(Originaltext auf frautenrat.de)
Es gibt kein Reservat für Kulturen
Im Eingangsplädoyer würdigte Beate Rudolf, Direktorin des Deutschen Instituts für Menschenrechte, nicht nur die Entstehung von CEDAW, sie hob vor allem auf deren Potenzial ab. CEDAW sein „kein Selbstläufer“ gewesen. Stattdessen habe sich die Frauenrechtskonvention hartnäckig gegen jahrzehntelange Vorbehalte gegen Menschenrechtsregelungen auf der Ebene der Völkergemeinschaft durchgesetzt. Als wesentlichen Motor dafür nannte Rudolf die UN-Weltfrauenkonferenz 1975 in Mexiko, die darauffolgende UN-Dekade der Frau und die Konferenz 1980 in der Mitte der Dekade in Kopenhagen. Damals sei es gelungen, „Frauen weltweit um das Ziel der Gleichberechtigung zu scharen“ und somit eine genügend große „kritische Masse“ zu erzeugen, die CEDAW auf den Weg gebracht habe. Wäre ein solches Abkommen heute noch möglich? Die (rhetorische) Frage der Referentin wurde von der großen Mehrheit der Teilnehmerinnen skeptisch verneint.
Rudolf betonte die zentrale Bedeutung von CEDAW als institutionalisierte Garantie der Menschenrechte für Frauen weltweit; und sie mahnte Regierungen und NGOs, das Abkommen konsequenter in die internationalen und nationalen Politiken einzubringen und dabei auf seiner Allgemeingültigkeit zu beharren. Sie nannte dafür Beispiele: Bei den aktuellen Verhandlungen um die Zukunft Afghanistans sei die internationale Gemeinschaft „aus Gründen der Realpolitik“ zu schnell bereit, die Gleichberechtigung von Frauen zur Verhandlungsmasse herabzustufen, mit der Begründung, dass dieser „westliche Wert“, dort leider kulturell nicht verankert sei. Das Recht auf gleiche politische Teilhabe aber sei ein universelles Menschenrecht, es gelte für alle und sei nicht relativierbar. Es stehe damit über kulturellen Gepflogenheiten und Traditionen, es beinhalte auch die Freiheit, sich für oder gegen eine Kultur zu entscheiden und an Veränderungen mitzuwirken. „Es gibt kein Reservat für Kulturen“, betonte Rudolf. Vor ähnlichen Entwicklungen wie in Afghanistan warnte sie mit Blick auf die nordafrikanischen Länder: Bloggerinnen, Journalistinnen, Studentinnen seien ganz wesentlich am arabischen Frühling beteiligt gewesen. In den neuen Machtstrukturen aber träten sie nun kaum in Erscheinung. „Wo sind die Frauen im libyschen Übergangsrat?“ Es sei eine internationale Verpflichtung, „die neuen Machthaber an CEDAW zu erinnern, aber auch Druck auf die eigenen Regierung auszuüben, ihre Kooperationen mit den neuen Regierungen an diesem Abkommen zu messen. „Das Potenzial von CEDAW liegt entweder in uns oder nirgends“, so Rudolf.
NGO-Alternativberichte: große Resonanz bei CEDAW-Ausschuss
In einer anschließenden Podiumsdiskussion ging es vor allem um den Einsatz und die Umsetzung von CEDAW in der deutschen (Gleichstellung-)Politik. Elisabeth Botsch vom Vorstand des Deutschen Frauenrates sprach von den positiven Erfahrungen von Frauen-NGOs in Deutschland bei der Verfassung von Alternativberichten zu den regelmäßigen Berichten der Regierung vor dem CEDAW-Ausschuss. Besonders der jüngste Bericht von November 2008, den 29 Verbände und Gruppen in einer „Allianz von Frauenorganisationen“ gemeinsam zum 6. Staatenbericht der Bundesregierung verfasst hätten, habe einen wichtigen Kontrast zu den offiziellen Regierungsdarstellungen gebildet und sei beim CEDAW-Ausschuss auf große Resonanz gestoßen. Viele kritische Befunde der NGOs seien in die späteren Empfehlungen bzw. Rügen des CEDAW-Ausschlusses an die Bundesregierung eingegangen.
