Betreuungsgeld: Her mit der Milliarde!

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Karlsruhe beschließt das Aus für die umstrittene „Herdprämie”!

Das Bundesverfassungsgericht hat entschieden: Das Betreuungsgeld ist verfassungswidrig. Nun werden eine Milliarde Euro für eine lebensnähere und gerechtere Familienförderung frei.

Verhandelt wurde in Karlsruhe in der Hauptsache eine rein juristische Frage: Ist der Bund überhaupt dafür zuständig, das Betreuungsgeld auszubezahlen? Hamburg hatte mit seiner Klage verfassungsrechtliche Bedenken geltend gemacht, da der Bund mit der Einführung des Betreuungsgeldes seine Kompetenzen überschritten habe, weil für derartige Leistungsgesetze die Bundesländer zuständig seien.

Heute wurde in Karlsruhe das Urteil verkündet: Der Bund hat laut Grundgesetz nicht die Kompetenz, ein solches Gesetz zu erlassen, so die Verfassungsrichter in ihrer Begründung. Dies sei Sache der Länder. Das Betreuungsgeld ist damit gekippt. In der Konsequenz muss das Betreuungsgeld als Leistung des Bundes nun abgeschafft werden.

Laut einer repräsentativen Umfrage zum Betreuungsgeld (PDF), die die Heinrich-Böll-Stiftung Anfang Mai in Auftrag gegeben hat, würden 38 Prozent der Bürgerinnen und Bürger eine solche Entscheidung begrüßen. 32 Prozent hielten ein solches Urteil für falsch, 30 Prozent sind unschlüssig. Das ist keine Geschlechterfrage - beide Geschlechter haben ähnliche Zustimmungswerte zur Abschaffung (40 Prozent die Männer, 37 Prozent die Frauen) - sehr wohl aber eine, die sehr deutlich nach Parteipräferenz, religiösen Bindungen und Ost-West-Regionen unterscheidet. Die größte Zustimmung erfährt das Betreuungsgeld bei den Anhängerinnen und Anhängern der FDP: fast jede(r) zweite votierte gegen die Abschaffung. Während die Wählerinnen und Wähler der CDU in dieser Frage gespalten sind (36 Prozent hielten ein Aus für richtig, 37 Prozent können dem nicht zustimmen) befürworten 54 Prozent der Wählerinnen und Wähler der Partei Die Linke die Abschaffung. Bei den Grünen 44 Prozent. Einmal mehr belegt die Umfrage, dass das Betreuungsgeld in Ostdeutschland unpopulärer ist als in Westdeutschland: 45 Prozent der Befragten mit Wohnsitz im Osten Deutschlands befürworten die Abschaffung, aber nur 37 Prozent derjenigen mit Wohnsitz in Westdeutschland.

Die Ausgaben für das Betreuungsgeld belaufen sich derzeit auf etwa eine Milliarde Euro pro Jahr. Nun da Karlsruhe das Betreuungsgeld für verfassungswidrig erklärt hat, stellt sich die Frage, was mit dem Geld passiert. Aus Bayern war bereits die Forderung zu hören, dass der Bund den Ländern die Mittel zur Verfügung stellen solle und sie in Zukunft selbst über die Vergabe entscheiden. Bayern würde damit das Betreuungsgeld weiter zahlen. Die Einführung eines Betreuungsgeldes durch das jeweilige Bundesland könnte ein gangbarer Weg sein - wenn er denn verfassungskonform ist. Bei der Mehrheit der Befragten jedoch stößt ein solcher föderaler Strauß auf Ablehnung: 51 Prozent sprechen sich dagegen aus, dass jedes Bundesland für sich über die Vergabe entscheiden sollte. So übrigens auch in Bayern und Baden-Württemberg, den einzigen Bundesländern, in denen mehr Eltern Betreuungsgeld beziehen als Kitaplätze in Anspruch zu nehmen.

Das Gros der Befragten plädiert dafür, dass mit den entsprechenden Steuermitteln in Höhe von rund einer Milliarde Euro pro Jahr andere familienpolitische Leistungen finanziert würden: Qualitätsverbesserungen bei der Kita-Betreuung oder der Ausbau von Freizeitangeboten für Kinder und Jugendliche. Eine stärkere Unterstützung Alleinerziehender sowie kostenloses Schul- und Kitaessen sowie eine generell kostenlose Nutzung des öffentlichen Nahverkehrs für Kinder unter 14 Jahren gehören nach Meinung der Mehrheit der Befragten ebenso zu den fünf wichtigsten familienpolitischen Maßnahmen. Geringe Akzeptanz hat hingegen eine zeitliche oder finanzielle Aufstockung des Elterngeldes, von allen vorgeschlagenen Maßnahmen fanden diese beiden die wenigste Zustimmung.

Familien wünschen gerechte und lebensnahe Förderung

Jenseits der Ideologie zeigt die Realität, dass sich die Bedürfnisse von Menschen mit Kindern ähneln, auch wenn ihre Lebenssituation und ihre Familienformen ganz unterschiedlich sind. Diese konkreten Bedürfnisse der Familien liegen, das zeigen die Zahlen, nicht ausschließlich (noch nicht einmal vornehmlich!) in Transferleistungen, die in das Einkommen eines Haushalts einfließen. Zentral sind alltägliche Aspekte von Teilhabe. Die kritische Haltung zum Betreuungsgeld sowie zu einem Ausbau des Elterngeldes zeigt, dass sich die meisten Menschen eine gerechtere und lebensnähere Familienförderung wünschen. Statt dass Anreize gesetzt werden, Kinder zuhause zu betreuen, will die überwiegende Mehrheit der Befragten Verbesserungen bei Dingen, die das Alltagsleben von Familien vereinfachen und die Vereinbarkeit von Beruf und Familie fördern. Wenn schon Geldleistungen, dann, so das Plädoyer der Befragten, für diejenigen, die sie am dringendsten benötigen: die Alleinerziehenden, die noch immer ein zunehmendes Armutsrisiko zu verzeichnen haben.

Mütter und Väter brauchen keine Leitbilddebatte, keine Ideologiediskussion, sondern existenzielle Sicherheit und ein stabiles Netz, um ihren Alltag zu bewältigen. Und sie brauchen Zeit: für sich selbst und für ein familiäres Miteinander. Das sollte mit oder ohne Betreuungsgeld möglich sein, in Unterhachingen ebenso wie in Mönchengladbach, Rostock, Erfurt oder Berlin. Dafür muss Politik gemacht werden. Dafür lohnt es sich zu streiten und die Schienbeinschoner anzulegen.

Dieser Artikel ist angelehnt an einen Meinungsbeitrag der Autorin in taz vom 21.07.2015.

Die Heinrich-Böll-Stiftung hat im Mai dieses Jahres eine familienpolitische Kommission ins Leben gerufen. Diese soll einen ideologiefreien Blick auf die heutige Familienpolitik werfen und lebensnahe, sozial gerechte Reformperspektiven aufzeigen. Sie soll Zeit, Geld und Infrastruktur gleichermaßen in den Blick nehmen und eine optimale Kombination von soziokultureller Infrastruktur und direkten Transferzahlungen prüfen.