13. März 2015
Die erste Woche der UN-Frauenrechtskommission erscheint mir wie im Flug vergangen, kaum eine Atempause. Kaum Zeit, die Vielzahl der Veranstaltungen und Gespräche, Netzwerktreffen und Eindrücke annähernd wieder zu geben.
Women in Armed Conflicts – Prosecuting Sexual and Gender based War Crimes
Für mich im Vordergrund natürlich unsere beiden eigenen Veranstaltungen zu „Women in Armed Conflicts – Prosecuting Sexual and Gender based War Crimes” mit besonderem Fokus auf Kolumbien. Erleichterung, als unsere drei kolumbianischen Referentinnen gut angekommen sind. Gemeinsame Vorbesprechungen, letzte Vorbereitungen – und dann die 1. Diskussion am 11.3. im Armenian Convention Center, dem Veranstaltungsort zwei Straßenzüge vom offiziellen UN-Gebäude entfernt. Hier findet ein Teil der zivilgesellschaftlichen Veranstaltungen im Rahmen der Frauenrechtskommission statt – der Eingang ist – anders als zur UN - unkompliziert und ohne jede Kontrolle.
Ein bisschen ärgerlich für uns im Vorfeld, das eigens her geschickte Info-Material, unter anderem Ankündigungsflyer sind weder bis zur 1., noch bis zur 2. Veranstaltung da. Trotzdem ist der Großteil der etwa 80 Sitzplätze im Saal dann besetzt. Und Alex, eine junge und engagierte New Yorkerin hat sich auch eingefunden, die englisch-spanisch übersetzt. Denn Claudia Mejia Duque, die Direktorin der kolumbianischen Frauenorganisation Sisma Mujer, spricht in Spanisch. Sie wie ihre Kollegin, Viviana Rodrigues, Anwältin von Sisma Mujer. Beide schildern in den Veranstaltungen eindrücklich, was der seit Jahren in Kolumbien andauernde gewaltsame Konflikt für die Frauen, v.a. aus ethnischen Minderheiten, bedeutet.
In den letzten 10 Jahren haben rund 84% der Frauen sexualisierte Gewalt erlebt, und zwar durch die Guerilla oder Para-Militärs ebenso wie durch das reguläre Militär. Viele erlitten auch andere Formen gender-basierter Gewalt, wie Zwangsheirat oder wurden ermordet. Und als Folge der Militarisierung der Gesellschaft waren wiederum etwa 84% der Täter Angehörige, (Ex-) Partner, Verwandte oder Freunde. Viviana analysiert sexualisierte Gewalt gegen die Frauen nicht nur als Auswirkung des Jahrzehnte langen Kriegszustands und der androzentrischen Strukturen von jeder Form von militärischer Organisation, sondern auch als Ausdruck einer Kultur, in der die Männer dominieren und Frauendiskriminierung und –Unterwerfung eine Selbstverständlichkeit ist. Daran würden auch Friedensverhandlungen zwischen den Konfliktparteien wenig ändern, wenn nicht von vorn herein die Bedingungen für Frauen mit verhandelt würden. Denn Gesetze allein reichten nicht, da für Frauen die Hürden und Hindernisse zur Justiz zu groß seien, um sich auf juristischem Weg Recht zu verschaffen und Gerechtigkeit zu erlangen.
Gesetze müssen umgesetzt werden
Dennoch gibt es inzwischen Gesetze gegen gender-basierte Gewalt; neu eins, das – seit 2015 - sexuelle Gewalt als Verbrechen gegen die Menschlichkeit definiert. Zudem versucht die Regierung mit Richtlinien und Maßnahmen, gegen gender-basierter Gewalt vorzugehen. Darauf geht Angela Fernandez, Juristin und Mitarbeiterin eines Projekts der GIZ in Kolumbien, ein. Dennoch sei die strafrechtliche Verfolgung dieser Verbrechen gering, und noch niedriger die Zahl der Verurteilungen der Täter. Hoffnung formuliert dennoch Claudia für die gegenwärtige Situation und weitere Friedensverhandlungen. Bedingung: die Frauen müssen mit am Verhandlungstisch sitzen, und zwar müssen die Überlebenden selbst zu Wort kommen, die Straflosigkeit der Täter muss beendet und die Geschlechtergleichheit ein Thema werden.
