Kevin Mwachiro, Autor von „Invisible – Stories from Kenya's Queer Community“, spricht in einem Video-Interview mit Caroline Ausserer über die Entstehung des Buches, die Situation in Kenia und seine Vorstellung von einer queeren Zukunft seines Landes.
Caroline Ausserer: Was hat dich zu diesem Buch motiviert?
Kevin Mwachiro: Es fing an, als wir gerade das Out Film Festival mit dem damaligen Direktor Johannes Hossfeld am Goethe Institut 2012 in Nairobi organisiert hatten. Wir waren überwältigt von der Anzahl der Menschen, die zum Festival erschienen sind. Da dachten wir, dass wir – wenn wir dies abziehen können – schauen sollten, was wir sonst noch erreichen können. Das ist die Genese des Buches.
Wie ist die Situation von queeren Menschen in Kenia?
Es kommt immer darauf an, wo man lebt. Die Menschen wissen, dass es Homosexualität gibt, aber die überwiegende Stimmung ist, dass Leute es begrüßen würden, wenn es ihnen nicht unter die Nase gerieben würde. Es gibt ein beträchtliches gesellschaftliches Stigma, das die Menschen noch überwinden müssen. Aber mit Binyavanga Wainaina, einem kenianischen Schriftsteller, der sich geoutet hat, und einer Menge anderer schwul-lesbischer Persönlichkeiten, die in den Medien aufgetreten sind, wird Leuten eine andere Perspektive auf Sexualität gezeigt, eine selbstsicherere. Es ist meistens in urbanen Gebieten, dass Menschen darüber sprechen. Ich kann nicht erkennen, ob es einen höheren Grad der Akzeptanz gibt, aber man kann sein Leben so leben, wie man will. Wir haben noch nicht so viele Räume, die wir als die Unsrigen geltend machen könnten; es gibt immer noch Einschüchterung, Erpressung; Menschen werden immer noch bedroht. Aber es ist nicht die Regel. Wenn man gut damit leben kann diskret zu sein, kann man sein Leben leben.
Wie ist die rechtliche Situation in Kenia? Wie ist sie im Vergleich zu anderen Ländern wie Nigeria oder Uganda, wo es schlimmer wird?
Wir haben immer noch das Strafgesetzbuch, das Handlungen wider die natürliche Ordnung gesetzlich verbietet. Menschen diskutieren über diese Angelegenheit, aber ich bin kein Rechtsexperte. Man kann sagen, dass es nicht illegal ist, in Kenia schwul zu sein. Allerdings werden homosexuelle Handlungen als illegal betrachtet.
Wie reagiert die LSBTI-community in Kenia auf die jüngeren Entwicklungen in anderen afrikanischen Ländern, wie etwa Nigeria und Uganda?
Es gibt viel Kontakt zu den Mitgliedern der Bewegung über den Kontinent hinweg, in Uganda und Nigeria. Unlängst gab es Demonstrationen vor den Botschaften von Uganda und Nigeria hier, um Solidarität zu bekunden, und die community informiert sich über die Entwicklungen und bietet moralische Unterstützung an.
Warum bevorzugst den Begriff „queer“ gegenüber LSBTI in deinem Buch?
Da es sich um ein konservatives Land handelt, dachte ich, dass Leute nicht in der Öffentlichkeit mit einem Buch herumlaufen könnten, wenn das Wort „schwul“ draufsteht. Außerdem ist es nicht nur über schwule und lesbische Menschen. Es geht auch um bisexuelle, Transgender- und Intersex-Menschen. Ich hatte mir eine Situation vorgestellt, bei der ein normaler Straßenverkäufer das Buch auf seinem Tisch auslegen kann. Die Menschen haben immer noch Vorurteile gegenüber dem Wort „schwul“. Wenn „Invisible“ dies gehabt hätte, glaube ich nicht, dass es gut aufgenommen worden wäre. „Queer“ ist auch nicht unumstritten. In einigen Kulturen wird er als ein politisch inkorrekter Begriff betrachtet. Wir fangen gerade erst an, uns den Begriff zu Eigen zu machen und damit auf Akzeptanz zu stoßen. Er hat eine Kontroverse entfacht; manche Leute denken, er sei beleidigend. Aber er ist da, um Debatten zu eröffnen und ist leichter lesbar für die Leute.
Und auch um Platz zu schaffen für eine Vielfalt von Menschen mit verschiedenen Geschlechtsidentitäten oder sexuellen Orientierungen. Also, warum der Titel „Invisible“?
Weil wir für manche Menschen unsichtbar sind. Manche Leute entscheiden, schwul-lesbische Leute unsichtbar zu machen. Manchmal fühlt man sich unsichtbar. Es ist weder ausschließlich gut noch schlecht. Indem man unsichtbar ist, kann man sein Leben so leben wie man will, ohne dass sich jemand in das Leben einmischt. Aber aufgrund der Tatsache, dass die Gesellschaft entscheidet, uns - die LSBTI-community - unsichtbar zu machen, indem sie sich manchmal weigert, die Existenz von queeren Menschen anzuerkennen, habe ich den Titel „Invisible“ gewählt.
Wie war die Reaktion?