CEDAW: für Bundesfrauenministerium wichtiges Instrument
Eva Maria Welskop-Deffaa, Abteilungsleiterin im Bundesfrauenministerium und einzige Regierungsvertreterin auf dem Podium, hob CEDAW ebenfalls als wichtiges Instrument der Gleichstellung hervor und betonte die Unterstützung ihres Ministeriums auch bei der Erstellung der Alternativberichte. Im Übrigen interpretierte sie die Empfehlungen des CEDAW-Ausschusses an die Bundesregierung deutlich positiver als die NGO-Vertreterinnen. Kritik an der aktuellen Gleichstellungspolitik ihres Ministeriums wies sie zurück, sie lobte den neuen Ansatz der Lebensverlaufsperspektive im ersten Gleichstellungsbericht der Bundesregierung und hob drei aktuelle gleichstellungspolitische Schwerpunktthemen hervor: Minijobs, Frauen in Führungspositionen und Entgeltgleichheit.
Geschlechterrollenbilder behindern freie Entwicklung
Margarete Schuler-Harms, Mitglied der Sachverständigenkommission für den Gleichstellungsbericht der Bundesregierung sprach sich ebenfalls positiv über einen Lebensverlaufsansatz für die Analyse und Entwicklung der Gleichstellungspolitik aus. Als Beispiel hob sie die Einübung und Verfestigung von Geschlechterrollenbildern hervor. Sie wirkten wie „Spurrillen“, aus denen nur schwer herauszukommen sei, und als größte Einschränkung bei der freien Entwicklung von Frauen aber auch von Männern.
Antidiskriminierungspolitik: vorteilhaft für Frauen und Männer
In einem „Zwischenruf“ hatte Matthias Lindner vom neuen Bundesforum Männer bereits davor zentrale Forderungen an die Gleichstellungspolitik aus Sicht von Männern formuliert. Er beklagte ein Vereinbarkeitsproblem für Väter; Teilzeit arbeitende Männern würden stigmatisiert, die Entgeltungleichheit verfestige die Geschlechterrollen, unter denen auch Männer litten. Er forderte die Abschaffung der Minijobs, mehr Aufmerksamkeit für die Gesundheit von Männern und die Situation von Männern als Opfer von Gewalt im privaten und öffentlichen Raum.
Beate Rudolf warnte davor, Männerpolitik gegen Frauenpolitik „in Stellung“ zu bringen. Antidiskriminierungspolitik, wie sie in CEDAW festgeschrieben sei, brächte Vorteile und Entwicklungsmöglichkeiten für beide Geschlechter.
Intersexuelle: Gerechtigkeit duldet keinen Aufschub
In einem weiteren, sehr eindrücklichen „Zwischenruf“ klagte Lucie Veith vom Verein Intersexuelle Menschen, auf der Grundlage von CEDAW das Recht ein, dass kein Mensch in ein Geschlecht gedrängt werden darf, dass er oder sie nicht will. Sie sprach von den Tausenden von Kindern, die mit Merkmalen beider Geschlechter geboren würden und mit Zustimmung der oft verunsicherten Eltern per medizinischem Eingriff ein “eindeutiges“, meist weibliches, Geschlecht erhielten. Damit werde ihr fundamentales Recht verletzt, über ihre Geschlechtsidentität selbst zu entscheiden, so Veith. Die Klage der intersexuellen InteressensvertreterInnen war vom letzten CEDAW-Ausschuss aufgenommen worden; der Bundesregierung war ein „Dialog“ mit den Betroffenen nahegelegt worden. Tatsächlich wurde der Deutsche Ethikrat von der Bundesregierung damit betraut, das Problem zu sondieren. Für Lucie Veith ein viel zu langsames Prozedere. Während der Ethikrat rede, seien weitere rund tausend Kinder geschlechtsverändernden Operationen ausgesetzt oder davon bedroht, kritisierte sie. Im Übrigen betonte sie, dass Dank CEDAW das Thema Inter- bzw. auch Transexualität überhaupt in die Öffentlichkeit hätte dringen können. 30 Jahre CEDAW – das bedeute „jung, intelligent, mutig“, so Veith.
Mehrere Teilnehmerinnen forderten in der anschließenden Diskussion von der Bundesregierung, unabhängig von den Debatten und Empfehlungen des Ethikrates der Operation intersexueller Kinder sofort einen gesetzlichen Riegel vorzuschieben. Schließlich dulde Gerechtigkeit keinen Aufschub.
---
Mehr zum Thema 30 Jahre CEDAW:
- Barbara Lochbihler: Meilenstein gegen Diskriminierung: 30 Jahre UN-Frauenrechtskonvention
- Barbara Unmüßig: CEDAW – von Papiertigern und Tigern