Die 2. Veranstaltung, das “Side-Event” im UN-Gebäude
Für die 2. Veranstaltung, das “Side-Event” im UN-Gebäude ist ein Grußwort der parlamentarischen Staatssekretärin im Frauenministerium, Elke Ferner vorgesehen, denn diese Veranstaltung wird von der Bundesregierung unterstützt, ebenso wie von UN Women Deutschland. Erfreulich, auch Teile der deutschen Bundestagsdelegation sind dabei, und das Publikum insgesamt ist sichtbar international gemischt. Unter anderem ist auch eine gambische Delegation vertreten.
Kolumbien bittet sich offizielle Teilnahme aus
Aufregung und Irritation noch ½ Stunde vor Beginn: Die kolumbianische Botschaft bei der UN hat bei der deutschen UN-Vertretung interveniert. Wenn eine deutsche Regierungsvertreterin, Elke Ferner und kolumbianische Projektvertreterinnen, Claudia Mejia Duque zu Kolumbien reden, müsse auch eine offizielle kolumbianische Vertreterin sprechen. Was tun? Müssen wir, deutsche zivilgesellschaftliche Organisatorinnen, darauf eingehen? Das Angebot: eine kolumbianische Regierungsvertrer_in soll – wie die deutsche Vertreterin - kurz ein Grußwort sprechen. Dennoch frostige Begrüßung der kolumbianischen Offiziellen, 2 Frauen, 1 Mann im Sitzungssaal. Und dann spricht ihre Sprecherin kein Englisch und erwartet von uns: wir sollen für die Übersetzung sorgen. Schließlich redet Marta Ordonez, Beraterin des kolumbianischen Präsidenten für die Gleichberechtigung der Frauen, mehr als alle geplanten Rednerinnen, und malt die Gleichstellungspolitik und den Kampf der Regierung gegen Straflosigkeit und für den Schutz von Frauen vor sexualisierter Gewalt in rosigen Farben, ein offensichtlich länger vorbereiteter Beitrag. Insgesamt erlebe ich das Auftreten der kolumbianischen Regierungsvertreter_innen als überheblich, respektlos, wenig wert schätzend. Sie haben sich bei den kolumbianischen Referentinnen – die übersetzt haben! – nicht einmal bedankt, und dann stellt sich noch heraus: auch der Botschaftsvertreter spricht Englisch und Spanisch.
Solidarität und Unterstützung
Klar wurde in der Debatte: Kolumbiens Frauen brauchen für den Friedensprozesse nicht nur viel Mut und einen langen Atem, sondern auch internationale Solidarität und Unterstützung.
Perspektiven der Frauen in der arabischen Welt
Solidarität und Unterstützung, das gilt auch für die arabischen Frauen. Die Diskussionsveranstaltungen, zu Situation und Perspektiven der Frauen in der arabischen Welt und im Kampf gegen Krieg und Extremismus, sind – soweit ich sie erlebe – überfüllt und von große Medienaufmerksamkeit begleitet, etwa „Expanding the influence of Arab Women as Leaders in the women peace and security agenda“ (9.3.) vom UN Nations Developmentprogramme, Karama oder das der League of Arab States „Arab Women Organisation Side –Event“ (12.3.). Unisono fordern, ja beschwören Vertreterinnen verschiedener arabischer Länder, z.B. aus Tunesien und Algerien, Syrien, Sudan und Ägypten die Notwendigkeit, dass Frauen sich zusammen schließen zu einer großen Bewegung, gegen die männliche Dominanz, den Krieg; Terror und gegen das Roll back, das in verschiedenen arabischen Ländern, wie Ägypten oder Libyen, eingesetzt hat. Doch viele überließen die Politik den Männern. Frauen müssen für ihre Rechte kämpfen, und in der Politik das Sagen bekommen, so die ägyptische Botschafterin und Vertreterin der Arabischen Frauenorganisation Dr. Tallawy.