Sie war interessant. Sie war vor Ort wesentlich besser, aIs ich es mir hätte vorstellen können. Die Menge der Geschichten berührt mich, weil dies kenianische Geschichten sind. Man kann nicht mehr sagen, dass es in Kenia nicht existiert. Diese Erzählung verändert sich. Dies sind kenianische Geschichten. Heute Morgen erhielt ich eine interessante Nachricht von einem Freund, der mir von einem Jungen erzählte, der kämpfen musste und auf eine Ausgabe dieses Buches stieß, sich outete und sagte, dass es dies ist, womit er ringt, und er dachte, dass er allein sei. Es ist hart mitzubekommen, dass Leute sagen, dass sie allein seien - trotz des Internets mit so vielen Informationen über Sexualität. Aber wenn man keine Leute hat, mit denen man sprechen kann und keine Geschichten hat, die einen Bezug zu deiner Umwelt haben, kann es tatsächlich sehr einsam sein. Wenn man solche Geschichten hört, dann versetzt es mich in Aufregung. Es bestätigt die Arbeit, die ich verrichtet habe. Ich habe überwältigende Unterstützungsnachrichten von meinen Freund_innen und einigen Teilen meiner Familie erhalten, die mir mitteilten, dass das, was ich getan habe, sehr mutig war.
Wie bist du an die Autor_innen des Buches herangekommen?
Es war schlicht die Frage, eine lange Liste von Leuten, davon einige Freund_innen, einige davon Bekannte, aufzuschreiben. Aber dann dachte ich, dass ich der lesbisch-schwulen community damit nicht gerecht würde. Daher bin ich umhergezogen und habe Leute gefragt. Als ich ihr Vertrauen erworben hatte, willigten sie ein, Teil des Buches zu werden, und so habe ich die Geschichten für das Buch gesammelt. Die Geschichten derjenigen, die damit einverstanden waren, wurden schließlich veröffentlicht.
Wie lange hast du daran gearbeitet?
Ungefähr 15 Monate.
Dies sind alles sehr mutige Geschichten, sehr intim, schmerzhaft. Als ich das Buch las, hatte ich den Eindruck, dass es dort so viel Leid gibt, aber auch das Gefühl der Befreiung darüber, sein eigenes Leben leben zu dürfen. Kannst du ein übergreifendes Problem oder gemeinsames Thema erkennen?
Das hast du schön formuliert. Es gibt diesbezüglich ein Element. Es gibt den steinigen zweifelnden Teil, wo man glaubt man sei allein; man ist verwirrt über seine Sexualität; man will seine Sexualität in Ordnung bringen, es richtig machen. Dies geschieht bevor man sich selbst akzeptiert wie man ist. Es gibt viele, die es einfach richtig machen wollen im Sinne der Gesellschaft. Wenn ich zurückblicke, gibt es diesen gemeinsamen roten Faden, aber letzten Endes ist es Selbstakzeptanz, die wichtig ist für die Menschen, die mit ihrer eigenen Sexualität oder Genderfragen ringen. Es geht darum zu sagen: Es ist in Ordnung. Wir haben alle unsere eigene Genese, und man wird irgendwann an den Ort gelangen, an dem man sich mit sich selbst wohl fühlt. Alle Menschen, die ich befragt habe, haben diesen Weg zurückgelegt.
Was sollte sich in Kenia ändern, um das Leben von queeren Menschen zu erleichtern?
Ich glaube, dass wenn sich mehr Menschen outen würden, um diesen Raum einzufordern – das wäre meiner Meinung nach eine Sache. Diesen Raum geltend zu machen, zu sagen, wir sind Kenianer_innen, und wir sind schwul oder lesbisch. Wenn mehr Menschen sichtbarer würden, das ist also eine Sache. Die Gesellschaft muss sich zu einer Gesellschaft verändern mit einer vorteilhafteren Umgebung. Und, als Drittes, müsste sich auch das Recht ändern.
Damit würde sich der „Mythos“, dass Homosexualität unafrikanisch sei, als unzutreffend erweisen, da viele queere Menschen in Kenia sichtbar würden.
Ich glaube, dass das Buch diesen Mythos in Frage stellt. Ich hoffe, dass das Buch dies bewirkt.
Was ist deine Vision von einer queeren Zukunft in Kenia?
Meine Glaskugel? Es ist eine, in der es ein queeres Kenia gibt, das mit ähnlichen Elementen eine Universalität teilt, aber auch eins, dass sich innerhalb des afrikanischen Raumes definiert. Das liegt in unserer DNS als Afrikaner_innen. Vor einem eher westlich orientierten Hintergrund neige ich dazu, mehr in der Art zu denken. Es gibt Menschen, die sich vielleicht nicht als schwul oder lesbisch definieren, jedenfalls nicht gemäß der westlichen Wahrnehmung von schwul oder lesbisch. Aber ich hoffe, es wird ein Ort, in dem sich eine afrikanische schwul-lesbische Identität für sich etabliert und sich mit sich selbst wohl fühlt und zur weiteren globalen schwul-lesbischen Identität beiträgt. Ich hoffe, das macht Sinn.
Das macht sicherlich Sinn, auch wenn man die Vielfalt der Begriffe bedenkt, die es in verschiedenen Kulturen für das Konzept der Homosexualität gibt...
Vor langer Zeit hörte ich von einem Paar, beides ältere Fischer, die in einer Beziehung waren. Aber beide hatten auch Frauen. Wenn die Dinge vielleicht anders wären, hätten sie das nicht so gewählt. Aber das kann ich nicht beurteilen. Sie verbrachten viel Zeit miteinander… Es ist schwierig, wenn Menschen Kinder haben wollen oder sie ein Element ihres Glaubens bewahren möchten. Manche Menschen finden es schwierig Dinge unter einen Hut zu bringen (Religion und Homosexualität, z.B.). Es sollte den Raum geben, diese Übereinstimmung herzustellen und zu verstehen, dass afrikanische oder kenianische Sexualität so organisch wächst, wie es am besten passt.
Ich habe viel über die Kämpfe in deinem Buch gelernt und bewundere deine Autor_innen und möchte mich dafür und für dieses interessante Gespräch bedanken!