„Die Freiheit nehm ich mir“ – dieser StreitWert befasst sich mit der rasanten Entwicklung der Reproduktionstechnologien und daraus folgenden Normen, die die heutige Familienplanung maßgeblich beeinflussen. Mit dieser Podiumsdiskussion trägt das GWI zur Veranstaltungsreihe „Re:Claim Human Rights! Menschenrechte einfordern – umsetzen –garantieren“ der hbs bei.
Die Streitenden
Die Debatte moderiert Ulrike Baureithel, Publizistin der Wochenzeitung Freitag. Prof. Dr. Klaus Zerres von der Deutschen Gesellschaft für Humangenetik vertritt die Position, dass jeder Schwangeren der Zugang zum Erbgut ihres Nachwuchses per Bluttest gewährt werden müsse. Sarah Diehl, Publizistin und Dokumentarfilmerin, veröffentlichte das Buch „Die Uhr, die nicht tickt: Kinderlos glücklich“ und sagt, Social Freezing sei ein Backup in der Reproduktionsmedizin, das Frauen faktisch mehr Möglichkeiten biete. Es sollte selbstverständlich zu den Optionen einer Frau zählen. Dr. Sven Bergmann, Kultur- und Sozialanthropologe am Institut für Geschichte der Medizin und Ethik in der Medizin und Experte für Repdroduktionstourismus in Spanien und Tschechien, fragt sich, warum in Deutschland die Debatte noch immer von einem solch traditionellen, romantischen Naturbegriff begleitet wird. Prof. Dr. Kathrin Braun ist zurzeit Gastprofessorin am Institut für Politikwissenschaften in Wien und findet, dass allein das Vorhandensein solcher Techniken Frauen unter Druck setze und gesellschaftlich individualisiere und biologisiere. Corinna Rüffer, MdB, Sprecherin für Behindertenpolitik Fraktion Bündnis 90/Die Grünen, plädiert dafür, die schleichende Einführung von Tests, die Behinderte diskriminieren, zu verhindern.
Ist der Praena-Test als solcher ein Problem?
Herr Zerres startet die Debatte und wird sogleich auf seine Forderung angesprochen, der Bluttest, der u.a. Trisomie 21 identifizieren kann, solle allen Frauen zugänglich sein, wofür er sich sogar schon mit dem Ethikrat angelegt habe. Der Ethikrat indessen ist der Ansicht, dass der Bluttest nur bei sogenannten Risikofällen angewendet werden solle. Herr Zerres hält dagegen: Was bedeutet denn Risiko? Und wer trägt es? Seiner Meinung nach sei es erst der Praena-Test, der feststelle, ob eine Frau zu einer Risikogruppe gehört – und es macht in seinen Augen wenig Sinn, diesen Test erst bei jenen Frauen durchzuführen, die zu der sogenannten Risikogruppe gehören.
Frau Rüffer findet es beunruhigend, dass für die Bundesregierung ethische Fragen in dieser Debatte keine Rolle spielen. Direkt spricht sie Herrn Zerres auf das von ihm „mindestens sechs Mal“ erwähnte „Risiko“ an, was ihrer Meinung nach völlig falsch sei – denn ein Kind, ob mit oder ohne Downsyndrom, sei in erster Linie eine Freude und kein Risiko. Sprache schaffe Bewusstsein, so Rüffer. Was resultiere also aus solchen Tests? Schwangerschaftsabbrüche. Seit 2005 gibt es den Praena-Test in Dänemark und seitdem haben sich die Zahlen der Geburten von Kindern mit Downsyndrom halbiert. Herr Zerres kontert: Pränataldiagnostik sei jetzt schon von den Krankenkassen finanziert, zum großen Teil die Amniozentesen. Der Test selbst schaffe keinen ethischen Konflikt.
Warum wird Trisomie 21 nur als „Risiko“ gesehen?
Kathrin Braun sagt, Frau Rüffer spreche ihr aus der Seele: In der ganzen Diskussion gehe es nur darum, Risiken zu vermeiden und somit wird von Trisomie 21 immer nur als Risiko, nicht aber über die Menschen mit Downsyndrom selbst gesprochen. Das Wort Risiko sei sehr negativ behaftet, Wahrscheinlichkeit zum Beispiel klinge viel positiver.
Frau Diehl sieht Social Freezing als ein ganz normales Angebot. Sie stellt klar, dass sie, auch wenn sie Social Freezing in den letzten Monaten gegenüber den Gegenargumenten verteidigt habe, diese Technik nicht idealisiere. Prinzipiell ist sie der Meinung, dass Technologien den Menschen zugänglich gemacht werden sollten. Auch sie stimmt ihren Mitstreitenden zu, dass es problematisch sei von „Risiko“ zu reden. Diehl betont nochmals, dass sie sich im Zusammenhang mit Social Freezing gegen die Projektion der Frau als Verantwortliche für die heile Natur gestellt hat. Bisher beschäftigte sie sich viel mit Kinderlosigkeit und dem Druck, der auf Frauen ausgeübt wird, Kinder zu bekommen. Sie kritisiert diese Asymmetrie, die zwischen Männern, denen suggeriert wird, sie hätten ewig Zeit für die Familienplanung, gegenüber den Frauen, die sie unbedingt in den 30ern abgeschlossen haben müssen. Aus dieser Asymmetrie ergeben sich andere Asymmetrien bezüglich Partnerschaften, Autonomie oder auch Lohnarbeit. Social Freezing, so betont sie nochmals, sei nicht die Lösung um all diese Asymmetrien aufzulösen, sondern eben eine der Möglichkeiten.
