100 Jahre Weltfrauentag: Gender, Führung und die amerikanische Außenpolitik

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Heather Hurlburt ist Exekutivdirektorin des National Security Network

USA

Tagelange Demonstrationen haben zu einem Patt geführt; die Sicherheitskräfte behalten die Demonstranten aufmerksam im Auge, aber die müde Autokratie scheint unsicher, wie sie reagieren soll. Gerade als die Leidenschaft der Demonstranten zu verebben droht, trifft eine neue Menschenflut in den Straßen ein und schließt sich ihnen an; das Regime kollabiert und die Welt ist plötzlich eine andere.

2011 Ägypten?

Nein. Russland 1917, die Feier des Internationalen Frauentags in Petrograd. Arbeiterinnen haben beschlossen, ihren geplanten Protestmarsch zu Ehren des neuen Feiertags fortzusetzen - ein Marsch, zu dessen Abbruch sie die männlichen Genossen gedrängt haben. Angesichts der Demonstranten, die Bahnhöfe und Artillerie-Depots eingenommen hatten und begannen, sich mit den rekrutierten Soldaten zu verbrüdern, hatte das Militär den Rücktritt von Zar Nikolaus II. erzwungen. Die russische Revolution hatte begonnen. 

Viele amerikanische Leser wird es überraschen, dass der Internationale Frauentag eine US-amerikanische Schöpfung ist. Im Februar 1909 fand hier der erste Nationale Frauentag statt. Der Internationale Frauentag wurde zum ersten Mal im März 1911 in Dänemark, Deutschland, Österreich und der Schweiz verzeichnet. Die historischen Auswirkungen des Marschs auf Petrograd 1917 machten den 8. März zum fixen Datum. 

Was hat ein Feiertag, der mit dem spezifischen Ziel der Förderung von Frauen in Richtung Sozialismus gegründet worden war -- gewählt von einem Ausschuss, dem die ersten drei Parlamentarierinnen Finnlands angehörten, wo es in den Vereinigten Staaten bis dato gerade einmal drei weibliche Staatssekretäre gegeben hat, und viele junge Frauen aufgehört haben, Feminismus oder Sozialismus als wesentliches Element ihrer Selbst-Definition zu betrachten -- für uns 100 Jahre danach noch für eine Bedeutung? Was bedeuten diese Fakten an sich für die amerikanische Außenpolitik, und was bedeuten sie alle zusammengenommen für die Zukunft? 

Die Frauen, die den Internationalen Frauentag ins Leben gerufen haben, standen dem, was wir als Feminismus bezeichnen, eher ambivalent, wenn nicht gar feindlich gegenüber, weil sie ihn als potenzielle Ablenkung von der größeren Sache sozialer und wirtschaftlicher Reformen betrachteten. Sie glaubten daran, dass die Revolution das Anliegen von Frauen grundsätzlich vorantreiben würde. Aber bereits Clara Zetkin wie auch Alexandra Kollontai wussten entweder instinktiv oder begriffen allmählich, dass die Gleichstellung von Frauen nicht einfach von sich aus geschehen würde, was schließlich dazu führte, mit Feministinnen und Frauenrechtlerinnen in den USA, Großbritannien und ganz Europa gemeinsame Sache zu machen. 

Die gleiche Grundsatzdebatte könnte ebenso gut heutzutage in den USA geführt werden - und spielte sich in der Tat fast unbemerkt während der Präsidentschafts-Vorwahlen 2008 ab. War es wichtiger, eine Frau zu unterstützen – für ältere Feministinnen wie Marie Wilson war es maßgeblich „noch zu Lebzeiten eine Frau als Präsidentin zu sehen“ -- oder war es im Grunde genommen eher eine Beleidigung, wie es viele jüngere Frauen zu empfinden schienen, dass allein das Geschlecht für die Wahlpräferenz ausschlaggebend sein sollte? 

Gewiss ist die essentialistische Erwartung, die mehr als 100 Jahre zurückliegt, dass eine Beteiligung von Frauen in Politik und Gesetzgebung den Weltfrieden bringen würde, nicht erfüllt worden. Aber wir haben mehr Beweise als je zuvor, dass die bestimmte Art und Weise in der Führung und politischen Beteiligung von Frauen den wesentlichen Unterschied ausmacht. 

Gibt es diesen Unterschied wirklich? 

Von der Lebenserwartung über die Alphabetisierung der Kinder hin zur Schaffung von Arbeitsplätzen, hat eine Studie nach der anderen einwandfrei belegt, wie Botschafterin Susan E. Rice in der ständigen US-Vertretung der Vereinten Nationen auf dem Internationalen Frauentag am 8. März 2010 erklärte: „Je mehr Macht eine Gesellschaft den Frauen überträgt, desto stärker und wohlhabender wird sie sein.“ 

Als Madeleine Albright in ihrem Amt als erste weibliche Staatssekretärin im Jahre 1997 bestätigt wurde, gingen die Kommentare darüber viel mehr in Richtung Kompetenz und Symbolträchtigkeit als um unterschiedliche politische Auffassungen. Damals äußerte Präsident Clinton - Jahre, bevor es für irgendwen ersichtlich war, dass Frau Clinton vielleicht eines Tages selbst den Posten besetzen würde - dass seine Frau ihn dazu gedrängt hatte, Albright gegenüber den männlichen Anwärtern den Vorzug zu geben, „weil du nur wenn du Madeleine einsetzt, jemanden auswählst, der deine Werte teilt, eine beredte Verteidigerin deiner Außenpolitik ist, und auf die zudem noch jedes Mädchen stolz sein wird.“ 

Aber was, wenn in der Tat der Wachstum in der formalen politischen Macht der Frauen stagniert? Die amerikanische Botschafterin, Akademikerin und Aktivistin Swanee Hunt argumentierte 2007, dass während globale Studien die positiven Auswirkungen von Frauen auf die Staatsführung belegten, Frauen ihre Kräfte anscheinend eher außerhalb der Regierungsämter konsolidierten: 

 
Viele der besten und intelligentesten Frauen scheuen die Politik. Frauen üben ihren Einfluss eher in Nichtregierungsorganisationen (NGOs) als in öffentlichen Ämtern aus. 

