Zwischen Traum und Albtraum liegt oft nur ein schmaler Pfad, eine Entscheidung oder eine Begegnung, die dem Leben eine Wendung in ein unvorstellbares Martyrium geben kann. Jeden Tag werden junge Mittelamerikanerinnen Opfer von Menschenhandel und Zwangsprostitution. Genaue Zahlen gibt es nicht, allerhöchstens Fallstudien lassen Schätzungen über Art und Ausmaß zu. Allein die Tatsache, dass es sich um illegale Aktivitäten handelt, macht eine genaue Erfassung unmöglich. Hinzu kommen Korruption oder sogar Mittäterschaft staatlicher Autoritäten sowie ein gesellschaftlich tief verankerter Machismo, die das Interesse an Aufklärung und Verhinderung dieser Verbrechen beeinträchtigen.
Die Geschichten gleichen sich weltweit: Junge Frauen und Mädchen aus prekären ökonomischen Verhältnissen und ohne Zukunftsperspektive werden mit falschen Versprechungen auf einen Job aus ihren Dörfern oder den Armutsvierteln der Städte gelockt, um dann verkauft zu werden und in Bordellen zu landen. Die Täter kommen nicht nur von außerhalb, sondern auch aus dem Kreis der Bekannten und Familien. Die Opfer werden mit Drogen und Gewalt gefügig gemacht und zu sexuellen Dienstleistungen gezwungen. Widerstand wird ebenso brutal bestraft wie Versuche, aus diesem Martyrium zu fliehen. Nicht selten werden die Frauen mehrfach weiterverkauft, bis sie schließlich als „Ware“ ausgedient haben. 2011 flog ein professioneller Menschenhändlerring auf, der Mädchen zwischen 14 und 16 Jahren aus der Dominikanischen Republik und Nicaragua nach El Salvador verschleppt hatte, und deren sexuelle Dienstleistungen im Internet für Preise zwischen 60 und 150 US-Dollar anbot.
Gefährlicher Weg in die USA
Aber auch Migrantinnen droht ein solches Schicksal. Der Weg von Zentralamerika in die USA ist insbesondere für Migranten und Migrantinnen ohne Papiere höchst gefährlich. Sie laufen Gefahr, Opfer skrupelloser Banden, lokaler Polizisten und Funktionäre zu werden, die sie berauben, erpressen, misshandeln, vergewaltigen.
Frauen, Mädchen und Kinder sind besonders schutzlos und gehen bei dieser gefährlichen Reise in den Norden ein besonderes Risiko ein. Sie laufen permanent Gefahr, Opfer von sexuellen Übergriffen und Vergewaltigungen zu werden. Zu den Tätern gehören nicht nur kriminelle Banden, sondern auch Polizisten und staatliche Funktionäre. Amnesty International schätzt, dass sechs von 10 Migrantinnen auf ihrer Reise Opfer sexueller Gewalt werden. Vielen Frauen ist dieses Risiko bewusst, weshalb sie sich noch zu Hause eine Dreimonatsspritze (Depo-Provera) geben lassen, um eine Schwangerschaft zu verhindern, von den Migrant/innen auch „Anti-Mexiko Injektion“ genannt.
In den letzten Jahren hat sich die Sicherheitssituation für die Migrant/innen noch einmal dramatisch verschlechtert, seit sie in das Visier der Drogenkartelle geraten sind. Vor allem die Zetas, eine Gruppe ehemaliger Elitesoldaten und lange Zeit der brutale bewaffnete Arm des Golf-Kartells, haben den Menschenhandel als lukrative Einnahmequelle entdeckt, aber auch andere Kartelle sind involviert. Geraten die Zentralamerikanerinnen in die Gefangenschaft der Kartelle, droht ihnen Sklavenarbeit und Zwangsprostitution.
Menschenhandel: ein rentables Geschäft
Das Geschäft mit den Menschen ist inzwischen die wichtigste Einnahmequelle gleich nach dem Drogenhandel geworden. Dabei ist das Risiko relativ klein, da das Interesse staatlicher Funktionäre, Sicherheit und Rechte der Menschen ohne Papiere zu gewährleisten, sehr gering ist. Anders als beim Handel mit Drogen können die sexuellen Dienstleistungen der Frauen und Kinder immer wieder verkauft werden, was diesem illegalen Geschäft eine hohe Rendite ermöglicht. Bordelle mit Zwangsprostituierten lassen sich vor allem in den südlichen Bundesstaaten Chiapas, Oaxaca, Tabasco und Veracruz finden, aber auch in nördlichen Grenzstädten wie Ciudad Juárez und Tijuana.
