Auf den ersten Blick erscheint es wie ein Paradebeispiel für kreatives weibliches Selbstmanagement: In der 2. Ausgabe der Zeitschrift Brigitte MOM im Jahre 2012 werden fünf Frauen porträtiert, die sich nach der Geburt ihrer Kinder für eine berufliche (Klein-)Selbständigkeit entschieden haben. Diese Frauen haben es also verstanden, Beruf und Familie miteinander zu verbinden. Tatsächlich? Zumindest ist es ein verständlicher Weg in einer Arbeitswelt, die hier zu Lande leider immer noch alles andere als familienfreundlich strukturiert ist. Bedenkt man allerdings, wie sich dieser Weg mittel- und langfristig auswirkt, so ist er für das Lebenserwerbseinkommen und die Alterssicherung dieser Frauen hoch problematisch.
Frau B. war nach ihrem Studium bis zur Geburt ihrer Tochter im Produktmanagement einer großen Mobilfunkfirma erfolgreich tätig. Genau zu dem Zeitpunkt, als sie schwanger wurde, erhielt sie ein Angebot von ihrem Chef, im global agierenden Unternehmen eine Managementposition in Großbritannien zu übernehmen. Nach ihrer Rückkehr in Teilzeit musste sie die bittere Erfahrung machen, dass die interessanten Projekte jetzt den kinderlosen Kolleginnen und Kollegen übertragen wurden und sie nicht mehr als vollwertige Fachkraft galt.
Nach der Elternzeit: Kuscheldecken und Spielzeug verkaufen
Kurzerhand entschließt sie sich daraufhin, mit einer Freundin einen Erotik-Onlineshop für gehobene Ansprüche zu eröffnen. Die Geschäftsidee greift, sie arbeitet jetzt zwei Tage pro Woche und kann nun Beruf und Familie gut verbinden. Außerdem findet sie Zeit für ihre persönlichen Hobbys. Als Ehefrau ist sie in der Krankenkasse ihres Mannes mitversichert, ebenso ihr gemeinsames Kind. Andere der porträtierten Mütter stellen − nachdem sie jahrelang in qualifizierten Berufen als Medienfachfrau einer öffentlich-rechtlichen Fernsehanstalt oder als Eventmanagerin in einem Großunternehmen erfolgreich tätig waren – nach der Geburt ihrer Kinder Bio-Eis her, verkaufen Kuscheldecken und Kinderspielzeug oder erstellen Stadtteilzeitungen, die sich zum Teil über Anzeigen finanzieren. Sie alle haben offenkundig gut verdienende Ehemänner.
Was diese Geschichten nicht erzählen: Was passiert, wenn die Ehe scheitert? Die wirtschaftlichen Konsequenzen dieses Ernährermodells werden weder öffentlich noch privat adäquat abgesichert; die Kosten tragen allein die betroffenen Frauen. Das Versprechen einer privaten Absicherung der unbezahlten Sorgearbeit durch Unterhalt oder zum Beispiel durch die Mitversicherung in der Krankenkasse des Partners erweist sich als trügerisch – und zwar nicht erst seit der Unterhaltsrechtsreform von 2008.
Der erwähnte Beitrag aus der Zeitschrift Brigitte MOM klärt seine Zielgruppe leider mit keinem Wort über diese Aspekte frei gewählter beruflicher (Schein-)Selbständigkeit auf; er sieht in diesen Projekten lediglich einen Beleg dafür, wie kreativ sich Mütter "beruflich neu erfinden ".
Auf ein Leben gerechnet: Durchschnittlich 58 Prozent weniger Lohn
An dieser Stelle lohnt die Lektüre des Ersten Gleichstellungsgutachtens für Deutschland: Experten und Expertinnen haben systematisch herausgearbeitet, welche langfristigen Folgen bestimmte Entscheidungen von Frauen und Männern haben, die sie im Laufe ihres Lebens treffen. Zum Beispiel, wie es sich auf die Alterssicherung auswirkt, wenn sie ihre Erwerbsarbeit unterbrechen. Allein die beiden folgenden Prozentzahlen veranschaulichen die hohe Erklärungskraft dieser Forschung: Aktuell beträgt der Gender Pay Gap, das heißt, die Differenz in den durchschnittlichen Stundenlöhnen von Männern und Frauen in Deutschland, etwa 22 Prozent. Über diesen Befund ist in letzter Zeit viel diskutiert worden, zumal die Differenz so hoch ausfällt wie in kaum einem anderen europäischen Land. Es zeigt sich jedoch, dass sie – blickt man auf die gesamte Biografie – sogar noch weit größer ist: Bei Frauen der Geburtenjahrgänge 1936 bis 1955 beträgt sie durchschnittlich 58 Prozent.
Diese gravierende Einkommenslücke ist ein harter Indikator, der jede Illusion über den Stand erreichter Gleichstellung in der Bundesrepublik Deutschland ad absurdum führt. Sie ist das Resultat der schlechteren Entlohnung in den typischen Frauenberufen, sie ist aber auch eine Folge von mentalen Barrieren und Vorurteilen bei Arbeitgebern. Sie resultiert weiter aus der Entscheidung vieler Frauen, ihre Erwerbsarbeit zu unterbrechen und damit ein geringeres Lebenseinkommen in Kauf zu nehmen – weil sie die generative Sorgearbeit für Kinder, hilfe- und pflegebedürftige Angehörige übernehmen wollen oder müssen.