Was Botschafterin Hunt im Jahr 2007 schrieb, lässt sich sehr wohl auch auf die amerikanische politische Szene 2011 übertragen. Neben Außenministerin Clinton hat die Obama-Administration drei Posten mit hochkarätige Frauen auf dem Gebiet der nationalen Sicherheit besetzt: Janet Napolitano als Heimatschutzministerin, Susan Rice als Botschafterin bei den Vereinten Nationen und zum ersten Mal eine Frau als Nummer Drei des Pentagons, die hoch angesehene Michele Flournoy. (Flournoy ist weithin für ihr tiefgründiges Politikverständnis und für ihr Engagement in Bezug auf familienfreundliche Lösungen anerkannt; ihr Team gilt allgemein als die beste Stelle im nationalen Sicherheitsapparat, für Frauen sowohl als auch für Eltern, gleich welchen Geschlechts.) 

Jenseits dieser hochkarätigen Besetzungen zeigt sich jedoch ein uneinheitlicheres Bild. Auf dem Bildmaterial von hochrangigen Treffen im Weißen Haus treten Frauen kaum in Erscheinung, weder unter den Mitgliedern des Nationalen Sicherheitsrats noch auf den Unter-und Ministerial-Ebenen, bei Staat, Verteidigung und Heimatschutz. Während die Vertretung der Frauen im US-Senat dauerhaft bei 17:100 lag, sank die Vertretung der Frauen im Repräsentantenhaus zum ersten Mal in 32 Jahren . Die Anzahl der weiblichen Gouverneure reduzierte sich sogar um ein Drittel nach den Wahlen 2010, von 9 auf 6, trotz der Wahl der republikanischen Gouverneurinnen in New Mexico, Oklahoma und South Carolina. 

Die Stärke des Denkens in Beziehungsstrukturen

Vor 100 Jahren spiegelte die Entstehung des Internationalen Frauentags und seine Bedeutsamkeit für die politischen Entwicklung der damaligen Zeit die Entschlossenheit der Frauen, ihre Rechte durchzusetzen, wider, aber zugleich auch die zunehmende Veränderung in der Auffassung des Volks über seine Beziehung zur Regierung, woraus der Frauenkampf als ein Teil hervorging.

Der Aufstieg und Erfolg der drei US-Staatssekretärinnen und ihrer Kolleginnen in anderen Einrichtungen könnte in dieses breiter angelegte Modell passen – von einer globalisierenden Welt, in der eindeutige Hierarchiestrukturen immer mehr von anpassungs- und wandlungsfähigen Netzwerken abgelöst werden; wo die Macht sich noch immer durch Waffeneinsatz zeigt, aber zunehmend auch vom Kabelfernsehen, Tastaturen und elektronischen Marktplätzen ausgeht, wo die örtlichen Behörden manchmal unerwartet von weit entfernten ausgestochen werden - und umgekehrt. 

Anne-Marie Slaughter, Dekan an der Woodrow Wilson School in Princeton, die gerade eine zweijährige Regierungsstelle als Leiterin im Planungsstab des Außenministeriums (die erste Frau auf diesem Posten) absolvierte, hat eine Anschauung vorgeschlagen, die diese disparaten Elemente möglicherweise wieder zusammenführt: dass die vorzugsweise von Frauen adaptierte Weltbild, ob anerzogen oder angeboren, eher der Gesinnung entspricht, die zu dem hochgradig vernetzten 21. Jahrhundert passt. Sie schrieb dazu: 

Vor fast 30 Jahren berichtete die Psychologin Carol Gilligan über die Unterschiede in den Denkweisen der Geschlechter. Sie beobachtete, dass Männer oftmals die Welt in Machthierarchien unterteilt wahrnehmen und versuchen, darin nach oben zu kommen, während Frauen die Welt als weitreichendes Geflecht von Beziehungen betrachten und versuchen, sich in deren Mitte zu bewegen. Gilligans Beobachtungen lassen sich vielleicht eher auf Erziehung und Erfahrung, denn auf instinktives Handeln zurückzuführen; dessen ungeachtet stehen die beiden Betrachtungsweisen für die Unterschiede zwischen der Welt des zwanzigsten und des einundzwanzigsten Jahrhunderts.

Die Herausforderung besteht also darin, für die nächsten 100 Jahre Weltfrauentag sicherzustellen, dass die Frauen im Zentrum unserer vernetzten Welt die Möglichkeit erhalten, Wege frei zu schaufeln und Netzwerke aufzubauen, die es anderen Frauen ermöglichen, ihnen nachzufolgen - und dass sie die Grundzüge ihrer vernetzten Weltsicht nicht nur an ihre Töchter, sondern auch an ihre Söhne weitergeben.

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