Sie müssen klar machen: Frauenausschluss bedeutet neue Gewalt, und die Folgen sind Armut, Krankheit, wirtschaftlicher Niedergang und Terrorismus. Bei aller Verzweiflung, in die Frauen geraten, wenn ihrer Männer umgebracht werden oder – etwa in Syrien - im Gefängnis landen, sieht die syrische Vertreterin Mouna Gassem darin auch eine Chance für Frauen: sie müssen ihr Leben selbst organisieren, arbeiten und sich in der Gemeinde engagieren. Auf die schwierige Situation für Frauen in Lybien, auch durch die Politik der internationalen Gemeinschaft weist die Lybische Vertreterin hin: Frauen waren vorn im Kampf gegen die Diktatur, wurden aber dann weitgehend ausgeschlossenen, und Warlords mit demokratischen Politiker_innen gleichgestellt. Inzwischen werden Friedensaktivistinnen und Freiheitskämpferinnen, die ihre Rechte auch in der Politik einfordern, umgebracht und weiter ausgegrenzt.
Die Zeit der Appelle ist vorbei
Es ist keine Zeit mehr für Appelle und Rede, wir müssen uns erheben, praktische Schritte gehen, Aktion und Mittel gegen die vielfältigen Bedrohungen und Angriffe auf die Frauen-/ Menschenrechte unternehmen – aber welche? Auch auf dem High-Level-Panel mit den Regierungsvertreterinnen aus den verschiedenen Ländern der arabischen Welt blieben die Antworten vage und doch auf der Appell-Ebene, ohne strategische Ideen, fast hilflos. Wie mag es ihnen wohl gehen, wenn ich mich danach schon extrem deprimiert fühlte, hoffend, dass sie in internen Runden zu konkreteren Handlungsschritten und Ergebnissen kommen.
Frauenrechte als Menschenrechte auf einem guten Weg
Was für ein Gegensatz solcher Diskussionen zur offiziellen Generalversammlungsdebatte vom Vormitttag. Diesmal konnte ich – anders als bei der Eröffnung - auch direkt auf die Zuhöre_innentribünen im Sitzungssaal.
Thema: „Challenges and achievements in the implementation of the Millennium Development goals for women and girls“. Solange ich die Sitzung verfolgte, ähnelten die Reden der verschiedenen Staatenvertreter_innen denen zur Generaldebatte über die Ergebnisse der Peking-Plattform und den künftigen Herausforderungen. Ob aus Malaysia, der Slowakei, Belarus, aus den Vereinigten arabischen Emiraten, Sierra Leone, Bulgarien, Israel oder Syrien - überall sind die Frauenrechte als Menschenrechte auf einem guten Weg, implementiert zu werden, oder haben sie es – wie laut ständigem Vertreter bei der UN für Israel weitgehend erreicht. Eine Beruhigung für ihn, der gerade Großvater einer Enkelin geworden ist, die in einer Welt ohne Diskriminierung leben soll. Das dies für die arabischen Regionen (wohl auch in Israel) bei weitem nicht gilt, liegt für ihn daran, dass die arabische Welt generell Frauen Chancengleichheit und Menschenwürde verwehren – sein schlagendes Argument: Ehrenmorde. Der letzte Sprecher: der syrische Regierungsvertreter. Auch für ihn sind es nur die anderen, Terroristen-Gruppen und ausländische Propaganda und deren kranke Ideologien, die Krieg und Frauenausbeutungen zu verantworten haben, Zwangsheiraten, Fatwas über Frauen und Mädchen, die den sozialen Frieden in Syrien verhindern. Die UN-Mitgliedsstaaten fordert er auf, dagegen vorzugehen, ebenso wie gegen die Besetzung Palästinas und Syriens – denn deren Mädchen und Frauen müssen eine Stimme bekommen.
