Donnerstag, 19.3.15
Internationale Regeln werden stets und ständig gebrochen
Die vergangenen Tage - ein hin und her von Eindrücken und Empfindungen. Aufbauend und anregend in vielen Diskussionen und Gesprächen das Engagement, der Mut und die Stärke der vielen unterschiedlichen Frauen aus aller Welt, die gegen die Armut in ihrer Region, gegen Analphabetentum, Krankheit, Krieg und Terror und für ihre Rechte kämpfen. Und dann wieder Diskussionsveranstaltungen, gerade wenn es um friedens- und sicherheitspolitische Perspektiven geht, die mich rat- und fast mutlos machen. Eine davon ist „Women-Peace-Security. Implementing UNSCR 1325 and CEDAW“, organisiert von der International Alliance of Women. Ein Podium mit Aktivistinnen aus Lybien, Uganda und den USA, Vertreterinnen der EU und der österreichischen Regierung. Einerseits zeigen sie die Vielzahl an Vorgaben und Instrumenten auf UN-Ebene auf, die die UN Mitgliedsstaaten verpflichten, Frauen gerade aus der Zivilgesellschaft in Konflikten und an Verhandlungstischen zu beteiligen, und jede Form der Frauendiskriminierung zu unterbinden – und zwar seit fast 35 Jahren die CEDAW-Konvention, und seit 15 Jahren UN-Resolution 1325 sowie die Folgeresolutionen zu Frauen, Frieden, Sicherheit. Andererseits die Erkenntnis: ständig und überall wird gegen diese internationalen Regeln verstoßen. Daran haben auch die – inzwischen 47 – Aktionspläne zur Umsetzung der UN-Resolution 1325 ff. in verschiedenen Staaten ebenso wenig geändert, wie die bereits 2010 entwickelten 17 Indikatoren der EU zur Überprüfung der Umsetzung der UN-Resolutionen. Kein EU-Staat hat sie bisher angewandt, trotz der Schreckens-Berichte aus den Konfliktregionen über das Grauen von genderbasierter Kriegsgewalt. Die Kriegstreiber und Kriegsverbrecher bleiben meist straflos, Frauen, die über die erlittene Gewalt sprechen, werden von der Gesellschaft und Familie ausgestoßen und erst recht rechtlos. Und Geber-Länder ebenso wie transnationale Entwicklungsorganisationen nutzen in den jeweiligen Ländern ihre Möglichkeiten viel zu wenig, um darauf Einfluss zu nehmen. Können die einmal mehr vorgeschlagenen detaillierten Überprüfungsmechanismen, und differenzierte neue Studien, die gegenwärtig von der UN erstellt werden, daran etwas ändern? Wie lange wollen wir noch auf die „richtigen“ Überprüfungsmechanismen und Strategien setzen, um die Blockaden und Abwehr-Regierungsverantwortlichen zu überwinden? Schlussfolgerungen der verschiedenen Panelistinnen: Wir brauchen viele verschiedene Herangehensweisen, um die Kriegsgewalt zu stoppen und Frauen zu ihren Rechten und Gerechtigkeit, zu Partizipation und Gleichberechtigung zu verhelfen. Dazu gehören, jenseits der Lobbyarbeit bei Regierungen, unter anderem, auf die Medien und die religiösen Führer vor Ort Einfluss zu nehmen, Friedenserziehung in Schulen und die Zugänge für Frauen zu den nationalen und internationalen Rechtsinstitutionen zu stärken - und als wichtigstes: Der Druck starker Frauenbewegungen.