Sven Bergmann führte eine empirische Studie zu Reproduktionstourismus von deutschen Paaren in Spanien und Tschechien durch. Seine Studie bezog sich allerdings auf den Prozess vor der Schwangerschaft – In-vitro-Fertilisation (IVF) und Eizellspende. Bergmann betont, dass nicht nur heterosexuelle, sondern auch homosexuelle Paare oder Single-Frauen für Eizellspenden, IVF oder sogar Samenspenden ins Ausland gehen.
Das Selbstbestimmungsrecht gestern und heute
Frau Baureithel erinnert daran, dass die Debatte unter der Prämisse des Selbstbestimmungsrechts der Frau stehe, z.B. das Recht auf Abtreibung und die Angebote des Marktes in Anspruch zu nehmen. Frau Braun sagt, es gehe auch heute um Selbstbestimmung, doch das sei ein sehr umstrittener Begriff – so wie damals das Abtreibungsrecht auch. Auf welche Weise ist das Recht auf Selbstbestimmung zu verstehen? Die einen benannten es Wahlfreiheit „the right to choose“ – andere bestanden darauf den Kontext, wie Frauen überhaupt schwanger werden können, mit einzubeziehen. Die Frage der Selbstbestimmung habe sich mittlerweile zugespitzt auf diese eine punktuelle Entscheidung. Was sind denn die Optionen? Habe ich die Freiheit, nicht wissen zu wollen, ob das Kind eine Behinderung haben wird? Der Unterschied der damaligen Debatte lag darin, dass das Recht auf Selbstbestimmung mit dem Recht, über den eignen Körper zu bestimmen und dem sexuellen Selbstbestimmungsrecht zusammenhing. Die heutige Frage der Selbstbestimmung liegt vielmehr darin, den Frauen den Zugang zu allen technischen Möglichkeiten zu geben und ist somit eher ein Recht auf Konsum. Herr Zerres ergänzt, dass die Frauen, die Schwangerschaften abbrechen, mitten aus der Gesellschaft seien – und nicht in einem Ethikseminar sitzen. 106.000 Abtreibungen – das sei akzeptiert und eine solche Zahl verändere das Wertdenken in der Gesellschaft. Nochmals erinnert Frau Braun daran, dass es eine andere Begründung ist: keine Frau kann dazu gezwungen werden, ein Kind zu bekommen bzw. auszutragen, wenn sie nicht schwanger sein will. Die Möglichkeit muss bestehen, das sagt jedoch noch nichts darüber aus, wie die Gesellschaft dazu steht. So ein Test suggeriert Sicherheit und soll beruhigen – doch in Wirklichkeit beunruhigt er, was eigentlich mit den wirklichen Problemen einer Grundunsicherheit (Arbeitsverträge, Altersvorsorge, Miete, etc.) zusammenhängt, und nicht damit, ob ein Kind Downsyndrom haben könnte.
Reaktion des Publikums
Entscheidungen müssen kontextualisiert betrachtet werden. Ein Kontext, den Frau Diehl anspricht, ist die Vermittlung des Bildes, dass Stabilität und Liebe nur noch durch ein eigenes Kind gegeben seien. Diese Idealisierung wird auf dem Rücken des Kindes ausgetragen. Die Ansprüche der Leistungsgesellschaft werden auf die Elternschaft übertragen. Die Frage ist, ob denn überhaupt andere Formen von Verantwortung rechtlich möglich seien, denn das Ganze fördert Isolierung – oft sind es die Frauen, die alleine mit einem Kind dastehen. Kann soziale Elternschaft wie z.B. in Kanada, wo bis zu vier Personen gesetzliche Eltern eines Kindes sein können, funktionieren? Wäre das in Deutschland denkbar? In einer Gesellschaft, die "Blutszugehörigkeit" als Ideal vermittelt? Sven Bergmann äußert sich dazu und sagt Verwandtschaft müsse anders gedacht werden. Zum Beispiel zeige die britische Geschichte, dass Reproduktion auch in alternativen Modellen funktioniert, vor allem auch im Neoliberalismus.
Was die Debatte gezeigt hat: Das Thema ist den Streit wert. Doch auch Enttäuschung machte sich bemerkbar, gerade unter den jüngeren Gästen, die mit großen Erwartungen an das Thema Social Freezing kamen und nicht nur mit einer behindertenpolitischen Debatte gerechnet hatten. Die anthropologische Perspektive, vor allem auf alternative Familienmodelle, kam leider zu kurz.
Videomitschnitt der Debatte