Zentralamerika selbst ist nicht nur Lieferant sondern auch Zielregion von Frauenhandel und Zwangsprostitution. Transnational gibt es mindestens zwei regionale Schwerpunkte: Zum einen Costa Rica und Panama, dort wird das Geschäft u.a. mit Frauen aus Kolumbien und Osteuropa gemacht. Sie stellen sicherlich nur eine kleine Gruppe innerhalb der Opfer dar, aber ihr Preis ist höher als der von zentralamerikanischen Frauen und deutet auf eine kaufkräftige lokale „Kundschaft“ und auf Sextourismus (wohl vor allem aus den USA) hin.
Zum anderen Guatemala und Belize: Ähnlich wie in Chiapas und anderen grenznahen mexikanischen Provinzen werden hier vor allem Migrantinnen ohne Papiere aus El Salvador, Honduras, Guatemala und Nicaragua zur Prostitution gezwungen, unter ihnen ein großer Anteil sehr junger Frauen und Kinder. Während Belize auch Ziel für Sextouristen ist, sind es ansonsten vor allem lokale „Kunden“. Die NGO Casa Alianza schätzt, dass mindestens 15.000 Kinder von entsprechenden Netzwerken in Guatemala sexuell missbraucht und vermarktet werden. Allein in Guatemala Stadt wurden etwa 2.000 Kinder gezählt, die in Bars und Massagesalons sexuell ausgebeutet werden. Die meisten stammen aus den zentralamerikanischen Nachbarländern. Ihr Preis liegt bei 100 bis 200 US-Dollar.
Über die nationalen Märkte von Zwangsprostitution in Zentralamerika ist jeweils nur wenig bekannt.
Kluft zwischen Legislative und Exekutive
Die Mehrheit der zentralamerikanischen Länder ist in den letzten Jahren zumindest auf der normativen Ebene gegen den Menschenhandel aktiv geworden, um die gesetzlichen Grundlagen an internationale Standards anzupassen. Dazu gehören u.a. das UN-Übereinkommen gegen die grenzüberschreitende organisierte Kriminalität (Palermo-Konvention), das UN-Zusatzprotokoll zur Verhütung, Bekämpfung und Bestrafung des Menschenhandels, insbesondere des Frauen- und Kinderhandels, sowie die Interamerikanische Konvention zur Verhütung, Bekämpfung und Bestrafung des Menschenhandels, insbesondere des Frauen- und Kinderhandels, sowie die Interamerikanische Konvention zur Verhütung, Bestrafung und Beseitigung der Gewalt gegen Frauen (Konvention von Belém do Pará).
Allerdings erfüllt mit Ausnahme von Nicaragua kein Land vollständig die Minimalnormen. Insbesondere im Bereich der Prävention müsste hier deutlich nachgebessert werden. Noch größer ist die Kluft zwischen der normativen Ebene und ihrer Umsetzung. Das liegt zum einen an der unzureichenden Zuweisung von finanziellen und personellen Ressourcen sowohl für die Strafverfolgung als auch für die Betreuung der Opfer. Zum anderen verhindern Korruption und Mittäterschaft staatlicher Autoritäten – von Grenzbeamten über die Polizei bis hin zur Politik - immer wieder eine effektive Umsetzung der Gesetze.
Den Preis dafür zahlen nach wie vor die vielen Frauen und Kinder, deren Körper als billige Ware auf den lokalen und transnationalen Märkten angeboten und missbraucht werden.
Dieser Beitrag erschien zuerst im Bulletin der Christlichen Initiative Romero „Presente“ Nr. 1/2015. Thema des Heftes war „Moderne Sklavenarbeit in Mittelamerika und Haiti“. Die aktuelle Ausgabe des Bulletins der Christlichen Initiative Romero kann über die Webseite der Organisation www.ci-romero.de kostenlos bestellt werden.