Feministisch dem (religiösen) Extremismus trotzen
Unter dem Anspruch „dem Extremismus trotzen“ versucht das Joan B. Kroc Institute für Peace and Justice aus San Diego in Kooperation mit einem transnationalen Friedensnetzwerk unterschiedlicher Akteur_innen, neue Wege zu gehen, um „geschlechterpolitische Antworten auf religiös begründete Gewalt“ zu finden. Dazu organisieren sie in verschiedenen Regionen der Welt – der Start war auf den Philippinen - Dialoge zwischen lokalen und regionalen Führer_innen aus traditionellen, religiösen und politischen Zusammenhängen, Militärs, Jungen wie Alten, Grassroot-Aktivisti_innen und Aussteiger_innen aus den einheimischen Extremismus-Szenen und dem akademischen Bereich. Gemeinsam entwickeln sie passend für die lokalen und regionalen Bedingungen genderbasierte Gegenstrategien und Angebote gegen die extremistische Gewalt. Dabei arbeiten sie auch gegen die Stereotype, dass Frauen jeweils vor allem friedliebende Akteurinnen sind, oder Opfer und Überlebende. Gezielt versuchen sie nicht nur gewaltbereite (junge) Männer, sondern auch die Frauen und Mütter zu erreichen, die aufgrund fehlgeleiteter religiöser Einflüsse Teil des Gewaltzirkels werden, und Töchter wie Söhne gemäß religiöser Geschlechterstereotype erziehen. Ein lokal orientierter Ansatz, der sich nicht nur auf islamisch begründeten Extremismus konzentriert, sondern ebenso auf den christlichen oder andere rechtsextreme Radikalisierungen, etwa die Skinheads in den USA.
Freitag, 20.3.15
Letzter Tag der Frauenrechtskommission. Das Bild im UN-Gebäude hat sich deutlich verändert, es ist weniger farbenfroh, nicht mehr die Frauen aus aller Welt, in ihren zum Teil farbenprächtigen Gewändern bestimmen das Bild. Immer mehr Anzugträger in Schlips und Kragen zeigen heute schon, wer jenseits dieser zwei Wochen Frauenrechtskommission die UN dominiert.
Frauenrechte auf der Kippe
Aufregung zugleich unter verschiedenen zivilgesellschaftlichen Teilnehmerinnen. Quasi in letzter Minute, so der Flurfunk, versuchen einige Kommissionsmitglieder, wie Bangladesch, Russland und der Vatikan, Frauenrechte im sogenannten Post-2015-Prozess für die UN-Millenniumsziele zu kippen. Diese Ziele stehen im September auf dem Prüfstand, sollen nachhaltiger werden und für die nächsten 10 Jahre in die sogenannten SDGs, die Sustainable Development Goals übergehen. Bisher sollten dabei Frauenrechte, anders als bislang - quasi als erster Schritt der überfälligen Umsetzung der Pekinger Aktionsplattform - generell und überall berücksichtigt werden, also etwa bei der Armutsbekämpfung ebenso wie bei der Gesundheitsversorgung, Bildung oder ökologischen Nachhaltigkeit. Immerhin wurde das in den letzten zwei Wochen wortreich von den UN-Mitgliedstaaten verkündet.
Die Hoffnung bleibt – der Unmut ebenso
Hope – Hoffnung, ist dennoch das Wort, das ich von Frauen unterschiedlicher zivilgesellschaftlicher Gruppen in und nach Diskussionen höre, wenn ich sie nach ihren Eindrücken und Ergebnissen dieser Konferenz frage, egal, aus welchem Land oder welcher Region sie kommen, ob aus Uganda oder Pakistan, aus West-, Osteuropa oder Lateinamerika. 8.000 Frauen sind hier zusammen gekommen, mit der Chance, Gehör zu finden, ihre Probleme vortragen zu können, sich zu vernetzen und auszutauschen. Das wird von vielen als Wert und Gewinn an sich gesehen. Doch es gibt auch Kritik und Unmut am UN-System und der Aufgeblähtheit des Apparats, am meisten an der viel zu geringen Beteiligung von Grassroot-Frauen aus aller Welt. Von Jahr zu Jahr sind es weniger geworden, auch die Konsultationen zwischen Regierungsvertreter_innen und NGO-Vertreter_innen haben abgenommen. Die Staatenvertreter_innen tagen weitgehend unter sich, ist die Kritik der Aktivist_innen, die schon seit vielen Jahren dabei sind. So wurden auch die in den letzten Tagen verhandelten „Working-Methods“ die Arbeitsmethoden zu weiteren Umsetzung der Peking-Plattform ohne die Beteiligung der NGOs ausgehandelt. Das Ergebnis entsprechend einmal mehr eine Enttäuschung. Die Beteiligung der zivilgesellschaftlichen Frauenakteurinnen und Nicht-Regierungs-Organisationen wurde auch in diesem Papier weiter zurück genommen. Dazu kommt: Grassroot-Frauen aus manchen Ländern wurde von den USA das Einreisevisum verweigert. Konkret höre ich das von Frauen aus Uganda und Somalia
