadt. In Bogotá wurde sie zur Anhängerin der „causa patriota“; durch ihren Beruf hatte sie Kontakte auch zu wichtigen Aktivisten der Unabhängigkeit und trotz ihres geringen Alters Zugang zu den Treffen der conspiradores.
Unterstützung der ‚causa patriota’: Spionagetätigkeit für die Unabhängigkeitsbewegung
Im Jahr 1816, mit circa 21 Jahren, wurde La Pola durch einen patriotischen Oberst für die Unabhängigkeitsbewegung in Bogotá angeworben, um in der Stadt Spionagearbeit für die ‚causa patriota’ zu leisten: Aufgrund ihrer umfangreichen Kontakte und weil sie sich als Näherin auch in den Oberschichtshäusern frei und unverdächtig bewegen konnte, war sie für diese Aufgabe ideal geeignet.
Ausgestattet mit falschem Pass auf den Namen „Gregoria Apolinaria“ wohnte sie im Haus der Patriotin Doña Andrea Ricaurte de Lozano, in dem regelmäßige Treffen der conspiradores stattfanden. Zu ihren Aufgaben gehörte neben der Informationsbeschaffung auch die Organisation der Kommunikation zwischen den einzelnen Gruppen der Unabhängigkeitskämpfer sowie zwischen diesen und festgenommenen Kämpfern in den Gefängnissen. Sie schloss Freundschaft mit Soldaten der spanientreuen Truppen, um Informationen über Truppenbewegungen und –stärken, ihre Bewaffnung und Angriffspläne zu beschaffen. Auch in den Häusern der höheren Damen erhielt sie Informationen über die Bewegungen der spanientreuen Truppen sowie Namen der von den Spaniern gesuchten Patrioten. In ausgehöhlten Orangen transportierte sie die Informationen unauffällig auf ihren langen Wegen durch die Stadt. Neben Nachrichten und Information ließ La Pola den Kämpfern im Hinterland auch andere Dinge wie Zeitungen, Geld oder Munition zukommen. Eine ihrer wichtigsten Aufgaben war es zudem, Soldaten, die zum Dienst in der spanischen Armee gezwungen waren, zur Desertion und zum Anschluss an die patriotischen Kämpfer zu bewegen.
Als im Herbst 1817 patriotische Kuriere auf dem Weg ins Hinterland mit Informationen Policarpa Salavarrietas von spanischen Truppen festgenommen wurden, ließ Juan Sámano, Vizekönig des damaligen Neugranada, die Stadt nach La Pola absuchen. Da sie weiter ihrer konspirativen Tätigkeit nachging und sich weigerte, die Stadt zu ihrer Sicherheit zu verlassen, wurde sie schließlich festgenommen und in November 1817 vom Kriegsgericht zum Tode verurteilt.
Hinrichtung
Im Alter von ca. 22 Jahren wurde La Pola am 14. November 1817, gemeinsam mit sieben weiteren Unabhängigkeitskämpfern, auf der Plaza Mayor in Bogotá erschossen – vor einem großen Publikum, das vor allem die Hinrichtung der Frau sehen wollte. Ihre Erschießung erweckte viel Aufsehen in der Bevölkerung und ihr Auftreten kurz vor der Hinrichtung machten sie zur Märtyrerin und zu einem Symbol des standhaften Kampfes für die Unabhängigkeit. So soll sie sich gegen ihre Erschießung von hinten mit den Worten gewehrt haben, dies sei einer Frau nicht würdig, und der Bevölkerung angesichts ihrer Untätigkeit zornig zugerufen haben: „Du apathisches Volk! Wie anders wäre heute dein Schicksal, wenn du den Preis der Freiheit kenntest! Sieh, obwohl ich jung und eine Frau bin, habe ich genug Mut, diesen Tod und tausend Tode mehr zu sterben! Vergiss dieses Beispiel nicht!“
Andenken und Bedeutung La Polas
Bereits kurz nach ihrer Hinrichtung inspirierte Policarpa Salavarrietas Leben und Tod Dichter und Schriftsteller zu zahlreichen Gedichten, Biographien, Romanen und Theaterstücken. Ihre sterblichen Überreste befinden sich im Pantheon der Unabhängigkeitshelden in Bogotá. Ihr zu Ehren wurden Denkmäler in Guaduas und Bogotá errichtet und ein Platz in Bogotá nach ihr benannt; ihr Bild wurde auf kolumbianischen Münzen und Briefmarken abgebildet.
Viele Historiker und Biographen insbesondere im 19. Jahrhundert suchten La Pola zu einer klassischen weiblichen Unabhängigkeitsheldin zu stilisieren, indem sie v.a. ihre Tugendhaftigkeit und Schönheit betonten. Dennoch ist sie im heutigen nationalen Bewusstsein eine Heldin, die gerade auch für das nicht traditionell ‚Weibliche’ steht: Während die meisten Heldinnen der Unabhängigkeit als passive Opfer der spanischen Willkür gesehen und lediglich aufgrund des Festhaltens an ‚weiblichen’ Werten verehrt werden, geht La Pola als selbständig Handelnde – noch dazu aus der Unterschicht – in die Geschichte ein. Mit ihrer direkten Beteiligung an der conspiración dringt sie in den öffentlichen, ‚männlichen’, Raum ein und steht damit für ein anderes, nicht-traditionelles, Bild einer aktiven und kämpferischen Frau.
QUELLEN:
- Álvarez Guerrero, Rafael (1996): Policarpa, Una Heroína Genio...?; Centro de Historia de La Villa, Guaduas
- De Umaña, Enriqueta (1969): La Criolla, vida de Policarpa Salavarrieta; Ediciones Tercer Mundo
- Lenis, Andrés J. (1959): Policarpa Salavarrieta; in: Boletín de la Academia de Historia del Valle del Cauca, año XXVII, núm. 115; Cali, Julio de 1959
- Potthast, Barbara (2003): Von Müttern und Machos. Eine Geschichte der Frauen Lateinamerikas; Peter Hammer Verlag, Wuppertal 2003
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Über die Autorin:
Jenny Jungehülsing ist Politologin und promoviert an der Freien Universität Berlin über die Auswirkungen von Geldrücküberweisungen auf lokale Ökonomien im ländlichen Mexiko.
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