Fensterreden und Zynismus
So wichtig es ist, dass auch Frauenthemen und Perspektiven in der UN zur Sprache kommen, Platz und Raum einnehmen: Angesichts solcher Fensterreden und von so viel Zynismus, und der gesamten Maschinerie und des hohen Zeit-, Energie - und Kostenaufwands beschleicht mich doch der Zweifel, ob dieser Aufwand, tatsächlich lohnt. Immerhin werden hier ja auch viele kluge, engagierte, auch sonst überbeschäftigte Frauen aus der Zivilgesellschaft in diese Mühle stark eingebunden – was müssen wir uns noch alles in so einem Rahmen anhören?
Sonntag, 15.3.
Gegensätze zwischen arm und reich sind schon sehr krass
Gestern: ich konnte es kaum fassen: die ganze Woche war herrliches Sonnenwetter - wenn auch die letzten 2 Tage mit extrem kaltem Wind - und dann, Wochenende, ein. freier Tag, für Sightseeing geplant: grässliches graues Regenwetter!
Also habe ich die New Yorker Konsum- und Shopping-Glitzerwelt erkundet – und das Guggenheim-Museum.
Die Gegensätze zwischen den immensen Shopping-Meilen und dem Reichtum, der hier überall ausgestellt wird, und Armut und Verfall sind schon sehr krass. Am augenfälligsten, wenn ich die Obdachlosen in den Eingängen der Konsumschuppen liegen sehe, und niemand beachtetet sie.
Bisher beschränkten sich ja meine Eindrücke von New York in dieser Woche - bis auf den kleinen Ausflug am 1. Tag nach Harlem und zum Apollo-Theater - auf meine Wege von und zu den verschiedenen Veranstaltungsorten und zu Verabredungen in der Umgebung der UN..
Kaum Kinder zu sehen
Auffällig: es gibt kaum Kinder im Straßenbild. Das ist mir erst bewusst geworden, als ich eine einzelne Frau mit Kinderwagen sah – es sind auch keine Schulkinder zu sehen. Eine echte Business-Gegend - diese Hochhauswelt. Auch Hunde fehlen sonst im Straßenbild weitgehend (außer ab und an eine kleine Schoßhund-Ausgabe) Gestern am Central-Park änderte sich das Bild etwas, doch auch da waren mehr Hunde (samt Besitzer_innen) als Kinder unterwegs.
Pappige Kaffee-Unkultur
Nicht gewöhnt habe ich mich bisher an die Kaffee-Unkultur. Kaum ein Coffee-Shop oder ein Lokal, in dem man guten Espresso oder Cappuccino kriegt, und wenn, in Pappbechern, auch wenn es kein Coffee to go sein soll.
Immerhin, 5 Straßenzüge weiter habe ich nun eine nette Espressobar gefunden. Der Kaffee ist gut und wird in Tassen! serviert. Morgens mein erster Anlaufpunkt.
Altertümliche U-Bahn
Entspannt finde ich den New Yorker Autoverkehr, trotz des ständigen Autostroms. Selten nur Raser, die sich nicht dem gleichmäßige Verkehrsfluss anpassen, gute Ampelschaltungen auch für Fußgänger_innen.
Und - das habe ich vor 10 Jahren hier noch nicht gesehen: Gelegentliche Fahrradstreifen und Fahrradwege, und auch Fahrradfahrer_innen. Nicht in Mengen, aber doch immer wieder (mehr als Kinder). Ebenso wie Fahrräder Verleihstände.
Dem gegenüber finde ich das öffentliche Verkehrs- v.a. das U-Bahnsystem altertümlich und dringend erneuerungsbedürftig Für Menschen mit Behinderungen oder Kindern und Kinderwagen und für alte Menschen extrem benutzer_innenunfreundlich. Lange Gänge und Treppen, und nur selten Aufzüge oder Rolltreppen, und in vielen Stationen völlig heruntergekommen.