Aber es gibt auch Selbstkritik und Nachdenklichkeit zu den feministischen Bewegungen: Wie können wir Patriarchat und Kapitalismus auseinander nehmen oder zurückdrängen, wenn wir zugleich Teil davon sind? Diese kritische und provozierende Frage stellte gleich zum Auftakt einer NGO-Veranstaltung in dieser Woche Moderatorin Wendy Harcourt, langjährige feministische Aktivistin und Wissenschaftlerin. Thema: Beitrag der transnationalen feministischen Bewegungen zu globalem Wissen, zu Macht und sozialen Veränderungen. Dazu liegt brandneu ein Buch vor, ein fast 1000 Seiten schwerer Wälzer, das Oxford Handbook of Transitional Feminist Movements, herausgegeben von Wendy Harcourt und Rawwida Baksh. Einige der Autorinnen, mehr altge- und verdiente Feministinnen als junge stellen ihre – insgesamt sehr verschiedenen - Perspektiven zur Diskussion. Einige der Alt-Aktivistinnen, wie Peggy Antrobus, u.a. Mitbegründerin des entwicklungspolitischen Süd-Frauennetzwerks DAWN, sehen nach einer Phase der Erfolge und Fortschritte der Frauenbewegungen inzwischen eine tiefe Verankerung des „Patriarchats“ und kapitalistischer Strukturen - die Folge globaler neoliberaler Politik. Die Anzeichen: die extreme Kluft zwischen arm und reich, und die zunehmende Militarisierung und bewaffneten Konflikte in der Welt. Wir haben uns aber auch durch eine zu große Einbindung in das System zumindest teilweise korrumpieren und unsere Unabhängigkeit nehmen lassen, reflektieren andere selbstkritisch. Beispiel von Joanne Sandler, frühere Leiterin von Unifem, Vorläufer von UN Women: Als Frauen massenhaft gegen die Massenvergewaltigungen im Kongo vor der UN-Vertretung protestierten und Unterstützung verlangten – was haben wir da bekommen? Eine Gender-Beraterin. Es werden immer mehr hochrangige Repräsentantinnen beschäftigt, aber an der Basis wird viel zu wenig investiert. Dazu gehört aber auch: Frauen haben sich von religiösen Führern in ihre religiösen Systeme einbinden lassen.
Feminismus bedeutet: die Herausforderung von Kapitalismus und Patriarchat
Feminismus bedeutet Herausforderung von Kapitalismus und Patriarchat, was immer die einzelnen darunter auch verstehen mögen. Darauf können sich die meisten Diskutantinnen verständigen. Für die einen heißt das vorrangig „back to the roots“, sich auf die Stärke und Vielfalt der Grassroot-Aktivistinnen und ihre Projekte zu besinnen, gerade die Jüngeren setzen dabei auch auf Kooperation und Unterstützung von männlichen Mitstreitern. Und für andere heißt es, in den Maschinerien von UN oder Regierungsorganisationen daran zu arbeiten, den Basis-Aktivistinnen eine Stimme zu verleihen, dafür zu sorgen, dass sie an den Verhandlungstischen in Konflikten und Krisen, in Parlamenten und Regierungen Gehör und Berücksichtigung finden. Kooperation und Solidarität der Frauen von „drinnen“ und „draußen“ ohne Gleichmacherei, ohne Unterschiede zu leugnen, sich der alten, intersektionalen Zugänge erinnern und den neuen Herausforderungen stellen, für unterprivilegierte Minderheiten, gegen Islamismus und Rassismus, gegen neuen Formen der Kolonisierung von Frauenkörpern durch neue Technologien und auch in Verbindung mit neuen gesellschaftlichen Bewegungen. – Haben wir eine gemeinsame Botschaft? Wir haben viele, verschiedene.