Beim Wiedereinstieg: Auffällige Narben - im Lebenslauf
Diese Entscheidungen werden natürlich nicht losgelöst von partnerschaftlichen beziehungsweise familiären Bindungen, den sogenannten "linked lives " (verbundenen Lebensläufen) getroffen, meistens auch einvernehmlich. Das ändert aber nichts daran, dass Unterbrechungen der Erwerbsarbeit und Phasen der Teilzeitarbeit auffällige "Narben " in den weiblichen Lebensläufen hinterlassen, die sich nicht nur in verminderten Einkommens- und Karrierechancen manifestieren. Grundsätzlich ist zu beobachten, dass Arbeitgeber gemäß tradierter Rollenvorstellung erwarten, dass Frauen wegen der Betreuung ihrer Kinder oder Angehörigen aussteigen, und deshalb weniger in die Weiterbildung und Karriereentwicklung weiblicher Beschäftigter investieren; egal ob sie diesen Weg gehen oder nicht.
Das Ausmaß der verschenkten weiblichen Bildungs- und Qualifikationspotentiale ist in Deutschland immens hoch. Frauen werden zunächst Höchstleistungen im Studium der Medizin, Geschichte, von Jura, Erziehungswissenschaften oder Betriebswirtschaft abverlangt, um ihnen dann aber im Ehestand – nach Geburt des ersten Kindes – den Verzicht auf eine ambitionierte Berufstätigkeit durch entsprechende steuerliche (Fehl-)Anreize nahezulegen.
Diese Mütter bleiben als Hausfrau oder 400-Euro-Minijobberin weit unter ihren beruflichen Möglichkeiten und verwerten ihre ebenfalls aus Steuergeldern finanzierte Ausbildung suboptimal und rein privat, indem sie nachmittags das Bildungs- und Freizeitprogramm für ihre Kinder übernehmen und dem Gatten den Rücken von der generativen Sorgearbeit freihalten. Scheitert eine solche Ehe nach 12 Jahren, wird allerdings von der Frau nach der Reform des Unterhaltsrechts verlangt, dass sie nunmehr ihren Lebensunterhalt durch Erwerbsarbeit vollständig selbst erwirtschaftet – ihre Chancen auf einen ihrer Ausbildung entsprechenden Arbeitsplatz sind nach dieser langen Auszeit allerdings meist schlecht; sie muss dann auch unterhalb des erworbenen Qualifikationsniveaus einen Job annehmen. Mit anderen Worten: Das Recht regelt keine nacheheliche Statussicherung mehr nach dem Motto " Einmal Zahnarztgattin, immer Zahnarztgattin ".
Nach der Ehe: Keine Hilfe für neue Lebensmodelle
Das geht im Prinzip ja auch völlig in Ordnung. Problematisch ist allerdings, dass die Politik durch Splittingvorteile und die Mitversicherung in der Krankenkasse des Ehemanns (Fehl-)anreize setzt, auf das eigene Einkommen zu verzichten – erwartet aber finanzielle Eigenverantwortung, sobald jemand eine andere Lebensform wählt. Politik verfährt demnach widersprüchlich und ermöglicht derzeit gerade keine Gestaltungsfreiheit für Frauen und Männer; sie sichert Übergänge im Lebensverlauf eben nicht angemessen ab – genauso wenig wie Phasen der Sorgearbeit. Politik widersetzt sich bisher dem längst überfälligen Paradigmenwechsel hin zur Individualbesteuerung aller Personen im erwerbsfähigen Alter.
Als individuelle Strategie ist Frauen deshalb dringend zu raten, von Anfang an um eine faire Verteilung von Erwerbs- und Sorgearbeit mit ihrem Lebenspartner zu ringen, Langzeitfolgen nüchtern abzuschätzen, sich nicht auf die Steuerklassenkombination III / V einzulassen und ein freiwilliges Rentensplitting während der Ehe zu vereinbaren – ein Verfahren, bei dem beiden Partnern gleich hohe Beiträge zur gesetzlichen Rentenversicherung als Ausdruck gemeinschaftlicher Lebensleistung angerechnet werden.
22 Prozent
weniger verdienen Frauen derzeit im Vergleich zu Männern.
58 Prozent
sind es sogar bei Frauen der Geburtsjahrgänge 1936 bis 1955.
142 Euro
Das ist der Rentenanspruch von Frauen, die ab ihrem 35. Lebensjahr einen 450-Euro-Job ausüben bis sie 2045 in Rente gehen. (s.Wiedereinstiegsrechner: BMFSFJ 2012)
76 Prozent
der Minijobberinnen haben seit ihrem ersten Minijob keine sozialversicherungspflichtige Beschäftigung mehr ausgeübt. Damit hat der Minijob eine «schnell einsetzende und hohe Klebewirkung», insbesondere bei verheirateten Frauen. Die erhoffte Brücke in ein normales Beschäftigungsverhältnis kam mehrheitlich nicht zustande (Wippermann 2012).
0,5 Millionen Euro
mehr an Erwerbseinkommen erzielt der deutsche Durchschnittsmann im Lebensverlauf im Vergleich zur Durchschnittsfrau. Je höher das Ausbildungsniveau, desto größer ist der geschlechtsspezifische Einkommensabstand.
(1. Gleichstellungsbericht 2011)
Böll.Thema 2/2013
Wie frei bin ich? Schwerpunkt: Lebensentwürfe in Bewegung
Unser aktuelles Magazin liefert Analysen, Denkanstöße und praktische Vorschläge, wie für die eigenständige Existenzsicherung politische und gesetzliche Weichen gestellt werden können. Mit Beiträgen von Barbara Unmüßig & Susanne Diehr, Uta Meier-Gräwe, Heide Oestreich, Astrid Rothe-Beinlich, Götz Aly, Julia Friedrichs, Chris Köver, Ulrike Baureithel u.v.a.